Amour Fou

Österreich/L/D 2014 · 96 min. · FSK: ab 6
Regie: Jessica Hausner
Drehbuch:
Kamera: Martin Gschlacht
Darsteller: Birte Schnöink, Christian Friedel, Stephan Grossman, Sandra Hüller, Katharina Schüttler u.a.
Starre & reine Künstlichkeit

Über die allmähliche Verfertigung eines Marionettentheaters beim Filmen

Ratio ohne Anmut, Kontrolle ohne Grazie: Jessica Hausners Versuch eines Films über die Zeit um 1800

»Wollen Sie mit mir sterben?« fragt der junge, offen­kundig recht schüch­terne Mann unver­mit­telt eine fremde Dame. Die errötet und blickt noch ein wenig entschlos­sener zu Boden, auf das geome­tri­sche Muster eines Sessels...

Entgegen manchen Gerüchten ist dies kein Film über Heinrich von Kleist, Henriette Vogel und den gemein­samen Selbst­mord der beiden am Wannsee. Die Marke­ting­texte führen auch in die Irre, wo sie sugge­rieren, hier würde irgend­etwas von Belang über jene große Epoche um 1800 ausgesagt, in der die Moderne entstand, und Kleist, einer der bedeu­tendsten deutschen Schrift­steller aller Zeiten, der Texte schrieb, die wie kaum andere zum Ausdruck dieser geistig-ästhe­ti­schen Revo­lu­tion wurden.

Ein paar hübsche Kleist-Sätze deko­rieren die Einfalle und Erfin­dungen der Macher, die Kostüme und Möbel entspre­chen zumindest weit­ge­hend unserer Vorstel­lung der Epoche – mehr histo­ri­schen Bezug gibt es nicht. Und der Name Kleists fällt auch aus guten Gründen nie. Weder wird die Nervo­sität des Zeit­al­ters einge­fangen, noch die Ahnung einer Umwäl­zungs­epoche erzeugt, die auch auf Zeit­ge­nossen als aufregend, mitunter beängs­ti­gend, aber eben auch befreiend wirkte. Haupt­figur »Heinrich« erscheint hingegen so, wie man sich Künstler heute halt gern vorstellt: Als Egoman, frivol, aber ohne erkenn­baren Leidens­druck. Eine Lach­nummer. Doch ist dieser Film weder eine Komödie über die Romantik noch gar eine »roman­ti­sche Komödie«, sondern alles in allem überhaupt nicht lustig.

Um so mehr erzählt dieser Film aller­dings über unseren heutigen Blick auf Vergan­gen­heit allgemein, und diese Epoche der bürger­li­chen Revo­lu­tionen im Beson­deren. Über unsere eigene Befrem­dung. Über unsere Schwie­rig­keiten – wenn nicht: Unsere Unfähig­keit – ihre Menschen und Gescheh­nisse schlicht und einfach ernst zu nehmen, als vergan­gene Gegenwart zu achten. Über die Neigung, Vergan­gen­heit für heutige Zwecke auszu­beuten, die hinter unserem schein­baren Histo­rismus immer wieder aufscheint. Vom »Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit« sprach Alexander Kluge.

Diese Epoche der »Sattel­zeit« (Karl Jaspers) zwischen 1750 und 1848 hat in den letzten Jahren trotz alldem zahl­reiche Filme­ma­cher zu sehr unter­schied­li­chen Werken inspi­riert – handle es sich nun um die längst abgeebbte Flut der Jane-Austen-Verfil­mungen, umMas­sen­ware wie Goethe! und Die Vermes­sung der Welt oder um origi­nel­lere und diffe­ren­zier­tere, schlicht und einfach bessere Werke wie Sofia Coppolas bezau­bernde Marie Antoi­nette oder zuletzt Dominik Grafs wunder­baren Die geliebten Schwes­tern.

Amour Fou ist ein Solitär und verhält sich zu seinem histo­ri­schen Gegen­stand allen­falls wie der zu Unrecht verges­sene Baader von Chris­to­pher Roth. Fehlte nur noch, dass sich »Heinrich« am Ende des Films doch nicht umbringt. Soviel Chuzpe geht Jessica Hausner aller­dings ab. Der Stil ihres Films ist so ziemlich das Gegenteil eines verspielten Pop-Märchens. Hausner, neben Michael Haneke die inter­es­san­teste und begab­teste öster­rei­chi­sche Regis­seurin nicht nur ihrer Gene­ra­tion, hat noch nie so wenig spie­le­risch gewirkt, noch nie so skrupulös, wie in ihrem ersten histo­ri­schen Film.

Alles in allem tut man Amour Fou daher einen Gefallen, wenn man ihn als völlige Fiktion begreift.

Früheren Werken wie Lovely Rita, Hotel und Lourdes war ein sehr beson­derer Humor eigen, der auf die Skur­ri­lität zwischen­mensch­li­cher Kommu­ni­ka­tion zielte, auf die Abgründe, die jeden Einzelnen von allen Anderen trennen. Diese kann man auch hier finden, nur den Witz sucht man vergeb­lich.
Statt­dessen nährt sich Amour Fou der etwas abge­lebten Ästhetik des Auto­ren­kinos der Nuller­jahre an: Mini­ma­lismus, Bedeu­tungs­schwere und Ernst, lange, wortarme Einstel­lungen, Guck­kas­ten­bilder, Hand­lungs­armut, und eine Pedan­terie, die Hausner nicht gut ansteht.

Was Hausner am Stoff inter­es­siert, liegt einer­seits auf der Hand: Die Regis­seurin verhan­delt ein Frau­en­schicksal mit univer­salen Zügen – und femi­nis­ti­schen Konse­quenzen. Aber zur Empörung des Publikums soll es nicht kommen. Die »Henriette« ähnelt Hausners anderen Frau­en­fi­guren: verloren, passiv, dabei gierig auf Neues und offen, wird sie zum Opfer der Rituale einer männer­ge­prägten Welt. Ihr letzter Satz bricht einfach ab: »Was ich noch sagen wollte...« So funk­tio­niert der Humor des Films: Kaum ironisch, sondern fraglos kluger und edel kostü­mierter Salon­zy­nismus.

Ander­seits bleiben Hausners Absichten voll­kommen im Unklaren. Denn wozu die konkreten Anspie­lungen? Nach allem, was man von Kleist weiß, war er nicht so, wie er hier gezeigt wird. Warum also überhaupt einen Bezug zwischen Historie und Erfindung herstellen? Der hat ja nicht die Provo­ka­tion, eine verfemte oder unsym­pa­thi­sche histo­ri­sche Gestalt plötzlich in neuem Licht zu zeigen, sondern bedient eher den schon beste­henden Anti­in­tel­lek­tua­lismus des Zeit­al­ters. Wozu überhaupt die histo­ri­schen Bezüge? Stilis­tisch ist dies ein Anti­ko­s­tüm­film-Kostüm­film, eine didak­ti­sche Lektion für alle, die mit solchen Werken ihre Neugier stillen und in vergan­genen Zeiten schwelgen möchten: Eintau­chen darf nicht sein, Anteil­nahme ist Trug, Abbilder gehören gefäl­ligst dekon­stru­iert und Wahrheit ist sowieso nur eine Illusion – dies ist inzwi­schen akade­mi­scher Main­stream und ziemlich bieder, und wie jede Rohr­stock­päd­agogik ist der Ansatz auch nicht unbedingt verfüh­re­risch, zumal der Lohn hier am Ende ausbleibt.

Die Schau­spieler sind sehr unter­schied­lich in ihrem Ton – schwan­kend zwischen einem Bres­son­schen »leer sprechen«, einer Rohmer­schen Zurück­hal­tung, und unver­mit­teltem Over­ac­ting, wie man es von Kamera-ungeübten Thea­ter­schau­spie­lern kennt. Dies ist aber kein Fehler, sondern Konzept, das die Isolation der Figuren noch steigert. Gewis­ser­maßen befindet sich hier jeder auch sprach­lich in seiner eigenen Welt. Heraus fällt positiv Sandra Hüllers Ton, weil er am ehesten eine Ahnung von der Doppel­bö­dig­keit Kleist­scher Sätze gibt.

Martin Gschlachts Kamera schafft makellose, aber auch cleane Bilder, deren Aseptik den Eindruck des Arti­fi­zi­ellen noch steigert. Alles ist starr, statisch und leblos, es gibt keine Zooms und keine Schwenks, keine einzige Kame­ra­fahrt, bis auf eine einzige am Ende – aber wozu? Soll der Tod hier Befreiung sein aus einem stati­schen Lebens­käfig?

Verglei­chen wir dies mit Dominik Grafs Die geliebten Schwes­tern: So wie jener ein Film der Bewegung ist, so ist dieser ein Film der Starre, so wie jener uns die Figuren nahe bringen, das, was an ihnen aktuell, universal und heutig ist, heraus­ar­beiten will, so möchte Amour Fou uns seine Figuren fern halten. Aller­dings dies wieder ganz anders, als etwa das konven­tio­nelle Histo­ri­en­kino, das in Sprache und Produc­tion Design den Abstand betont, Fremdheit ausschlachtet. Statt solcher Verfrem­dungs­ef­fekte setzt Jessica Hausner auf reine Künst­lich­keit. Nur die Hunde sind hier lebendig, aber ist das auch Absicht? Von Kleist hätte man aber jeden­falls lernen können, dass Ratio und Anmut, Kontrolle und Grazie einander bedingen.