ABSTAND/ZOOM
Film-Alphabet: T_TEEBEUTEL_TAGLINES |
![]() |
|
Trinh T. Minh-has Filme sind hochgradig reflexiv, vielleicht für sich genommen schon eine Tagline? | ||
(Foto: Trinh T. Minh-ha | Dokumentarfilmwoche Hamburg) |
Von Nora Moschuering
Ja doch, trotz der mühsamen Erfahrung mit dem Begriff »Jalousie« mache ich mich an einen anderen, erst einmal ziemlich nichtssagenden Begriff, den Teebeutel. Dieses Mal versuche ich aber erst gar nicht, ihn als Ding in Filmen zu finden – viel zu klein und kaum vorhanden. Die einzige Szene, die mir da in der Erinnerung kommt, ist aus Otto, der Außerfriesische. Darin identifiziert Otto den Teebeutel als einwandfreien Mehrkomponentenabfall, um umweltbewussten Menschen einen Schwung Eimer zur Mülltrennung zu verkaufen bzw. gegen Milch einzutauschen. Da ist Mülltrennung also eher der Marketinggag eines gewieften Friesen. Ich will den Teebeutel aber im übertragenen Sinn angucken, also als kleine Einheit, auf deren Etikett man Sinnsprüche drucken kann. Dabei trinke ich selber fast nur Kaffee (aber ich habe ja auch keine Jalousien an den Fenstern). Kaffee ist der Hauptgrund, weshalb ich morgens aufstehe, andere machen das vielleicht wegen des neuen Tages, ich mache es wegen des Kaffees. Aber mein Kaffee hat mir noch nie einen Sinnspruch mitgeliefert, so einen Teebeuteletikettenspruch. Ist ja auch schwer für ihn, in dieser ungeordneten Pulverform. Aber ich bin ungerecht, das machen natürlich auch die meisten Tees nicht, ich kenne eigentlich nur eine Marke, und auf die beziehe ich mich jetzt mal, ungenannt. Was ist das denn, dieser Hang zur konsumerablen Mindfulness, zu diesen Mini-Impulsen an scheinbar deepen Gedanken zur Welt? Warum haben wir überall diese Glückskekse des Innehaltens oder, und um noch einen Schritt weiterzugehen, zu diesen Taglines der »äh« Religion oder – noch mehr »äh«, der Philosophie? Diese Etiketten verhalten sich so ein bisschen wie Gokart zur Formel 1 oder Minigolf zum Golfen, wie Funken zum Internet oder eben einer Tagline zum Film.
Begonnen habe ich diese äußerst deepen Gedanken auf einer schönen, langen Bahnfahrt von der Dokumentarfilmwoche Hamburg zurück nach München. Dabei trank ich Tee. »Dieses Festival muss ich wieder auf dem Schirm haben. Allgemein alle Festivals, die habe ich ja fast vergessen«, dachte ich, während ich meinen Tee aus einer Thermoskanne trank, in der noch der Teebeutel schwamm. Die Ziehzeit war bereits um ein Vielfaches überschritten, also zog ich ihn raus und las dabei den Teebeuteletikettenspruch: »Beeindrucke nicht andere, beeindrucke dich selbst.« Das lass ich jetzt einfach mal so stehen. Das ist so stark, wie der Tee nach fünf Stunden Ziehzeit.
Wenn sich alle beruhigt haben, fahre ich fort. Der diesjährige Eröffnungsfilm der Dokumentarfilmwoche war Marco Kugels Die Karte der Schönheit. Das ist ja an sich schon mal ein Titel, der perfekt auf ein Teebeuteletikett passt. Schöner wäre natürlich »Entdecke die Schönheit der Landschaft in dir« oder so, aber man kann nicht alles haben. Der Titel war hier schon eher eine Art Logline, denn genau das hat der Film gezeigt: wie eine Karte der Schönheit hergestellt wird. Er begleitet den Landschaftsplaner und Wissenschaftler Michael Roth, wie dieser 10.000 Fotografien (ähnliche Winkel, Licht, Höhe, also ein Versuch der Vereinheitlichung) in ganz Deutschland machen lässt und sich auf diese Weise etwas annähert, was gemeinhin in Einschätzungen von Bauvorhaben außer acht gelassen wird, eben jene Schönheit einer Landschaft. Es ist ein sehr unaufgeregter, ruhiger Film – manchem im Publikum war er auch zu uneindeutig, vielleicht zu unkritisch – über einen etwas absurden Prozess der Bürokratisierung, der aber in seiner Nüchternheit zu mehr objektiven Gründen und damit Gerechtigkeit führen soll. Darüber wurde im Anschluss leidenschaftlich diskutiert, ebenso wie über die Begriffe »Landschaft« und »Schönheit«. Das an sich ist schon wertvoll, denn darüber streitet sich die Kunstgeschichte schon seit mindestens 2000 Jahren.
Zu Rampart von Marko Grba Singh kam ich dann leider viel zu spät, aber ich möchte ihn trotzdem erwähnen, weil er mir sehr gefallen hat und ich ihn unbedingt mal ganz sehen möchte. Man sieht Privat-Aufnahmen, die der Großvater des Filmemachers während des Kosovo-Krieges gemacht hat. Der Filmemacher selber ist zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt und im Film vermischen sich seine kindlichen Erinnerungen an diese Zeit, z.B. das Spielen von Computerspielen, das reale Kriegsgeschehen und die Alltagsszenen der Aufnahmen des Großvaters, mit Markos eigenen Aufnahmen, die er heute an den Plätzen von damals macht. Auf einen Teebeutel passt das nicht, dafür schafft es mal ein Plakat, ein bisschen von dem zu zeigen, was der Film vermag. Darauf ist die Silhouette (oder eine Überlagerung einiger Häuser) von Belgrad zu sehen, überblendet von der Wand eines Kinderzimmers, die mit Tier-Aufklebern übersät ist (wenn man sie nicht auf sein Bett geklebt hat, dann auf seine Wand). Etwas weiter oben, auch in hellem Blau, zwei Gestalten, eine erwachsene Person und ein Kind, mit dem Rücken zu uns, die etwas ansehen, auf etwas sehen oder auf etwas zurücksehen.
Zu spät kam ich, weil ich in dem Q&A von Trinh T. Minh-ha zu ihrem Film Shoot for the Contents hängen geblieben bin. Das auch wieder nichts für Teebeuteletiketten, ich bemerke, ich bin gerade dabei mein eigenes Thema zu verfehlen. Taglines kann ich dazu auch nicht finden, also versuche ich es mal selber, vielleicht: »Ein Versuch der Annäherung an China«. Das sind aber auch zwei extrem vage Wörter in einem insgesamt ohnehin sehr kurzen Satz. Aber so ist sie: Trinh T. Minh-ha verweigert sich aktiv in ihren Filmen der leichten Konsumierbarkeit, z.B. auch, indem sie die »Werkzeuge« der Unterdrückenden anders nutzt, also Filme anders macht, in ihnen anders erzählt, als es in den letzten 100 Jahren meistens geschehen ist, z.B. eben nicht mit dem Blick oder der Perspektive eines weißen, US-amerikanischen oder europäischen Mannes. Außerdem hinterfragt sie, wie man Interviews führt, Szenen inszeniert oder mit dem Ton umgeht. Sie legt Tonspuren übereinander oder schaltet ihn komplett aus. Es gibt keinen klaren Anfang und kein Ende, oft ist es eine Kreisbewegung. Insgesamt ist es ein Sammeln und Zusammenfügen von Einzelteilen und weniger eine dramatische Geschichte. Das fordert heraus und man muss sich als Zuschauer*in davon lösen, alles verstehen zu wollen. Ihre Filme arbeiten also ganz aktiv gegen eine Teebeuteletiketten-Tagline.
Leider musste ich mich nach eineinhalb Tagen schon wieder auf den Heimweg machen, weshalb ich nicht mehr Filme sehen konnte. Es waren also wirklich nicht die gesehenen Filme, die mich auf die Teebeutel gebracht haben, sondern der Tee. Also muss ich anders vorgehen, um nicht die ganze Zeit gegen mein Thema zu schreiben. Welche Filme gibt es denn, die mit diesen Sprüchen arbeiten? Mit Taglines, also quasi den Untertiteln des Filmtitels? »Es war einmal in ferner Zukunft« (Star Wars), »Glaube das Unglaubliche« (Matrix), »Lasst die Magie beginnen« (Harry Potter) oder, extremst zeitgenössisch, in den Zeilen: »Die Masken werden fallen« (The Batman). Da sind sie, die Teesprüche der Filmwerbung. Aber man kann das auch umdrehen und die Teesprüche für Filme setzen (man weiß ja nicht, vielleicht wird das auch so gemacht: Also viel Tee getrunken und dann ausgewählt): »Jeder Tag kann ein Neuanfang sein«, »Erfahrung macht weise« oder »Es gibt nichts Wertvolleres als Selbstvertrauen«, passt auch zu all den oben genannten Filmen. Ganz im Gegensatz zu: »Freude ist die Essenz des Erfolgs«, das passt eher zu einer PR-Firma. Na ja, aber diese Filme sind ja auch beileibe keine pastellfarbenen Tees, die einem auf leicht verdauliche Art Sinnfragen stellen. So etwas wie »Vergeltung ist nah« (The Batman) geht halt umgekehrt auch nicht so gut in der Früh oder nach dem Yoga.
Zu Das Ereignis habe ich keine Taglines gefunden, dafür tummeln sich auf dem Plakat allerlei Pressestatements-Slogans-Punshlines-Schlagzeilen (keine Ahnung wie da das Fachwort ist). »Einfach und radikal« (Le Monde), »ein engagierter, feministischer Film« (taz), »Sieg des weiblichen Blicks« (Der Spiegel), »fesselnder Thriller« (WTF lieber The Guardian) (ist das eigentlich PR oder Werbung?). Anders als die Taglines sind das geschlossene Formulierungen, so wie wenn auf dem Tee stünde oder steht: »Der leckerste Tee der Welt« oder »5 Minuten Ziehzeit«. Da weiß man, was man bekommt, damit wird Komplexität reduziert und Klarheit geschaffen. Den Film gucken muss man aber trotzdem noch, unbedingt, denn nichts davon sagt etwas über die Bewegung, mit der wir selber der Studentin Anne folgen. Anne wird 1963 ungewollt schwanger und Schwangerschaftsabbrüche sind zu dieser Zeit in Frankreich illegal. Ihre selbstbestimmte Entscheidung ist damit strafbar und alle, die ihr helfen sie umzusetzen, machen sich strafbar. Da stockt der Tee und all dies Heimelnde, was aus ihm spricht, versiegt.
Ich mache mir jetzt mal besser einen Kaffee, der verlangt nichts von mir, der will einfach nur, dass ich ihn trinke. Da muss ich auch niemanden mit beeindrucken, nicht einmal mich selbst.