07.07.2011

Der »Jud Süß«-Komplex

Filmplakat von Veit Harlans Jud Süß
Filmplakat von Veit Harlans Jud Süß

»Jud Süß«-Verfilmungen in Worms und eine Tagung über Harlan, Roehler, Tarantino, das geglückte Attentat auf Hitler und das Kino-Bild des Faschismus

Von Rüdiger Suchsland

»Jud Süss hat unser Leben zerstört.« – dieser Satz von Kristina Söderbaum, die als »Reichs­was­ser­leiche« und Schau­spie­lerin vor allem in den Filmen ihres Gatten Veit Harlan in den 30er und 40er Jahren kurz­fristig einer der popu­lärsten deutschen Filmstars wurde, blieb im Gedächtnis. Gefallen in einem Fern­seh­in­ter­view Jahre nach dem Tod ihres Mannes, zitiert ihn jetzt Felix Moeller in seinem Doku­men­tar­film Harlan – Im Schatten von Jud Süss (2008). Soll man nun Mitleid mit Söderbaum haben? Viel­leicht macht ihre mögli­cher­weise wirklich nur naive Formu­lie­rung auch nur noch einmal den Abgrund deutlich, der zwischen der Weiner­lich­keit jenes kleineren Teils der deutschen Eliten liegt, die nach 1945 dann doch nicht ganz nahtlos an ihre NS-Karrieren anknüpfen konnten, und jenen, deren Leben zum Beispiel durch Hetzfilme wie Jud Süss tatsäch­lich ganz im Wortsinn zerstört wurde. Harlans Kinder und Enkel, die in Moellers glän­zendem Film ausführ­lich zu Wort kommen, hadern bis heute mit der Schuld des fraglos Talen­tier­testen unter Hitlers Propa­gan­da­fil­mern, einer Schuld, die mora­li­sche wie ästhe­ti­sche Seiten hat. Jud Süss, der 1940 bereits in der Absicht gedreht wurde, durch Ekel und Empörung Judenhass zu mobi­li­sieren und zur Mord­be­reit­schaft zu steigern, erfüllte die Hoff­nungen des Regimes über alle Erwar­tungen: etwa 20 Millionen Zuschauer bis Kriegs­ende, nur ein Teil von ihnen Front­sol­daten und Wach­kom­mandos in den Vernich­tungs­la­gern, machten den Film zu einem der »erfolg­reichsten« deutschen Kinowerke der Geschichte.

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Jetzt widmet sich ein ganzes Film­wo­chen­ende in der »Kinowelt Worms« im Rahmen des Kultur­pro­gramms der Nibe­lun­gen­fest­spiele in Worms dem Jud Süss-Komplex. Gezeigt werden am kommenden Freitag, 8. Juli, um 20 Uhr (bereits ausver­kauft) und am Samstag, 9. Juli, um 11.00 Uhr jeweils Jud Süss von Veit Harlan (1940). Die Einfüh­rung hält der Autor Jörg Koch, am anschließenden Film­ge­spräch nehmen außer Koch auch Hellmut G. Hassis und Rüdiger Suchsland (artechock) teil. Am Samstag, 9. Juli, ist dann um 15 Uhr Harlan – Im Schatten von Jud Süss von Felix Moeller (2008) zu sehen. Anschließend gibt es Film­ge­spräch zwischen Dietrich Kuhlbrodt und Rüdiger Suchsland. Beide begleiten auch die große Rarität Jew Süss von Lothar Mendes, ein briti­scher Film nach Feucht­wanger aus dem Jahr 1934 (Sonntag, 10. Juli, 11 Uhr). Um 15 Uhr läuft dann Jud Süss – Film ohne Gewissen von Oskar Roehler (2010), der die Entste­hungs­ge­schichte des Propa­gan­da­films und damit verbunden den Lebensweg des Haupt­dar­stel­lers von 1940, Ferdinand Marian zeigt. (Auch hier folgt ein Film­ge­spräch von Rüdiger Suchsland mit Marianm-Biograf Friedrich Knilli).

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Harlans Film bildete gemeinsam mit Moellers Doku­men­ta­tion, die auch eine Geschichte der Verführ­bar­keit und späteren Unbe­lehr­bar­keit der deutschen Eliten ist, den histo­ri­schen Hinter­grund einer Tagung, die die Evan­ge­li­sche Akademie Arnold­shain bereits im Januar zum Thema »Geschichts­fäl­schung oder Künst­le­ri­sche Freiheit« veran­stal­tete, und die konkret auf den Umgang des neuesten Kinos mit der Geschichte der NS-Zeit bezogen war. Die entschei­dende Frage war dabei die, was dem Kino eigent­lich erlaubt ist? Die Grenzen sind dabei fließend und der Gegensatz des Titels nur ein schein­barer: Denn Geschichts­fäl­schung ist nur die andere Seite einer künst­le­ri­schen Freiheit, die sich Film immer wieder nimmt. Was man dem Kino in anderen Fällen aller­dings gern gestattet, ist bei der Geschichte von »Drittem Reich« und Shoah aller­dings tabu­be­haftet. Immer wieder kommt es – wie Schind­lers Liste oder La vita è bella – zu Debatten über die Grenzen des Zeigbaren. Die letzte von ihnen entzün­dete sich um Quentin Tarantino. Der erzählt 2009 in seiner seitdem vielfach preis­ge­krönten burlesken Phantasie Inglou­rious Basterds in vielen Facetten die Geschichte eines geglückten Attentats auf Hitler Ende Juni 1944. Dabei entfaltet er ein buntes Tableau des anti­fa­schis­ti­schen Wider­stands, dem neben ameri­ka­ni­schen und briti­schen Soldaten, einem jüdischen Elite­kom­mando, auch die Resis­tance, bestehend aus einem schwarzen und einer jüdischen Französin und zwei nicht­jü­di­sche Deutsche angehören. Tarantino ist mit diesem Film, der in den Arnold­shainer Debatten auch anfäng­liche Skeptiker über­zeugte, Außer­ge­wöhn­li­ches gelungen: Ein Unter­hal­tungs­film, der stel­len­weise zum C-Movie wird, aber zugleich trans­gres­sives Kino in den Fußstapfen der Avant­garde darstellt. Damit ist dieser Film einer der anspruchs­vollsten Beiträge des letzten Jahr­zehnts zu der Frage, wie man von Faschismus im Kino erzählen kann, ohne ihm einer­seits zu verfallen oder ande­rer­seits von ihm zu erlösen. Wie wenige Kollegen weiß Tarantino um die Dialektik der Authen­ti­zität: Fakten­treue verfehlt die Wirk­lich­keit, die phan­tas­ti­sche Erzähl­weise bringt sie zurück.

In einem ausge­zeich­neten Beitrag arbeitete die Berliner Film­kri­ti­kerin Cristina Nord heraus, wie Tarantino ein Netzwerk viel­fäl­tiger und mitunter ambi­va­lenter Refe­renzen entfaltet, und zu einer Rache- und Entlas­tungs­phan­tasie bündelt, die einer der Darsteller, Eli Roth, als »kosher porn« charak­te­ri­sierte. »Das Begehren nach Rache und Gegenwehr mag unziem­lich erscheinen«, so Nord, »Aber es ist ja trotzdem da. Was Tarantino mit seiner kontraf­ak­ti­schen Rache­phan­tasie leistet, ist dieses Begehren für einen Moment zu stillen – viel­leicht wie ein Porno sexuelles Begehren stillen kann. Man mag das degoutant finden, aber Phantasie verläuft eben nicht in den gesi­cherten Bahnen des histo­ri­schen Diskurses.«

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Dies mag sich auch Oskar Roehler gedacht haben. Dessen letzter Film Jud Süss – Film ohne Gewissen ist ein fiktio­nales Making Off des Harlan-Films. Im Zentrum steht aller­dings nicht der Regisseur, sondern dessen Haupt­dar­steller und Franz Marian und NS-Propa­gan­da­mi­nister Josef Goebbels, der den Film, Besetzung und Dreh zur Chefsache machte. Vor knapp einem Jahr hatte Roehlers Film im Berlinale-Wett­be­werb Premiere, begleitet von der Hoffnung, dass ihm womöglich ein deutsches Pendant zu Tarantino gelingen könnte. Doch der Film kam schlecht an. , Vorver­ur­tei­lungen wie die durch Marian-Biograf Friedrich Knilli, der sich, bevor er den Film gesehen hatte, schon über dessen »Fehler« verbrei­tete, taten ein Übriges. Auch in Arnold­shain war die Reaktion auf Roehlers Film, der gleich zu Beginn lief, zunächst ausge­spro­chen negativ, Daniel Wildmann (London) wie Rudolf Worschech (Frankfurt) warfen ihm de-facto-Entschul­dung vor, weil der tatsäch­lich höchst willige Marian plötzlich als Opfer des »großen Strip­pen­zie­hers« Goebbels dasteht. Im Laufe der Tagung wurde das Urteil aber zusehends moderater, und noch die Abschluß­dis­kus­sion machte die Tagungs­frage und vieles andere vor allem an diesem Film fest. Denn immerhin irritiere Roehlers Film, so Dietrich Kulhl­brodt (Hamburg): »Das ist eine Einladung zum Nach­denken, ein Puzzle. Es bleibt eine Verwir­rung, und die finde ich gar nicht schlimm.«

Zum stei­nernen Gast der Tagung wurde Oliver Hirsch­bie­gels und Bernd Eichinger Der Untergang über die letzten Tage im Führer­bunker. In diesem Film sei ein neues »Führer­bild fest­ge­schrieben worden«, so Kuhlbrodt, das durch öffent­lich »totge­schwie­gene« Filme, wie den Roehlers nicht verändert werden könne. Schon Nord hatte im Untergang den Symbol-Film einer revi­sio­nis­ti­schen »Perspek­tiv­ver­schie­bung« erkannt, in der im Kino – auch in Filmen wie Anonyma oder Napola – in filmi­schen Darstel­lungen des »Dritten Reichs« Deutsche primär als Opfer gezeigt und umge­deutet werden, die Täter­rolle der Deutschen dagegen unter den Tisch fällt. Tatsäch­lich unter­scheidet Der Untergang vor allem zwischen jenen wenigen Deutschen, die die Volks­ge­mein­schaft opfern und dem großen verra­tenen und enttäuschten Rest. Auch hierin liegt eine Geschichts­fäl­schung, nur ist sie versteckt hinter der der Behaup­tung einer Fakten­treue, die es in dieser Abso­lut­heit gar nicht geben kann – und der naiven Vorstel­lung, dass der Stil eines Films, nur Form sei, die keinerlei Inhalt in sich trage.

Gegenüber solchem filmi­schen Histo­rismus wirkt die kontrol­lierte Geschmack­lo­sig­keit von Roehler und vor allem Tarantino produktiv. Ist nicht Faschismus selbst eine einzige Geschmack­lo­sig­keit? Wie kann man sie zeigen, ihre Zumutung in sinnliche Erfahrung fassen? Gerade Taran­tinos Film trans­por­tiert die Bruta­lität des Natio­nal­so­zia­lismus, seine absurden Seiten, das Hyper­rea­lis­ti­sche, Unvor­stell­bare, das diese Zeit bis heute hat, obwohl manche ihrer Menschen immer noch unter uns leben, auf die Leinwand. Feuer müsse man mit Feuer bekämpfen, singt David Bowie in Inglou­rious Basterds. Hier sind nicht mehr alle Opfer, sondern alle Täter.