22.09.2020
68. Festival de Cine de San Sebastián 2020

Die baskische Croisette

Rifkins Festival
Der fast perfekte Eröffnungsfilm: Woody Allens Rifkin’s Festival
(Foto: Press Service SSIFF 2020)

Wer kann der Cannes, zumindest in San Sebastián – Notizen aus San Sebastián, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

Seit seiner Gründung vor über 60 Jahren zählt das Film­fes­tival im nord­spa­ni­schen San Sebastián zu den bedeu­tendsten Film­fes­ti­vals der Welt. In zwei Jahren feiert es sein 70. Jubiläum. Am Anfang gegründet auch als kultu­relles Manifest des Wider­stands gegen Gleich­schal­tung, war es seit jeher auch eine Insti­tu­tion der symbo­li­schen wie kultu­rellen Selbst­be­haup­tung der Eigen­s­tän­dig­keit des Basken­lands im repres­siven Franco-Spanien. Inzwi­schen hat es sich wie alle anderen Film­fes­ti­vals aus den politisch-kultu­rellen Beson­der­heiten seiner Entste­hungs­ge­schichte und den Verwer­fungen des 20. Jahr­hun­derts gelöst und ist in das 21. Jahr­hun­dert, und damit in die poli­ti­sche Post­mo­derne einge­treten. San Sebastián ist auch deswegen eines der wich­tigsten Festivals, weil es die besten Filme, die man in Venedig schon sehen konnte, mit jenen zusam­men­führt, die im wichtigen ameri­ka­ni­schen Herbst­markt, in Toronto, ihre Welt­pre­miere feiern.

In diesem Jahr gehört San Sebastián zudem eindeutig zu den Gewinnern der aktuellen Corona-Situation. Denn das Festival ist nach Venedig das zweite große Kultur­er­eignis der Filmwelt, das tatsäch­lich statt­findet: Real vor Ort im Kino mit Zuschauern. Natürlich ist vieles nicht wie immer: Es gibt weniger Gäste, die inter­na­tio­nalen Stars bleiben aus – denn auch, wer gerade irgendwo dreht, hat Reise­ver­bote – und im Alltag herrschen die üblichen Auflagen: Abstand und Masken­pflicht im Kino und regel­mäßig Desin­fek­tion. Allemal haben die Coro­nabe­schrän­kungen in Spanien das Leben stärker als bei uns in Deutsch­land im Griff. Doch der Begeis­te­rung der normalen Kinofans (hier kann auch jeder Normal-Bürger Karten kaufen, und zwar, ohne stun­den­lang anzu­stehen) wie der profes­sio­nellen Festi­val­be­su­cher tut all das keinen Abbruch. Und vor allem sind die Filme gut.
Denn San Sebastián profi­tiert diesmal auch vom Ausfall des Film­fes­ti­vals von Cannes im Frühjahr. Mindes­tens zehn jener hoch­karä­tigen Filme, die Cannes einge­laden hätte, laufen jetzt hier und verwan­deln die male­ri­sche Concha-Bucht in diesem Jahr in eine spät­som­mer­liche Croisette.

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Eröffnet wurde am Freitag mit dem neuesten Film von Woody Allen: Rifkin’s Festival hat zudem den doppelten Charme, in San Sebastián gedreht worden zu sein (woran auch die baskische Touris­mus­behörde ihre helle Freude haben dürfte), und zugleich auf einem Film­fes­tival zu spielen – womit auch der Narzissmus der Film­branche bedient wird. Auch sonst ist Allens neuer Film ein Licht­blick im Spätwerk des New Yorker Stadt­neu­ro­ti­kers. Im Zentrum steht Rifkin (Wallace Shawn), der zumindest psycho­lo­gisch eine Art Alter Ego des Regis­seurs ist: Ein erfolg­rei­cher Schrift­steller und Film­do­zent, aber von Selbst­zwei­feln gequält. Als Festi­val­gast verliebt er sich in eine spanische Ärztin, zugleich verfolgt er eifer­süchtig seine Frau, von der er vermutet, sie habe eine Affäre mit einem fran­zö­si­schen Autoren­filmer.
All das erzählt Allen als virtuoses Spiel mit der Film­ge­schichte: Denn fort­wäh­rend tagträumt Rifkin sein Leben in Szenen großer Film­klas­siker, die Allen und sein Kame­ra­mann Vittorio Storaro dann in so liebe­vollen wie ironi­schen Refe­renzen an Allen Lieb­lings­re­gis­seure Orson Welles, Ingmar Bergman, Luis Buñuel, Jean-Luc Godard und François Truffaut in Film­bilder fassen. Mit seiner offenen Schwär­merei für die ganz Großen des Autoren­kinos, seiner Hommage auf die Kino­ge­schichte und mit inter­es­santen Darstel­lern wie Christoph Waltz und Louis Garrel war Rifkin’s Festival damit der fast perfekte Eröff­nungs­film.

(to be continued)