27.11.2014
Kinos in München – 4. Cinepol

Neue polnische Welle

Papusza
Romi-polnische Verständigung in Papusza
(Foto: Kairos-Filmverleih GbR)

In sieben Filmen stellt Cinepol das neueste Spielfilmschaffen aus Polen vor

Von Dunja Bialas

Seit nunmehr vier Jahren sorgt das Festival Cinepol (vormals Film­polska) dafür, dass auch die Münchner in den Genuss des aktuellen, hoch­karä­tigen polni­schen Film­schaf­fens kommen. Während der Westen immer noch meist nur Rumänien als osteu­ropäi­sches Filmland im Blick hat, knüpfte Polen derweil, von der hiesigen Öffent­lich­keit relativ unbemerkt, an die Tradition der Filme aus den 60er und 70er Jahren und damit an jene Glanzzeit des polni­schen Kinos an, der dieses Jahr beim GoEast-Festival in Wiesbaden unter dem Titel »Nouvelle Vague Polonaise« eine eigene Retro gewidmet war.

Den Weg in die deutschen Kinos fand dieses Jahr allein Ida des 1957 geborenen Pawel Pawli­kowski, der mit 20 Jahren nach England emigrierte und bereits mit dem licht­durch­flu­teten briti­schen My Summer of Love die Herzen der Cineasten höher schlagen ließ. In seiner ersten rein polni­schen Produk­tion erzählt er in stili­siertem 60er-Jahre-Schwarz­weiß von den letzten Tage der Novizin Anna, bevor sie ihr Gelübde als Nonne ablegt, und in denen sie auf ihre glei­cher­maßen erotische wie neuro­ti­sche Tante trifft, die sie mit allen Mitteln der Verfüh­rung vom Glau­bensweg abbringen will. Ida ist ein lakonisch erzähltes Roadmovie mit dem typischen, dennoch keines­wegs klassisch besetzten Gegen­satz­paar und nebenbei ein Para­de­bei­spiel für die hoch­karä­tige Visua­lität, die sich derzeit im polni­schen Kino mani­fes­tiert. Der Film ist im 4:3-Normal­format gedreht, das Kennern als das visuelle Format gilt, da der Bild­aus­schnitt sozusagen natür­li­ches Augenmaß hält, und das Bild als Gesamt­ein­druck wahr­ge­nommen werden kann, ohne die Augen oder den Kopf zu bewegen. Der Stili­sie­rungs­wille des Regis­seurs rückt dazu die Figuren an den oberen und unteren Rand des Bildes, betont dadurch die Vertikale, wie in einer Gegen­po­si­tion zum »Kino« bedeu­tenden Cine­ma­scope-Format. Ida wurde nun von Polen ins Rennen um den auslän­di­schen Oscar geschickt.

Wer den Film verpasst hat, oder nicht auf ihn aufmerksam wurde, als er im Kino lief, hat nun bei Cinepol die Möglich­keit, ihn nach­zu­holen (Freitag, 28.11., 19:00 Uhr, Monopol; Wdh. Samstag, 17:30 Uhr, Monopol Kinobar).

Eröffnet wurde Cinepol bereits am gestrigen Mittwoch mit Life Feels Good (Chce sie zyc) mit dem Spiel­film­debüt von Maciej Pieprzyca. In einer Art polni­scher Ziemlich beste Freunde erzählt er, basierend auf einer wahren Bege­ben­heit die Geschichte des Mateusz. Dieser wurde mit zere­braler Kinder­läh­mung geboren und als geistig behindert einge­stuft. Erst im Erwach­se­nen­alter erkannte man, dass sein Verstand völlig normal entwi­ckelt war, ein Wende­punkt in seinem Leben. Der mit zahl­rei­chen Preisen ausge­zeich­nete Life Feels Good zeigt in kühlen Kran­ken­haus­bil­dern eine herz­er­wär­mende Geschichte, die sich zutragen kann, wenn man nur genau hinsieht, mit einer fast doku­men­ta­ri­schen Natür­lich­keit seiner Prot­ago­nisten (Wdh. Donnerstag, 27.11., 17:30 Uhr, Monopol Kinobar)

Er gilt als einer der wich­tigsten polni­schen Filme des vergan­genen Jahres: Papusza erzählt die drama­ti­sche Lebens­ge­schichte der Bronis­lawa Wajs – der ersten Dichterin der polni­schen Roma. Sie gilt als Chro­nistin ihrer Kultur, hielt ihre Dichtung fest und übertrug sie ins Polnische. Der Film zeichnet in orga­ni­schem Schwarz­weiß ein nach­fühl­bares, realis­ti­sches Bild des harten Alltags­le­bens der Roma in den 20er und 30er Jahren und folgt dem fahrenden Volk auf seinem Weg durch Polen. Eine der Beson­der­heiten des Films ist – seinem Sujet entspre­chend – der große Respekt vor der jewei­ligen Sprache. So wird Romani auf der einen Seite, Polnisch auf der anderen Seite gespro­chen, dazwi­schen gilt das vermit­telnde Wort. Regie führten Krzysztof Krauze und Joanna Koz-Krauze, die bereits 2004 mit Moj Nikifor, einem Film über den polni­schen naiven Maler Nikifor Krynicki, inter­na­tional auf sich aufmerksam machten (Donnerstag, 27.11., 19:00 Uhr, Monopol; Wdh. Freitag, 28.11., 17:30 Uhr, Monopol Kinobar).

Wie groß der Stilwille des gegen­wär­tigen polni­schen Kinos ist, zeigt sich nicht nur in den der Vergan­gen­heit zuge­wandten Kunst­dramen wie Papusza oder Ida. The Traffic Depart­ment (Drogówka) von Wojciech Smar­zowski ist ein durch und durch zeit­genös­si­scher Polizei-Genrefilm, der mit Hand­ka­mera, kontrast­rei­chen Bildern, tempo­rei­chem Schnitt und Milieu­schil­de­rung auffährt. Eine Warschauer Poli­zei­ein­heit gerät im Zuge ihrer routi­nierten Verkehrs­kon­trollen in den Sog der Machen­schaften der Prosti­tu­ierten-, Zuhälter- und Drogen­szene (Freitag, 28.11., 19:00 Uhr; Wdh. Samstag, 28.11., 17:30 Uhr, jeweils Monopol).

Wie sehr das gegen­wär­tige Film­schaffen sich in den Kontext der alten Meister einfügt, beweist der Besuch des polni­schen Meis­ter­re­gis­seurs Krzysztof Zanussi bei Cinepol am kommenden Sonntag. In deutscher Erst­auf­füh­rung ist um 15:00 Uhr mit anschließendem Publi­kums­ge­spräch sein neuestes Werk The Foreign Body (Obce cialo) zu sehen, indem er ein Sitten­bild des heutigen Polens zeichnet. Ähnlich wie Pawel Pawli­kowski geht es auch ihm um eine Art »Glau­bens­prü­fung« durch das säkulare Polen, ohne jedoch katho­li­sches Kino zu machen: Angelo gerät, als er seine geliebte Kasia, die aus tiefem Glauben ins Kloster gegangen ist, zurück­ge­winnen will, in die Fänge des Turbo-Kapi­ta­lismus’, der sich durch Gier und Hohn darwi­nis­ti­sches Geltungs­recht verschafft. Zanussi hat 1969 mit seinem Lang­film­debüt Die Struktur des Kristalls (Struktura krysztalu) die große Welle im polni­schen Kino losge­treten, die sich auch noch 45 Jahre später unge­bro­chen Bahn bricht. Gele­gen­heit für die Begegnung mit einem Meis­ter­re­gis­seur, die man nicht verpassen sollte.

Das 4. Cinepol findet statt vom 26.11.-30.11. im Monopol in München, Schleißheimer Str. 127. Eintritt: 8,50 (ermäßigt 7,50 Euro; für Mitglieder von Ahoj Nachbarn e.V. 6 Euro). Täglich Rahmen­pro­gramm in der Kinobar bei freiem Eintritt.
Mehr Infor­ma­tionen zu den einzelnen Filmen sowie eine Program­mü­ber­sicht finden sich hier.