Frankreich 2021 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: François Ozon Drehbuch: François Ozon Kamera: Hichame Alaouie Darsteller: Sophie Marceau, André Dussollier, Charlotte Rampling, Hanna Schygulla, Géraldine Pailhas u.a. |
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Versucht man sich zu helfen oder ist es letztlich nur Eigennutz? | ||
(Foto: Alamode) |
»Ich finde oft, dass der Tod zum Leben passt, das ein Mensch geführt hat. Die Menschen sterben nach ihrer Façon.«
»Früher gab es mehr Unbekümmertheit, mehr Freiheit. Ich bin nicht sicher, ob ich die Welt von heute wirklich liebe.« – Sophie Marceau
Eines Morgens erhält die Verlegerin Emmanuèle (Sophie Marceau) einen Anruf mit schlechten Nachrichten: Ihr Vater André hatte einen Schlaganfall und liegt im Hospital, seine beiden Töchter, die jüngere Emmanuèle und ihre Schwester Pascale (Geraldine Pailhas) müssen sich um ihn kümmern. Denn Andrés Zustand ist schlecht und wird nur sehr langsam ein bisschen besser. Er ist teilweise gelähmt, viele Körperfunktionen funktionieren nicht mehr selbständig. Er wird künstlich ernährt, er muss diverse Therapien über sich ergehen lassen, aber da er alles mit wachem Kopf miterlebt, fühlt er sich auch von allen anderen bevormundet; er will das alles nicht. Nicht mehr.
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Wenn man sich nun fragt, ob man so eine Geschichte überhaupt im Kino sehen möchte, kann man beruhigt sein: Dieser Film zieht einen hinein. Er ist nicht nur zurückhaltend, nüchtern und wahrhaftig erzählt, sondern trägt paradoxerweise immer wieder bis zum Ende ein bisschen auch Züge einer Komödie. Das liegt insbesondere an dem ironisch-selbstironischen Spiel von André Dussollier in der Rolle des Vaters; es liegt aber auch an dem sehr gut geschriebenen Drehbuch Ozons und seiner
Vorlage. Denn »Alles ist gut gegangen« ist die Adaption eines Romans von Emmanuèle Bernheim. Bernheim (1955-2017) war auch eine gefragte Drehbuchautorin und als solche langjährige Mitarbeiterin Ozons. Sie schrieb unter anderem an dreien der bekanntesten (und besten) Ozon-Filme mit: Unter dem Sand (2000), Swimming Pool (2003) und 5 × 2 – Fünf mal zwei (2004). Ebenso entstand auch der ungewöhnliche und im Gesamtwerk von Claire Denis zu Unrecht ein bisschen vergessene Film Freitag Nacht (2002) nach einer Romanvorlage Bernheims, zu der die Autorin dann selbst das Drehbuch verfasste.
In dem autobiographischen Roman Tout s'est bien passé (dies auch der Originaltitel von Alles ist gutgegangen) beschrieb sie das Sterben ihres eigenen Vaters André Bernheim.
Man muss das in diesem Fall tatsächlich alles wissen, um zu verstehen, wie dieser Film tatsächlich funktioniert, jedenfalls in Frankreich.
Die Bernheims sind eine illustre und durchaus ein bisschen schillernde, großbürgerliche und intellektuelle Pariser Familie. Sie waren und sind bekannt. In gewissen Kreisen – und über diese hinaus.
Emmanuèle Bernheim war als Person und Autorin bekannt, ebenso ist es ihre (tatsächlich fünf Jahre jüngere) Schwester, ebenso ihre Eltern. Ihre Mutter Claude Rosine de Soria (1926-2015). Ihr Lebensgefährte war Serge Toubiana (Filmkritiker, langjähriger Direktor der Cinémathèque française und seit 2017 Präsident der Unifrance). Es geht hier also nicht um irgendwelche Leute.
Jenseits davon, dass dieser Film als Film wahrgenommen wird und als ein facettenreicher Essay über das Thema Sterbehilfe, enthält er auch kaum verschlüsselt eine gewisse voyeuristische Komponente und befriedigt die Schaulust des Publikums. Dass für ihn Schaulust ein ganz wesentlicher Bestandteil des Kinos ist, der von diesem den man von diesen nicht wegdenken kann, daraus hat François Ozon niemals ein Hehl gemacht.
Wie in vielen französischen Filmen ist das Milieu ebenfalls ein bestimmtes, und nicht das der breiten Masse. Es geht es um die gebildete Oberschicht, Menschen, die in schön eingerichteten großen Wohnungen mit großen Bücherregalen leben, die Literatur ebenso zu schätzen wissen, wie klassische Musik, die Ausstellungen besuchen, Ferienhäuser haben und für die Geld kein Problem ist – man will in Frankreich eben nicht irgendwelche Leute auf der Leinwand sehen, sondern bestimmte. Modelle, Vorbilder. Universale Menschen, die so sind, wie nicht alle sind. Wie nicht alle sein wollen. Aber sein sollen.
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Trotz einiger lustiger oder sarkastisch-witziger Momente wird das Geschehen um Andrés Schlaganfall in seiner Härte nicht verniedlicht. Sondern es wird kühl und nüchtern geschildert. Es bleibt immer klar: Etwas Furchtbares ist geschehen und geschieht weiter. Man möchte nicht in dieser Lage sein, man möchte das nicht erleben. Auch nicht in der Lage der Töchter. Ozon zeigt, was es bedeutet, ein schwer und unheilbar krankes Familienmitglied zu haben. Er zeigt dies gerade in der
nervtötenden Alltäglichkeit, die schlimmer ist, als Schock und Schmerz: Die ständigen Besuche im Krankenhaus; die Gespräche mit den Ärzten, die immer nur Verschlechterungen mitteilen können; die Spaziergänge durch die langen Flure, die ewig zu dauern scheinen...
Ozon nähert sich dem Schrecken, der Krankheit und dem Sterben kühl und sarkastisch. Inkorrekt für manche.
Ob der Film damit schon unkonventionell ist, ist eine andere Frage. Es wird Leute geben, die Ozon vorwerfen, einen konventionellen Film gemacht zu haben – und im Prinzip macht dieser Regisseur sehr oft konventionelle Filme, aber er macht sie auf einem hohen Niveau und auf eine Art und Weise, der immer etwas Nicht-Konventionelles eigen ist.
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Dazu kommen im Film die Rückblicke. In den Wochen nach dem Schlaganfall erinnert sich die Tochter an ihre Kindheit. Etwa 40 Jahre ist das her, Anfang der 80er. Dieser Vater war nicht immer nett. Warum auch? Welche Eltern sind das schon? Und Filme sind nicht dazu da, reale Familienverhältnisse zu verkitschen und zu mythisieren. Es waren auch keine Horrorsituationen, die Emmanuèle passiert sind. Dieser Vater hat seine Töchter schikaniert, wie viele Eltern das tun, weil sie selber immer wieder auch kindisch sind, und egozentrisch und oft ihre ganz eigenen Probleme haben. Gerade Emmanuèle hat André früher einiges zugemutet. Er hat ihr ein »Stopfst du dich wieder voll?« an den Kopf geworfen, und sie musste auch mit seinen schweren Depressionen umgehen, etwas, was das junge Mädchen gar nicht gut bewältigen konnte. Wer kann schon damit umgehen, wenn der eigene Vater sagt: »Wenn ich eine Knarre hätte, würde ich mir das Hirn wegschießen.« Manchmal hasste sie damals ihren Vater. Aber sie liebt ihn auch. Jetzt ist er von ihr abhängig. Und es zeigt sich, dass trotz mancher Verletzung ein herzliches Vertrauensverhältnis besteht.
Ist es Zufall, oder ein etwas guter schlechter Witz, wenn Ozon eine Szene zeigt, in der einen Tourist die Hauptfigur Emmanuèle auf einer Metro-Karte fragt: »Wo sind wir?« Und ihre Antwort lautet: »Stalingrad« – wie der Name der Metrostation in Paris. Aber nicht nur.
Dann schneidet Ozon direkt wieder in einen Rückblick: »Kannst du keine Karten lesen?« herrscht der Vater darin die Tochter an.
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Als es dem Vater nicht besser geht, kommt irgendwann seine entscheidende Bitte an die Tochter: »Du musst mir helfen, Schluss zu machen. Verstehst du?« Sie versteht.
Aber zunächst verweigert sie sich dieser letzten Zumutung. Die auch ein Liebesdienst ist.
Was tut man da? Obwohl André schwer krank ist, ist er noch bei klarem Verstand und weiß genau, was er seiner Tochter zumutet. So wie Ozon die Vater-Figur darstellt, ist es über weite Strecken des Films so, dass uns Zuschauern (und seinen Töchtern?) nicht klar ist, wie sehr er kämpft und warum er glauben könnte, dass es unbedingt Zeit ist, zu gehen.
So wird aus dem Film das Sterbehilfe-Familien-Drama. Das dreht sich zunächst um die zentrale Frage, ob Emmanuèle seinem Wunsch nachkommen
soll. Dieser selbst ist entschlossen und schwankt nur ein einziges Mal kurz, als er seinen Enkel bei einem Klarinettenkonzert sehen will. Als sich Emmanuèle schließlich dazu durchgerungen hat, dem Vater bei seinem Wunsch auf Freitod zu helfen, geht es um praktische Fragen. Denn in Frankreich darf André nicht durch Sterbehilfe sterben – für das Gesetz leidet er dafür noch nicht genug.
Darum reist man in die Schweiz.
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Kleiner Exkurs: Die Frage des Rechts auf einen freien Tod – überhaupt oder zumindest in Fällen schweren Leidens – und der der Euthanasie (eu-thanatos heißt der schöne, der glückliche Tod) gehört zu jenen philosophischen Grundsatzfragen, die seit jeher, seit Anbeginn der Geschichte der freien, zivilisierten Menschheit kontrovers debattiert werden. Klar ist, dass mit »Recht« hier nur das moralische Recht gemeint ist, nicht das juristische Recht des Staates, und
nicht das ethische des einzelnen, für sich handelnden, selbstbestimmten Menschen. Das juristische Recht des Staates wird hier sehr wohl berührt, wenn ein Staat oder der ihn bestimmende Teil der Gesellschaft meint, jenen, deren eigener Freitod fehlschlägt, für den bloßen Versuch bestrafen zu müssen. Oder in jedem Fall jene, die ihm dabei helfen. Umgekehrt muss der Staat ein solches Recht per Gesetz gar nicht erlauben; das erlauben sich die einzelnen Menschen schon selber.
Die
vielleicht doch fortschrittlichste, modernste, an der Selbstbestimmung des Einzelnen, freien Menschen orientierte Position haben darin die antiken Philosophen eingenommen: Im alten Griechenland und im Römischen Reich war das Recht auf Freitod üblich, vollkommen unabhängig davon, ob die Gesellschaft dies per Einzelfallprüfung und Leidensabwägung sanktioniert hat. Wer nicht mehr leben wollte, durfte sterben. Wer hätte hier mehr Recht und bessere Kenntnis, um alles zu
beurteilen, als allein die Person, die es betrifft.
In der Menschheitsgeschichte seit der Antike wurden diese Fragen zunehmend repressiv behandelt, und insbesondere im christlich-abendländischen Kontext mit Tabus und Verboten und der Androhung von Höllenqualen belegt.
In privaten Kontexten war die Betrachtung von Freitod und Sterbehilfe immer differenzierter, ebenso in allen außer-christlichen Zusammenhängen. Oft genug wurde der Freitod in bestimmten Fällen als ehrenvolles Verhalten, oder ehrenvoller oder zumindest
angemessener Ausweg angesehen. Insofern als ethisch wertvolle zumindest akzeptable Tat.
Inzwischen leben wir in Deutschland und erst recht im übrigen Europa in Verhältnissen in denen – nach neuesten Zahlen, und auf Deutschland bezogen – weniger als die Hälfte der Bevölkerung noch Mitglied in den großen christlichen Kirchen ist, und noch weniger an alle christlichen Gebote glauben. Weder das Gebot »Du sollst nicht ehebrechen«, noch »Du sollst Vater und Mutter ehren« noch »Du sollst nicht töten« noch »Du sollst nicht lügen« sind Grundsätze, die von den allermeisten der halbwegs vernünftigen Menschen geglaubt oder auch nur beachtet werden. Alles ist relativ, auch Werte, erst recht christliche Gebote.
Inzwischen sind der – wie es heißt – »Selbstmord« und »Beihilfe zum Selbstmord« in Deutschland auch tatsächlich nicht mehr strafbar. Was längst nicht alle wissen. Sehr wohl strafbar allerdings ist die »Tötung auf Verlangen.« denn dies ist die Tötung eines anderen, nicht die Selbsttötung, und deswegen fällt dies juristisch unter – je nachdem – Körperverletzung mit Todesfolge, Totschlag oder Mord. Hierzu gehört auch die sogenannte Sterbehilfe, also die
Beihilfe zum Freitod im Fall von Menschen, die dazu selbstständig nicht mehr in der Lage sind.
Hier nun wird es kompliziert und oft genug, wie mir scheint, unmoralisch. Genau darum geht der Film. Hat der Staat, haben die Mitmenschen das Recht, einen geistig autonomen Menschen gegen seinen Willen zum Weiterleben zu zwingen?
Das ist in allen europäischen Ländern, auch unserem Land sehr aktuell. Spanien und die Benelux-Länder sind diejenigen europäischen Staaten, in denen es möglich ist, in Absprache mit dem Arzt ein Mittel zu erhalten, das den Tod herbeiführt. Andere Staaten wie die Schweiz sehen zumindest die Beihilfe zum Suizid als Möglichkeit vor, wobei die Handlung von den Sterbewilligen selbst durchgeführt werden muss. Das führt in der Praxis zu komplizierten, zum Teil entwürdigenden Praktiken und so ziemlich viel Heimlichtuerei in den letzten Minuten eines menschlichen Lebens – allein damit die Sterbehelfer juristisch auf der sicheren Seite bleiben.
Frankreich hingegen lässt nur passive Sterbehilfe zu, wenn die Behandlung eines unheilbaren Patienten beendet wird. Salopp gesagt: »den Stecker rauszuziehen« ist erlaubt, ein Medikament zu geben nicht.
Wer wie André »nur« schwer in seiner Beweglichkeit eingeschränkt ist, aber weiterhin irgendwie und sei es auch noch so kompliziert und unzumutbar und teuer weiterhin die meisten Aufgaben des (Über-)Lebens erfüllen kann, ist gezwungen, auch gegen seinen Willen,
weiterzuleben.
Oder man hat genug Geld und Wissen und Hilfe, um in besagte Länder zu gehen und sich dort das Sterben ermöglichen zu lassen.
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Zu all dem hinzu kommt noch die innere Familien-Dynamik: Ungeklärte Themen der Vergangenheit müssen aufgearbeitet werden, insbesondere das Verhältnis zur getrennten, aber noch verheirateten Mutter (Charlotte Rampling), die André während der Ehe betrogen hat – mit einem Mann. Auch die an sich vertraute Beziehung der beiden Schwestern ist berührt. Die schwelende gegenseitige Eifersucht, wer denn nun die Lieblingstochter des Vaters war und ist, flammt wieder auf –
ausgerechnet über die Frage, wer vom Vater um Hilfe beim Freitod gebeten wurde.
Die Frage, die sich in vielen Momenten immer wieder stellt, ist: Versuchen die Figuren wirklich, einander zu helfen, oder ist es letztlich einfach nur Eigennutz?
Bestimmte Elemente wie die Geschichte der Familie und die Kindheit des Vaters in der Shoah, oder auch seine homosexuellen Affären, wirken etwas aufgesetzt. Doch sie kommen bereits im Roman vor und die Informationen über die realen Figuren und Ozons langjährige Freundschaft mit ihnen, die im Abspann des Films noch einmal beschrieben werden, vertiefen all dies im Nachhinein.
Tout s'est bien passé ist damit nicht nur eine Darlegung des Dilemmas des
Sterbens, sondern auch eine Manifestation an eine Freundschaft und ein letzter Freundschaftsdienst, an eine wichtige Mitarbeiterin.
Was auch immer gewisse Schwächen sein mögen, Alles ist gut gegangen findet einen bewegenden Schlussakt, der in dem einfachen, aber verheerenden Moment aufs Schwarz schneidet.
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François Ozon (u.a. 8 Frauen, Frantz) ist der wohl produktivste unter den französischen Autorenfilmern der Gegenwart. Auch nach 25 Jahren dreht er weiterhin Filme wie am Fließband: Es vergeht kein Jahr, in dem er nicht mindestens einen, manchmal sogar zwei Filme fertigstellt. Sie sind durchweg von einer
typischen Handschrift und großem technischen Können geprägt und laufen auf den großen Festivals der Welt.
In diesem Fall gelingt Ozon eine vielschichtige und erstaunlich heitere Betrachtung von Sterben und Tod. Der Regisseur wagt den Blick in die unangenehmen Seiten unseres Lebens, die wir alle gern verdrängen. Er nähert sich dem Schrecken, und erzählt doch auch eine »typisch französische« Familiengeschichte, die lustvoll und gebildet ist. Getragen von vielen hervorragenden
Schauspielern, zu denen auch die Deutsche Hanna Schygulla in einer knappen Rolle als Schweizer Sterbehelferin gehört, bleibt vor allem die großartige Leistung der Hauptdarstellerin Sophie Marceau im Gedächtnis.
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Mit 12 und vielleicht auch noch mit 15 war ich in Sophie Marceau verliebt. La Boum – Die Fete natürlich, wie viele in meinem Alter. Dann, 1985 beim Sprachaufenthalt in Tours hatte ich einen unvergesslichen Kinoabend mit Maurice Pialats klassischen Kriminalfilm Police,
in dem Marceau die Hauptrolle spielt. Die Sexszenen mit Gerard Depardieu fand ich ziemlich hässlich. Seitdem habe ich mich immer wieder gefragt, ob ich Marceau nur mag, weil ich sie attraktiv und begehrenswert finde, oder auch, weil sie eine gute Schauspielerin ist? Sie macht immer wieder gute bis sehr gute Filme, aber nicht besonders viele, sie macht Fehler, die sie freimütig zugibt. Sehr lesenswert ist dazu das schöne Gespräch, dass Johanna Adorjan mit Marceau für das SZ-Magazin geführt hat. Darin sagt Marceau einen schönen Satz über ihren frühen Ruhm und die Tatsache, dass alle Männer noch heute in sie verliebt sind, und alle Frauen dieser Generation sich in ihr spiegeln: »Wenn man schon bekannt ist, dann doch besser so. Bei mir ist es wie bei Spiderman: Ich wurde sehr früh
gestochen, ich war erst 13, noch nicht fertig entwickelt. Ich bin halb Sophie Maupu und halb Sophie Marceau. Das ist Teil meiner Genetik.«
Wir hören auch die absurde Anekdote, dass Regisseur Francois Ozon tatsächlich in La Boum 2 als Statist mitgemacht und kurz zu sehen ist. Und dann noch: »Ich war mir vielleicht über die Bedeutung, die La Boum für so viele hatte, nicht klar. Früher gab es mehr Unbekümmertheit, mehr Freiheit. Ich bin nicht sicher, ob ich die Welt von heute wirklich liebe. Aber jetzt klinge ich wie eine alte Frau von gestern. Sagen wir so: Wandel gehört zum Leben, und im Moment erleben wir einen großen gesellschaftlichen Wandel.«
Aber das alles wirklich nur nebenbei.
Jedenfalls wirkt auf mich die Karriere von Sophie Marceau so, als würde sie, obwohl sie in Frankreich ein Star ist, doch zwischen den Deneuves, Binoches und Cotillards immer etwas unter Wert wahrgenommen und betrachtet, so als könnte das französische Kino bis heute nicht richtig frei mit ihr umgehen. Undenkbar, dass Desplechin, Bonello, Denis oder Assayas mit ihr drehen. Warum eigentlich?
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In dieser Hauptrolle brilliert Marceau und beweist, dass sie eine ausgezeichnete Charakterdarstellerin ist. Damit ragt sie noch hinaus über den Rest dieses guten Films.
Die Frage des Vaters ist universal und wird in der einen oder anderen Weise uns allen einmal bevorstehen. Ozons Film beschäftigt sich auch mit unserer Verweigerung, uns solchen Problemen und der eigenen Sterblichkeit zu stellen.
Ein Anruf, der einen aufschreckt, der brutal in den Alltag eindringt: er erreicht Emmanuèle (Sophie Marceau) an ihrem Schreibtisch zu Hause, sie sitzt vor ihrer mit edlen Klassikerausgaben vollgespickten Bücherwand am Laptop beim Arbeiten an einem Text. Der Anruf lässt sie überstürzt aufbrechen. Es dauert ihr zu lange, bis der Aufzug heraufkommt, sie eilt die Treppe hinunter, die Stufen verschwimmen vor ihren Augen, sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt, sie kehrt um, vor dem Badezimmerspiegel setzt sie hastig ihre Kontaktlinsen ein.
Sie macht sich auf den Weg ins Krankenhaus, in das ihr Vater André (André Dussollier) nach einem Schlaganfall vom Notarzt eingeliefert wurde. Die unvermutete Konfrontation mit dem Unausweichlichen trifft auch die Zuschauer*innen heftig, und im Film wird man dieser Begegnung mit Krankheit und Sterben bis zum Ende auch nicht auskommen. Doch in der Art und Weise, wie Ozon das hier behandelt, muss man keine Furcht davor haben. Und das nicht, weil er die Sache nicht ernst genug nehmen und das Thema bagatellisieren würde. Sondern weil er sie fast mit Leichtigkeit und unverkrampfter Natürlichkeit angeht.
Der Schlaganfall hat bei André zu einer Lähmung der rechten Seite geführt, er muss zunächst künstlich ernährt werden, er hat Beeinträchtigungen beim Sprechen und Sehen. Doch er ist sich sehr klar bewusst, wie es um ihn steht. So klar, dass er der Tochter seinen Wunsch mitteilt, sie möge ihm helfen, mit dem allen hier ein Ende zu machen. Er bittet sie ganz konkret und direkt um Sterbehilfe, fordert dies gar vehement ein. Emmanuèle ist schockiert. Und das ist das eigentliche Thema des Films. Wie Emmanuèle und ihre ältere Schwester Pasquale (Géraldine Pailhas) mit diesem Wunsch des Vaters umgehen und was er auslöst. Nach anfänglicher Weigerung, darauf einzugehen, lassen sie sich darauf ein und stellen bald fest, so einfach kann das nicht durchgeführt werden. In Frankreich jedenfalls nicht, ohne dass sie sich strafbar machen würden. Der Vater müsste dazu in die Schweiz reisen. Wie und ob sie das umsetzen können, erzählt der Film auf durchaus auch spannende und immer wieder nahegehende Weise. So bessern sich seine Beschwerden, er kann auch wieder vom Bett aufstehen und längere Zeit sitzen, Fortschritte, die die Töchter hoffen lassen, er könne von seinem Vorhaben wieder Abstand nehmen. Doch die Beharrlichkeit, mit der er seinen Entschluss aufrechterhält, ist groß; eine Sorge bei ihm ist lediglich, dass er die Klarheit und die Mündigkeit einbüßen könnte, die die Voraussetzung für die selbstbestimmte Durchführung des Aktes auch in der Schweiz sind. Emmanuèle muss in dieser Entschlossenheit auch einen Egoismus und eine Rücksichtslosigkeit des Vaters wiedererkennen, die ihr seit der Kindheit schon zu schaffen machten. So brechen hier alte Konflikte auf, auch zwischen den Schwestern, die der Vater auszunutzen versucht.
Ozon hält sich in seinem Drehbuch sehr eng an den autobiographischen Bericht der 2017 verstorbenen Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim, die selbst an den Drehbüchern für die früheren Ozon-Filme Unter dem Sand, Swimming Pool und 5 × 2 – Fünf mal zwei mitgewirkt hat. Die tatsächlichen Namen der Figuren werden auch im Film nicht verändert. Diese verbürgte Echtheit trägt sicher dazu bei, dass der Film authentisch wirkt, kann aber nicht allein die Eindringlichkeit erzeugen, mit der einen dieser Film packt.
Das Buch Bernheims ist in der Ich-Form geschrieben und protokolliert im Präsens das Erleben Emmanuèles sehr direkt und unvermittelt. Ozons Film nutzt glücklicherweise kein Voice-Over, um die Ich-Form irgendwie für den Film zu bewahren. Er wählt eine gefasste, fast schon distanzierte Erzählweise, die dicht am Geschehen bleibt, nichts beschönigt, aber auch nichts künstlich dramatisiert oder aufbauscht. Ozon verleiht den banalen Details, und auch den unangenehmen Wirklichkeiten eine ganz eigene Dignität, allein die Aufmerksamkeit, die er der Realität in seiner Inszenierung gewährt, würdigt sie im wahrsten Sinne des Wortes. So entsteht eine anrührende Ernsthaftigkeit, die keine emotionale Erpressung oder falsche Sentimentalität benötigt, um die Zuschauer und Zuschauerinnen zu bewegen. Man mag es Handwerk, Routine, oder auch ganz einfach höchste Meisterschaft in der Handhabung der filmischen Mittel nennen, die Ozon zu Gebote stehen. Ozon braucht nichts neu zu erfinden, er ist gewiss einer der großen Regisseure, denen die Konventionen des Kinos zur zweiten Natur geworden sind; er kann sie so einsetzen, als wären sie vollkommen unverbraucht und frisch; nichts wirkt hier abgegriffen. Und er kann mit diversen Genreformeln so umgehen, dass er sich letzten Endes einer Zuordnung zu einem Genre entzieht: er arbeitet in Tout s'est bien passé mit Mitteln des Melodrams, zielt aber nicht auf die Exzesse und Effekte des Melodrams, sondern versucht einfach dem Thema gerecht zu werden, und das gelingt ihm hervorragend. Und das nicht nur aufgrund des Stoffes der Buchvorlage, sondern auch dank einer souveränen Inszenierung zusammen mit den Schauspielern und Schauspielerinnen in den Hauptrollen wie Sophie Marceau und André Dussollier. In Nebenrollen tragen auch Hanna Schygulla, Charlotte Rampling und Jacques Nolot entscheidend zu diesem Meisterwerk bei, in dem es alle zusammen geschafft haben, die höchste Kunst vollkommen unangestrengt aussehen zu lassen.