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Honor de Cavalleria: »Der wirklich beste Film seit Bunuel!« | ||
(Foto: Underdox | Albert Serra) |
Don Quichotte, Ritter von der Traurigen Gestalt, und sein Knappe Sancho Panza konnten nur nachts reiten – tagsüber war einfach die Sonne zu heiß. Dies war die Vorüberlegung des katalanischen Regisseurs Albert Serra, der das Opus magnum der spanischen Literaturgeschichte in einer aberwitzigen Filminterpretation hauptsächlich bei Nacht spielen lässt. In der Nacht ist es bekanntlich dunkel, und in dieser katalanischen Filmnacht ist es tatsächlich dunkel – mit den Ahnungen an das Helle, die sich auch immer wieder in der Finsternis ergeben. Albert Serra hat seinen Debütfilm mit einfachen Produktionsmitteln auf einer MiniDV-Kamera gedreht – und wurde nicht nur als Bester Nachwuchsregisseur ausgezeichnet, sondern für sein visuelles Understatement obendrein mit dem Preis der Internationalen Filmkritik belohnt.
Es gibt eine ganze Reihe solcher herausragenden undogmatischen Filme; und diese hat das Münchner Filmfestival »Underdox« in seinem zweiten Jahr in einem dichten Programm zusammengefasst. Dabei hatten die Festival-Macher, Artechock-Redakteurin Dunja Bialas und Bernd Brehmer vom Münchner Werkstattkino, die Schnittstelle zwischen den Filmgenres im Visier. Sie zeigen Filme, die sich im Grenzbereich von Dokument und Experiment (so auch der programmatische Untertitel des Festivals) bewegen, und Filmfiktionen, die dokumentarisch gesättigt sind – durch die Einfachheit ihrer Produktionsmittel und durch ihre Erzählweisen, wie Juventude em marcha – Collosal Youth des portugiesischen Autorenfilmers Pedro Costa, dem zwei Programme gewidmet sind. Dabei sind auch wie letztes Jahr wieder Fake Documentaries dabei, die japanische Success-Story über die angebliche Karriere des Paar-Skispringens Ski Jumping Pairs – Road to Torino 2006, und die bitterböse schwarzhumorige Fake Shocumentary Petit Pow! Pow! Noël, in dem der Québec-Kanadier Robert Morin mit seinem todkranken Vater im Sterbehospiz abrechnet – scheinbar.
Wo man hier den Bildern nicht mehr trauen kann, setzen andere Filme bei »Underdox« ganz auf das Vertrauen in die Bilder. Aber auch hier, wo den Bildern der Status eines echten Dokuments erteilt wird, zeigt sich, wie die Wirklichkeit doch gebrochen ist, und unter der Oberfläche eine dunkle Tiefe lauert, die dem, was visuell dokumentiert wird, Hohn spricht. Der Amerikaner John Gianvito hat den Spuren der politischen Geschichte in der Landschaft Nordamerikas aufgespürt und Gedenktafeln und Monumente mit Inschriften gefunden, die chronologisch von den kriegerischen Umtrieben der US-Regierungen in Filmexponaten erzählen. Ohne vorzuführen oder zu belehren lässt Gianvito spüren, wie Landschaft politisch aufgeladen sein kann, Topographien von Sieg und Niederlage sind. Gleich zwei Programmpunkte widmen die Festivalmachern diesen »politischen Landschaften« – zu sehen sind außerdem Un pont sur la Drina – wo im Cinemascope-Format die Schönheit der Drina-Brücke gefeiert wird, die sich dann durch die Tonspur in den Anblick auf eine »Topographie des Terrors« wandelt, und Zone of Initial Dilution über die Urbanisierung des chinesischen Drei-Schluchten-Tals durch das weltweit größte Staudammprojekt.
Unter den 36 Filmen, die »Underdox« dieses Jahr zeigt, wird sich wohl kaum ein Film finden, der einen unberührt aus dem Kino gehen lässt – sie alle räumen mit Sehgewohnheiten auf und sind obendrein Filme über Wirklichkeiten, die unerfahrbar oder unbekannt sind. Die beiden chinesischen Independents Meng You – Dream Walking und Floating Dust aus der »Trilogie der Massen«, in der es um das »Überleben in einer absurden Welt« geht, hat Regisseur Huang Wenhai an der Zensur vorbeigedreht. Seine Filme sind klandestine, in China zur Unsichtbarkeit verdammte Werke – wie übrigens auch die seines Kollegen Jia Zang-ke, dessen Still Life diese Woche im Kino anläuft.