24.02.2020
70. Berlinale 2020

Die neuen Leiden der jungen U.

UNDINE
Undine hütet die Stadtgeschichte
(Foto: © Marco Krüger/Schramm Film / Berlinale)

In seinem neuen Film Undine zeigt sich Christian Petzold von seiner romantischen Seite

Von Dunja Bialas

Undine Wibeau ist die neue Petzold'sche Geis­ter­ge­stalt. Paula Beer spielt eine promo­vierte Histo­ri­kerin, die Inter­es­sierte durch die Stadt­ge­schichte Berlins führt. Berlin ist vom Namen her ein »trocken­ge­legter Sumpf«, erklärt sie. Christoph (Franz Rogowski) verliebt sich augen­blick­lich in sie. In diesem Moment birst das Aquarium im Muse­ums­café, spült die beiden unter sich weg. Sie bekommen Haus­verbot.

Undine Wibeau, das ist natürlich die Undine aus dem neuzeit­li­chen Mythos. Die berühm­teste Bear­bei­tung kam von dem preußi­schen Adeligen Friedrich de la Motte Fouqué, es war die Hochro­mantik, und die Geschichte von dem Wasser­wesen, das Mensch wird, wenn sie sich in einen Menschen verliebt, faszi­nierte. Sie ist eine roman­ti­sche Femme fatale, die dem Mann den Tod bringt, der es wagt, sie zu verlassen. Und sie wird wieder eins mit dem Wasser­ele­ment, wenn sie allein zurück­bleibt, der Geliebte stirbt.

Eine Undine braucht also die Liebe als Essenz für ihr Leben. Auch Undine Wibeau. Ihr Nachname erinnert an Edgar Wibeau aus Ulrich Plenz­dorfs »Die neuen Leiden des jungen W.«, und das verbindet sie dann wiederum mit einem neuzeit­lich gedachten Sturm und Drang, ange­sie­delt in der DDR. Nicht zufällig gibt Undine Wibeau also Führungen, die entlang der histo­ri­schen Demar­ka­ti­ons­linie der Wendezeit und des städ­te­bau­li­chen Wandels Berlins ange­sie­delt sind. In Berlin, dem trocken­ge­legten Sumpf, braucht Undine die Liebe zum Überleben.

Petzold verwirrt. Seine Wieder­gän­ger­fi­guren sind wieder da, sein Hinab­tau­chen in die histo­ri­sche Geschichte. Auch in seinen letzten Filmen hielt die Liebe die Figuren aufrecht, wurde zur Möglich­keit, Geschichte zu über­winden, Zeiten zu durch­schreiten, den Unter­schied von Leben und Tod zu fällen. Unter­gründig wurde immer die deutsche Geschichte miter­zählt. Seine Arbeit am Mythos der Undine sieht wie in Shape of Water die Zusam­men­kunft von Wasser­wesen vor, Rogowski spielt einen berufs­mäßigen Tief­tau­cher, der im Wasser Turbinen repariert. Dabei begegnet er auch einmal einem Wels, ein legen­däres Tier wie Loch Ness in einem klaren See. Zwei Meter soll der mächtige Fisch lang gewesen sein, seine Kollegen glauben ihm nicht. Die Video­auf­zeich­nung gibt ihm recht.

Trotz aller Tief­grün­dig­keit seines Themas verankert Petzold Undine aber weniger tief als etwa Transit oder Phoenix mit dem starken histo­ri­schen Unter­grund, der immer die Schrecken der deutschen Geschichte miter­zählte. Undine, die als Frem­den­füh­rerin den Schlüssel zu den städ­te­bau­li­chen Verwer­fungen der deutsch-deutschen Geschichte in ihrer Hand hält, ist Free­lan­cerin und kann jederzeit die Verbin­dung kappen.

Mehr als zu zeigen, wie die Geschichte bis in die Gegenwart hinein­reicht, ist Undine viel­leicht eher ein Film über die Trauer und das Abschied­nehmen. Tode und Wieder­be­le­bungen über­la­gern die Verbin­dung zwischen den Figuren, Liebes­tode, und die Trauer um den oder die Verflos­sene(n). Petzold ist darin roman­tisch, aber er ist nicht restau­rativ, will kein Zurück zum Alten, wie die Rekon­struk­teure des Berliner Stadt­schlosses. Anstatt im »trocken­ge­legten Sumpf« zu bleiben, so scheint er uns von der Leinwand zuzurufen, solle man lieber in tiefe Gewässer abtauchen und wieder einmal träumen, um lebendig zu bleiben. »Staying alive«: Das wird das Motto der Liebenden sein. Und am Ende zeigt sich die Möglich­keit einer Zukunft ohne die Last, sich fort­wäh­rend nach dem Vergan­genen zu sehnen.