02.06.2022
Cinema Moralia – Folge 274

Was ist (gute) Film­kritik? Eine Erin­ne­rung ohne Anlass

Goethe
Das waren noch Zeiten! Goethe durfte noch namentlich kritisieren und Kollegenschelte betreiben – heute müssen die Namen per Mail beim Autor angefragt werden
(Foto: Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, 1828)

Mit der Existenzkrise, die das Kino gerade erfährt, ist auch Filmkritik in ihrer Substanz gefährdet – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 274. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»By its very nature, criticism is personal.« – George Steiner

»Wo die Liebe halt so hinfällt. Stets findet der Verstand erst im nach­hinein mühsame Erklärungen für Empfin­dungen, die schon alles entschieden haben, bevor sich ein Argument einstellt.« – Peter Buchka

Gut elf Jahre ist es nun schon her, da ist Michael Athen gestorben. Nach wie vor ein überaus schmerz­hafter Verlust, nicht nur für seine Familie und seine Freunde und auch für mich, sondern darüber hinaus: Für das Kino und alle, die es lieben, für unsere Filmszene.

Fast 13 Jahre vor seinem Tod hat Michael einen Nachruf auf Peter Buchka geschrieben, seinen Vorgänger als Film­re­dak­teur der Süddeut­schen Zeitung. Hier auf dieser Website, die die aller­meisten Texte von Michael versam­melt, kann man auch diesen nachlesen.
Der Text könnte und müsste heute genauso geschrieben sein.

Aus Michael Althens Texten auf dieser Website kann man unendlich viel mehr lernen und erfahren, als aus jedem Unis­e­minar über Kritik. (Und das schreibe ich extra, obwohl ich gele­gent­lich und wieder in ein paar Tagen selber eins gebe. Ich sage ja nicht, dass man da dann gar nichts erfahren kann ;)

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Michael erinnert daran, dass Peter Buchka nicht nur über Filme schrieb, sondern auch über Bücher, über Malerei, über Musik. Und dass er sich noch viel mehr damit beschäf­tigt hat, als dass er öffent­lich darüber schrieb. Alles dies, diese Beschäf­ti­gung floss in seine Film­kri­tiken rein. Deswegen war Buchka kein Durch­schnitts­kri­tiker. Sondern etwas Beson­deres.

Die Durch­schnitts­kri­tiker dagegen verachten es, wenn man sich mit anderen Dingen beschäf­tigt. Sie sagen dann irgend­etwas Spießiges wie: »Warum musst du denn darüber schreiben?« Oder: »Musst du denn über alles schreiben?« Oder sie zitieren am besten gleich die Bauern­regel: »Schuster, bleib bei deinen Leisten!«

Schon aus Schustern wird nichts, wenn sie immer bei ihren Leisten bleiben. Ganz bestimmt kein Schuh­de­si­gner, kein Balen­ciaga, aber auch kein guter Durch­schnitts­be­sohler.

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Die Mister und Misses Minits der Film­kritik sehen in der Außer­durch­schnitt­lich­keit ihren Feind. Vers­tänd­lich regt sich ihr Ressen­ti­ment, denn sie spüren, dass das Unge­wöhn­liche die eigene Gewöhn­lich­keit erst recht sichtbar macht.

Zu dieser Gewöhn­lich­keit gehört natürlich der schlechte Impres­sio­nismus, der vieles so dominiert. Es gibt zum Beispiel Festi­val­be­richte, die mehr als die Hälfte des Textes damit verschwenden, dass über die Palmen von Cannes, nicht die goldenen, sondern die grünen, räsoniert wird. Oder über den Kaffee­sponsor, und die Mädchen, die dort Kritikern den Kaffee ausschenken. Oder das Hotel in Venedig, das einen Kritiker an eine Szene aus irgend­einem alten Film erinnert, und dann hangelt er sich an Asso­zia­tionen entlang, die irgendwie ganz geist­reich sind, aber nichts zu tun haben mit den Filmen, die wir auf diesem Festival gesehen haben, und nichts mit der Atmo­sphäre auf diesem Festival.

Es gibt aber auch guten Impres­sio­nismus. Der hat dann was damit zu tun, wie es ist, auf dem Festival zu sein. Der inter­es­siert sich primär für Phänomene und nicht primär für sich selbst. Michael Althen ist vom Festival in Venedig aus mal zur Biennale gefahren und hat die Filme, die er gesehen hat, in Beziehung gesetzt zu den Kunst­werken der Biennale. Das finde ich legitim. Man könnte natürlich sagen: »Soll er doch besser über drei Filme schreiben. Von der Biennale berichtet der Kunst­re­dak­teur.« Aber das, was einen starken Autor ausmacht, ist der persön­liche Zugang. Es gibt einen legitimen Impres­sio­nismus! Gerade im Netz.

Festi­val­be­richte sind etwas anderes als eine Film­kritik. Heute muss man von Festivals täglich berichten. Das ist völliger Unsinn! Wolfram Schütte hat früher maximal drei Berichte über ein zwei­wöchiges Festival geschrieben. Trotzdem ist er die volle Zeit da gewesen, die Zeitung hat das finan­ziert, und keiner hat gefragt, warum er nicht statt­dessen Redak­ti­ons­dienst schiebt. Viel­leicht ist dieser tägliche Schreib­zwang heute auch ein Grund für die Tendenz zum Impres­sio­nismus.

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Wir alle – nicht nur die Film­kritik – leiden derzeit unter dem Problem der Post­mo­derne: Dass es so etwas wie gültige Welt­an­schau­ungen und Philo­so­phien, einen Kanon, bestimmte feste Bewer­tungs­maßs­täbe, an denen wir einen Film objektiv messen könnten, nicht gibt. Oder wenigs­tens nicht zu geben scheint. Das heißt: Jeder Kritiker trägt seinen Kanon in sich. Er ist das Medium, durch das der Film zur Sprache kommt, und ich glaube, dass es besser ist, diese Tatsache mit einzu­be­ziehen in die Film­kritik: Dass Film­kritik subjektiv ist, dass wir als Kritiker gar nicht anders können, als unsere eigenen Empfin­dungen, unsere persön­li­chen Vorlieben, oder die Tatsache, dass man einen Film viel­leicht nur mag, weil man auf die Haupt­dar­stel­lerin steht, zum Thema zu machen. Weil man nur dann dem Leser die Möglich­keit zur Ausein­an­der­set­zung damit gibt.

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Zugleich die Gegen­these: Michael Althen beschreibt an Buchka »...eine tiefe Über­zeu­gung, daß man gerade als Kritiker das Kino nicht wichtiger nehmen dürfe als das Leben, von dem es sich nährt.
Das bedeutete nicht nur, dass er sich von keinem Festi­val­stress sein geruh­sames Essen und sein Glas Wein nehmen ließ, sondern vor allem, dass er mit seiner Person für das einstand, was sich hinter solchen Weis­heiten verbirgt. Über Filme konnte man wohl mit ihm streiten, aber niemals hätte er zuge­lassen, daß man sich darüber zerstritt. Das sagt sich so leicht und ist doch keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit.«

Und er lobt Buchkas Toleranz: »Natürlich haben wir mit ihm gestritten, aber genauso natürlich blieb er unser Held. Denn weit und breit war er der einzige, der von der Meinungs­viel­falt nicht nur geredet, sondern sie auch prak­ti­ziert hat. Sein Interesse an anderen Stand­punkten war tatsäch­lich Programm. Und es gehörten schon Größe und ein gänz­li­cher Mangel an Eitelkeit dazu, nicht nur sich, sondern auch das Blatt für Meinungen zu öffnen, die er nicht unter­schrieben hätte. Er hat sie nicht nur zuge­lassen, er hat sie im Zwei­fels­fall auch vertei­digt. Das muß man ihm erst mal nach­ma­chen.«

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Warum ich das schreibe? Solche Tugenden geraten mehr und mehr in Verges­sen­heit. Zual­ler­erst die Tugend, das Leben zu genießen, sich nicht durch Filme und erst recht nicht durch den Stress, den Redak­tionen machen, verrückt machen zu lassen. Gerade in den zurück­lie­genden Tagen in Cannes konnte man sehen, wie wenige diese Tugend beherr­schen – und ob ich sie selber so gut beherr­sche, da bin ich mir auch nicht sicher.

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»Es ist das große Mißver­s­tändnis, wenn man immer noch glaubt, der Film bewahre nur das Sichtbare in seiner natür­li­chen Bewegung. Dabei ist das Unsicht­bare, das er in seinen Bildern trans­por­tiert, sehr viel wichtiger: also Bewegt­heit statt Bewegung, Sehnsucht statt Handlung, Geist statt Natur. Nur dadurch ist der Film zu einer Kunst geworden, daß er in der Lage ist, die geheimen Antriebs­kräfte des mensch­li­chen Daseins in den gewöhn­li­chen Erschei­nungen mitzu­lie­fern und einsehbar zu machen.« – Peter Buchka

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Worum also geht es in der Film­kritik? Es geht entgegen allem Anschein nie um Argumente, sondern es geht immer um Empfin­dungen.
Deswegen ist der Geschmack, die Bildung, die Empfind­sam­keit und die Neugier von Film­kri­ti­kern essen­tiell. Aber viele Texte sind nur borniert.

Die Film­kritik muss das Unsicht­bare aufspüren, muss dem Unsicht­baren Gestalt geben. So verstehe ich Buchka.

Die Verant­wor­tung der Kritik zielt nicht auf den Film, auf die Kunst, sondern auf die Gesell­schaft. Die Verant­wor­tung ist es zunächst einmal, genau hinzu­sehen. Und dann genau das aufzu­schreiben, was man denkt, was man empfindet, selbst wenn es ein »terrain vague« ist, selbst wenn es dem überhaupt nicht entspricht, was irgend­welche Anderen geschrieben haben.

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Wer nur vom Film etwas versteht, der versteht auch vom Film nichts. Das schrieb – wörtlich? sinngemäß? – angeblich der Film­kri­tiker Serge Daney (oder laut FAZ-Kriti­kerin Verena Lueken auch Manny Farber) über Film­kritik. Damit ist eine klare Aufgabe formu­liert: Man muss sich umschauen über die Ränder, nicht nur die Teller­ränder, hinaus; man sollte sich, wenn man sich mit Film­kritik beschäf­tigt, nicht nur mit Filmen beschäf­tigen. Sondern auch mit anderer Kunst, mit Politik, mit Tendenzen und Trends in der Gesell­schaft. Dies muss ab und zu mal gesagt werden – auch hier in dieser Kolumne, für all jene nämlich, die reflex­artig auf bestimmte Passagen im Cinema Moralia antworten: »Was hat denn das mit Film zu tun?« Oder gar noch schlimmer, nämlich schon die Antwort kennend: »Das hat doch mit Film nichts zu tun.«

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»Erst 'Black Lives Matter', dann Corona, nun der Krieg« titelt am 11.04.2022 das Feuil­leton der SZ und berichtet über die aktuelle Whitney Biennale in New York: »Eine Biennale soll einen Moment abbilden. ... Doch eine solche Abbildung der Gegenwart birgt Gefahren. Die Kuratoren müssen mit einer unge­si­cherten These darüber operieren, was denn diese Gegenwart ausmacht. In Zeiten wie diesen, da sich die Gegenwart so rasch verändert wie selten, ist diese Aufgabe besonders schwierig.«
Der Autor erinnert an das Jahr 1993: »Die Ausstel­lung rief bei der etablierten Kritik einen wahren Furor hervor. Ein solches Ausmaß der Poli­ti­sie­rung der Kunst war man damals noch nicht gewohnt. Die Biennale wurde als 'Agit-Prop' und 'stumpfe Didaktik' kriti­siert. Das Ästhe­ti­sche sei so stark zu kurz gekommen, dass man zwischen den Werken und reiner, nicht-künst­le­ri­scher Polemik nicht mehr unter­scheiden könne.«

Kommt einem bekannt vor. Wahr­schein­lich wird man, wenn die jetzige Welle vorbei ist, wieder 30 Jahre Ruhe haben und dann kommt die nächste und dann wird man sich an das Jahr 2022 erinnern.

Es sind Skizzen zu einer Realität, die im Werden begriffen ist und die keiner von uns schon so richtig zu verstehen vermag. Und als solche sind sie viel­leicht die passendsten Abbil­dungen des Augen­blicks.

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Es gibt viele kluge Beob­ach­tungen von Pier Paolo Pasolini; das Beob­achten zieht sich durch die »Frei­beu­ter­schriften« wie den »Petroleo«. Um 1970, als er beide Texte schrieb, ereignete sich eine viel einschnei­den­dere gesell­schaft­liche Umwälzung als Faschismus und Indus­tria­li­sie­rung. Sie zerstöre die »natürlich gewach­senen« Alltags­kul­turen, bringe sie zum völligen Verschwinden, und mit ihnen auch die eine Möglich­keit, eine Vorstel­lung davon zu haben, was Glück wäre. An ihre Stelle tritt, so Pasolini, einzig eine medial zentral gesteu­erte Variante bürger­li­chen Bewusst­seins, die sich selber zwangs­läufig verkennen und miss­ver­stehen muss. Um drastisch zu illus­trieren, was er meint, schrieb Pasolini damals den Satz: »Der Unter­schied zwischen Faschisten und Anti­fa­schisten ist sekundär geworden.« Heute würde man Pasolini für sowas mögli­cher­weise als Quer­denker gesell­schaft­lich ächten. Wir leben in einer Welt, in der man in bestimmten Redak­tionen nicht einmal mehr Corona und Ukraine-Krieg in einem Satz schreiben darf oder mitein­ander verglei­chen, ohne in das zu geraten, was man früher Verschiss genannt hätte.

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Kritik wie auch Literatur oder Film in der Weimarer Republik und überhaupt im ersten Drittel des 20. Jahr­hun­derts sahen es als seine selbst­ver­s­tänd­liche Aufgabe an, die Zeit­um­s­tände nicht nur abzu­bilden, sondern sie aufmerksam bis polemisch zu kommen­tieren und nicht zuletzt Nach­bes­se­rung zu fordern.

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Aber heute nun? Der Kritik geht es nicht gut. Mehr denn je steht ihre Zukunft infrage. Mit der Exis­tenz­krise, die das Kino gerade erfährt, ist auch Film­kritik in ihrer Substanz gefährdet.

Man scheint sie nicht mehr zu brauchen. Aber braucht Kritik sich selber denn? Wenn sie sich selber nicht will, nicht achtet, warum sollten andere sie wollen und achten?

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Das Wich­tigste, was Kritik braucht, ist: Sie muss persön­lich werden. Sie muss direkt werden. Sie muss den Mut haben, Dinge beim Namen zu nennen.
Keine Compli­ance, sondern »noma­di­sche Selbst­kritik« im Sinne von Geoeg Seeßlens Text von 2014.
Die Kritik ist aber heute klein­mütig und feige geworden und sie versteckt diese Feigheit hinter der Floskel der Höflich­keit; hinter dem Verzicht auf »Kolle­gen­schelte«, die eigent­lich Kritik auf Augenhöhe ist; hinter der Absage an soge­nannte »Nest­be­schmutzer«. Auch so ein Naziwort, das der deutschen Sprache erhalten geblieben ist.

Aber es gibt bei uns keine Debatten, die direkt geführt werden, sondern alles nur verklau­su­liert, immer wieder. Damit sprechen sie allen­falls Insider an. Genau dies, dieses Insi­dertum, ist der Tod der Kritik.

Man sollte viel­leicht einmal gute 200 Jahre zurück­bli­cken in die große Zeit der späten Aufklärung, der Klassik und der Romantik, die auch die größte Zeit der Kritik in Deutsch­land ist. Es blühten seiner­zeit die Zeit­schriften so wie heute die Blogs.
Und es gab Debatten zwischen Frak­tionen aller Art, die uns heute überhaupt nicht mehr klar sind: Goethe und Schiller stritten sich, um dann wieder gemeinsam gegen die Roman­tiker zu ziehen und gleich­zeitig gegen alle Altmo­di­schen und Konser­va­tiven; die Roman­tiker zerstritten sich unter­ein­ander, stritten mit den Aufklä­rern, stritten mit den auslän­di­schen Roman­ti­kern. Autoren, die heute längst untilgbar im Kanon stehen wie Friedrich Schlegel oder Heinrich von Kleist, galten als nahezu verrückt und wurden öffent­lich auch so genannt.

Man konnte sehr wohl auch diffe­ren­zieren, wie beispiel­haft eine Anmerkung Goethes über den heute zu Recht völlig unbe­kannten, damals wichtigen Kompo­nisten Reinhard zeigen soll: Der sei »von der musi­ka­li­schen Seite unser Freund, von der poli­ti­schen unser Wider­sa­cher« – wohl­ge­merkt handelt es sich um eine öffent­liche Äußerung, nicht etwa um eine private. Und klarer­weise war Goethe nicht irgendwer, sondern ein solches Wort kam der Vernich­tung des Kompo­nisten in manchen Kreisen gleich.

Oder nehmen wir die belei­digte Sippen­haf­tung, die Schiller dem August Wilhelm Schlegel ange­deihen ließ: Nachdem dessen Bruder Friedrich Schlegel öffent­lich die Zeit­schrift die »Horen« kriti­siert hatte, kündigte Schiller dem Bruder die Mitarbeit bei eben dieser Zeit­schrift.

Um Vernich­tung geht es nicht. Sehr wohl aber ums Befeuern von Kontro­versen, die sich um Form und Inhalte drehen, um poli­ti­sche Haltungen und ästhe­ti­sche Posi­tionen.

Wo sind derartige Kontro­versen heute?

Gerade im Film scheut man vor all dem zurück, was in der Lite­ra­tur­kritik und in der Thea­ter­kritik noch sein mag: Feind­schaften, Wider­spruch und vor allem die persön­liche Benennung von Wider­spruch.

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Beispiele, warum nenne ich hier eigent­lich keinerlei aktuelle Beispiele für solchen großen Thesen? Könnte und würde ich schon nennen. Diese Frage muss man daher an andere richten. Auf persön­liche Nachfrage nenne ich gern Namen und Medien. Email an suchsland@gmx.de genügt.

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Noch kurz zum Poli­ti­schen: In den letzten Tagen sprach mich jemand an, und fragte »Warum schreibst Du eigent­lich poli­ti­sche Texte auf artechock?« Ich dachte schon oje oje jetzt geht es schon wieder um Cinema Moralia. Aber nein. Die Person meinte meine Rezension zum Francois-Ozon-Film.
Darin ist ein kleiner Exkurs über Ster­be­hilfe, der nicht nur über die Geschichte des Freitods und die derzei­tige juris­ti­sche Lage in Europa infor­miert, sondern auch ziemlich klar macht, dass ich finde, man sollte Ster­be­hilfe in jeder Hinsicht und in allen Ländern lega­li­sieren – das ist übrigens auch die Position von François Ozon.
Was diese kleine Anekdote aber zeigt, ist eigent­lich: was politisch ist, das liegt im Auge des Betrach­ters. Anders gesagt: alles ist politisch. Erst recht im Kultur­be­reich, da sind die Grenzen noch viel fließender.

Aber selbst­ver­s­tänd­lich ist es auch politisch, wenn Robert Habeck bei »Markus Lanz« erzählt, warum er gern ein Mett­bröt­chen isst oder es besser wäre, das nicht zu tun (das hat er gemacht) oder wie wir erst kürzlich gesehen haben: Wo Minis­te­rinnen ihren Urlaub verbringen und wann und warum?

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Politik ist also wichtig und unver­zichtbar. Sie verschwindet. Statt­dessen: Cheesy Poli­ti­sie­rung. In Filmen wird abgefragt, wie weit sie eigene Haltungen abbilden, wie weit sie das, was angeblich gesell­schaft­lich notwendig und wünschens­wert ist, zeigen. Wenn sie das tun, sind sie gut, wenn sie das nicht tun, sind sie schlecht. An Filmen wird gelobt, weil sie »einen wichtigen Beitrag zum Vers­tändnis von Lebens rea li täten«. Gibt es auch unwich­tige Beiträge? Und warum muss man alles verstehen?

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Es niemandem recht zu machen, ehrt die Kritik. Fehler zu machen, ehrt die Kritik.

Auf der hand­werk­li­chen Ebene ist Poli­ti­sie­rung der Kritik das Falsche. Auf der ästhe­ti­schen Ebene gilt: Es gibt keine richtige und keine falsche Kritik, es gibt nur unehr­liche Kritik.

(to be continued)