01.07.2021
ABSTAND/ZOOM

J_JALOUSIE

Ein Mann für gewisse Stunden
Typisch 80er Jahre. Ein Mann für gewisse Stunden
(Foto: DVD-Cover)

Nur bei Jalousie, da floss wirklich gar nichts. Mich hat sozusagen die totale Inspirationslosigkeit inspiriert

Von Nora Moschuering

Ich stakse mit vorsich­tigen Schritten in die wie immer doch recht kalte Isar und stehe da so eine Weile herum, als – plötzlich – so etwas wie eine Arsch­bombe neben mir nieder­geht. Hab ich nicht kommen sehen und ist auch eher nicht so isar­ty­pisch und viel­leicht wars auch keine, aber zumindest der Effekt ist der gleiche: Alle drumherum sind nass. Das stört sie aber nicht, völlig eupho­ri­siert, wie ein Kind, das zum ersten Mal das neue Spider Man 3D-Eis entdeckt, ruft sie: »Der Sommer ist da!!« Sie treibt mit aus dem Wasser heraus­ra­gendem Bauch und Brüsten an mir vorbei die Isar hinunter. Tschüss dann.

Der Sommer kommt mir in dieser Form und ohnehin dann fast zu plötzlich. Ich bin da nicht so. Also verbringe ich viel Zeit hinter den halb herun­ter­ge­las­senen Rollläden in meinem Zimmer oder in meinem Büro, in dem eine auto­ma­ti­sierte Riesen-Jalousie auf der Fens­ter­außen­seite prak­ti­scher­weise weiß, wann es mir zu hell und wann zu dunkel ist. (Theo­re­tisch kann ich sie auch selber fahren, aber ich nehme auch gerne an, was sie meint, schließ­lich ist sie die Expertin.) Wie ich so in diesem Halb­dunkel in der Arbeit sitze, komme ich dann auch zu dem Schluss, eher mal einen absei­tigen J-Begriff zu nehmen: Jargon, Jonglieren, Jokus, James, Jagd ... klar, kann man alles machen. Jonglieren war dabei lange der Favorit, schon um endlich mal den Clown-Wash im Circus Krone inte­grieren zu können, aber nicht nur dazu, sondern zu jedem einzelnen Begriff flossen die Ideen. Nur bei Jalousie, da floss wirklich gar nichts. Mich hat sozusagen die totale Inspi­ra­ti­ons­lo­sig­keit inspi­riert. Jalousien – who cares? Und – nebenbei – wo kommen die überhaupt in Filmen vor? Aus Erfahrung weiß man schließ­lich, dass es sehr schwer ist, Themen oder eben auch Dinge, die einen nie inter­es­siert haben, retro­spektiv zu erinnern, man vergisst sie quasi auto­ma­tisch. In welchen Filmen also, die ich mal gesehen habe, kamen Jalousien vor? Oha. Keine Ahnung. Hinzu kommt, dass ihr Auftreten ja ohnehin meist eher hinter­gründig ist, sie etwas Unauf­fäl­liges, rein Stim­mungs­ge­bendes haben.

Es ist meine kalte Isar, in die ich rein muss, meine Challenge oder mein Auftrag diesen Monat, ein bisschen so wie die Lady in der Fielmann-Werbung aus den 90ern, die einen Privat­de­tektiv aufsucht, um ihn auf die Suche nach günstigen Brillen-Angeboten zu schicken. Im Hinter­grund: Jalousien, wie bei jedem Privat­de­tektiv, der was auf sich hält.

Das liegt wahr­schein­lich am Polizei-Back­ground, den sie häufig haben. Im letzten Münchner Poli­zeiruf »Frau Schrö­din­gers Katze« kamen Jalousien vor, nicht zentral, aber als Stim­mungs­ge­berin, als die moti­vierte Poli­zistin Eyckhoff (Verena Alten­berger) nicht locker lassen will und nachts noch mal ins Revier kommt, um etwas zu über­prüfen. Das gelbe Licht einer Straßen­la­terne scheint durch die Jalousien, und Eyckhoff steht in einem gelb-schattig-gestreiften Licht. Das Bild sagt: Ja, ich arbeite zwar in einer Behörde (Jalousie), aber trotzdem bin ich motiviert (warmes helles Licht).

Das fällt dann doch schnell auf, wenn man so über Jalousien sinniert: Behörden und Insti­tu­tionen scheinen prädes­ti­niert für Jalousien. Das sieht man sowohl, wenn man sie in der realen Welt besucht oder in ihnen arbeitet, als auch wenn man sie im Film und hier natürlich besonders in Krimis sieht.

In »True Detec­tives« hängen in den Fenstern zwischen den Büros Jalousien, auch bei »Akte X« oder Der Pate findet man sie immer wieder. Sie scheinen etwas Lapidares und Büro­kra­ti­sches zu sein, sie sind überdies kosten­günstig und praktisch, aber selt­sa­mer­weise haftet ihnen auch was Dubioses und Myste­riöses an. Sie sind eine Form, um das »Draußen« so ein bisschen aus- aber auch ein bisschen einzu­schließen. Geheim­nis­voll sind sie aber auch, wenn man sie eben gerade nicht sieht, sondern nur Licht durch sie fällt, das dann wiederum auf jemanden fällt. Also ja: Sie sind das Gegenteil von Schein­wer­fern und Filtern, aber irgendwie auch nicht.

Mir fällt Only God Forgives ein, ein Film, der wirklich nichts sein will, außer verdammt cool und das ist dann doch sehr wenig. Das Einzige, an was ich mich erinnere, ist dann auch das Licht und die Farben, aller­dings sind da keine Jalousien, sondern Wände mit Muster. Das ist auf jeden Fall raffi­nierter als die Linien der Jalousien und hat sicher viel mit Bangkok zu tun, gehört aber eigent­lich nicht in diesen Text.

Körper werden zerschnitten durch Licht und Schatten. Körper werden zerschnitten, weil sie an einer Jalousie vorbei­gehen und Menschen ihnen von der anderen Seite des Fensters zusehen. Beides macht Jalousien wahr­schein­lich auch so attraktiv für den Film noir, zeigen sie doch visuell die Zerris­sen­heit und Abgrün­dig­keit der Menschen.

Durch Jalousien kann man spio­nieren und man kann neugierig sein, man muss nur vorsichtig sein, wenn man den Finger zwischen ihnen zurück­zieht, denn das macht ein leises »Klack«. Es ist toll, dass man die einzelnen Lamellen kippen kann und so mehr oder weniger Licht herein­lassen kann. Also ja, die Begeis­te­rung wächst.

Und da: der Korea­ni­sche Pavillon auf der 53. Biennale in Venedig, 2009. An den erinnere mich. Er wurde von Haegue Yang bespielt, einer südko­rea­ni­schen Instal­la­ti­ons­künst­lerin. Der Pavillon, ohnehin ein zartes Gebäude, war gefüllt mit Jalousien. Sie bildeten leichte, durch­läs­sige Wände in Pastell­tönen. Ob sie sich bewegt haben, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube von irgend­woher kamen Licht und Töne. Je nachdem, wo man nun stand, verän­derte sich das, was man sehen konnte und auch das, was man von anderen sehen konnte. Der eigene Körper als Effekt, als Teil der künst­le­ri­schen Arbeit. (Viel­leicht hat 2012 der ein oder die andere, den zentralen Raum im Haus der Kunst in München gesehen, der von ihr bespielt wurde).

Dann stocke ich mit den Ideen und suche Rat bei Thomas Willmann, wenn sich jemand mit Film und auch seinen Neben­säch­lich­keiten auskennt, dann er. Und er kennt sich aus, es kommt ganz viel Input von Filmen, die ich noch nicht gesehen habe und unbedingt gucken muss. Ich picke mir hier mal raus, was ich selbst gesehen habe: Psycho z.B. und hier die Eröff­nungs­szene. Eine Kamera – der Zuschau­erIn­nen­blick –, fliegt durch die Luft auf ein Zimmer­fenster zu, unter der fast ganz geschlos­senen Jalousie hindurch, gera­de­wegs hinein in das Verruchte, das Unbe­wusste, den Trieb. Eigent­lich haben die beiden Liebenden die Jalousien fast volls­tändig geschlossen und befinden sich ohnehin in einem Stockwerk, das außerhalb jeder Reich­weite »normaler« Blicke wäre, aber wir schaffen das. Natürlich sind Kino­zu­schau­erInnen immer neugierig und irgendwie voyeu­ris­tisch, das bedient Hitchcock immer wieder. Auch bemer­kens­wert die Titel­se­quenz davor: Lamellen, die die Schrift durch­trennen oder sie viel­leicht auch durch­strei­chen, als wollten sie ihre eigenen Infor­ma­tionen in Frage stellen.

Es gibt auch ein Video-Essay »Venetian Shadows«, das unbedingt jeder Mensch gesehen haben sollte, der sich für Jalousien und Film inter­es­siert (und ich bin mir sicher, da gibt es so 1-2). Bei mir ist in der Kompi­la­tion mal wieder Harrison Ford hängen geblieben, aber nicht wegen seiner Attrak­ti­vität oder seinem schel­mi­schen Blick, sondern weil mir in Erin­ne­rung gebracht wird, was für A***Rollen er immer wieder gespielt hat. In diesem Fall Rick Deckard, der in Blade Runner die zurück­wei­chende Rachael bedrängt und sie gegen eine Jalousie drückt. Deckard, Indy und Co.: Frauen meinen »Nein«, wenn sie »Nein« sagen, sie wollen Abstand, wenn sie es andeuten und erst recht, wenn sie zurück­wei­chen!! Ein extrem proble­ma­ti­sches Männer­bild, was er in einigen seiner Rollen trans­por­tiert. (Mehr dazu im Video-Essay: »Predatory Romance in Harrison Ford Movies«).

Schwie­riger Übergang, aber ich mache es mal an der Zeit fest: Die 1980er: De Palmas Body Double (Der Tod kommt zweimal), Adrian Lynes 9 1/2 Weeks (Neun Wochen und drei Tage – Erin­ne­rungen an eine Liebes­er­fah­rung) und Paul Schraders American Gigolo (Ein Mann für gewisse Stunden – btw der deutsche Titel: so gut) haben die Jalousien alle sehr prominent als Plakat­motiv. Generell, meint Thomas, waren sie in den 80ern/90ern als visuelles Motiv enorm beliebt – da war ja immer die Wahl: Szene mit Schein­werfer hinter einem langsam rotie­renden Venti­lator oder durch Jalousien ausleuchten.

Das Licht fehlt an bestimmten Stellen, teilweise liegt etwas im Dunkeln: Das führt zu einer Verun­si­che­rung des Sehens. Wir befinden uns wie in einer Haegue-Yang–Instal­la­tion, es ist nicht ganz greifbar, wir können uns nicht komplett verorten und wenn wir an uns selber herun­ter­bli­cken, sind unsere eigenen Körper nicht mehr volls­tändig da.

Und dann steckt in dem Wort auch noch die »Eifer­sucht«, aber auf sie werde ich in diesem Text nicht mehr eingehen, mir ging es – völlig profan – nur um das indus­triell gefer­tigte Ding und wo gibt es das Ding zu kaufen? Z.B: Bei JalouCity, deren Logo aussieht, als sei es aus einem 80er-Aerobic Video. JalouCity ist ein Franchise-Unter­nehmen, ich frage mich, ob das zukunfts­si­cher ist, während ich zu Recher­che­zwe­cken eintrete. Die Dame überzeugt mich sehr schnell von Plissees: Weicher, wärmer, licht­durch­läs­siger. Ich muss ihr zustimmen (»P« kommt ja noch, also wer weiß …). Es liegt ein dicker Katalog mit Stoffen aus, aus denen Plissees, Jalousien, Rollos und Lamel­len­vor­hänge bestehen können. Nur ein Bruchteil von dem, was es gibt, meint sie und ich bin beein­druckt – aber nur sehr kurz.