66. Festival de Cine de San Sebastián 2018
Aufbruch ins Bekannte |
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Verdienter Kritiker-Preis: High Life | ||
(Foto: Pandora) |
»Shall we?« – »Yes!«
Die letzten Sätze im Science-Fiction High Life
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Die sinnlichen Gewissheiten von San Sebastián sind unvergleichlich: Der Meeresgeruch, der Wind, die Sonne, die warme Frische. 31 Grad war es hier noch Mittwoch und Donnerstag.
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»Wir lieben diesen Film« – als der Präsident der internationalen Jury, der amerikanische Regisseur Alexander Payne (»About Schmidt«), am Samstagabend verkündete, wer die Goldene Muschel, den Hauptpreis beim Filmfestival von San Sebastán gewonnen hatte, kam großer Beifall auf – eine haushohe Überraschung war dies aber nicht. Denn Entre dos Aguas (Zwischen zwei Wassern) vom spanischen Regisseur Isaki Lacuesta war ganz bestimmt der ungewöhnlichste Film in einem starken Wettbewerb, der viele bekannte Autorenfilmer aus aller Welt versammelte: Im Mittelpunkt stehen Isra und Chelto, zwei Brüder aus ärmsten Roma-Verhältnissen. Sie sind Mitte 20 und leben in der Hafengegend des südspanischen Cádiz. Doch die Unterschiede zwischen den beiden könnten nicht größer sein: Chelto ist Koch bei der Marine, hat ein gesichertes Einkommen, eine Familie und ein geordnetes Leben. Isra dagegen ist gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden und versucht verzweifelt und unter großen Schwierigkeiten, im Zivilleben Fuß zu fassen. Was diesen Film so besonders und zu einzigartigem Kino macht, ist, wie Lacuesta die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiction vermischt. Die beiden Brüder gibt es wirklich, sie spielen sich selbst, und vor zwölf Jahren drehte der Regisseur mit ihnen als Teenager den Film La leyenda del tiempo – schon dies war eine Dokufiktions-Mischung. So auch jetzt, In der Tradition des Neorealismus erzählt Lacuesta vom echten Leben der kleinen Leute und dreht mit Laien. Ein zutiefst menschlicher Film, zudem eine virtuose Montage verschiedener Zeitebenen – denn Lacuesta verwendet auch Ausschnitte seines alten Films.
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Auch die zwei anderen großen Sieger im Wettbewerb erzählen politisch-sozial brisante Stoffe nahe an der Wirklichkeit: Der Phillippino Brillante Mendoza (»Spezialpreis der Jury« für Alpha – The right to kill) nutzt das Genre des Polizeifilms zu einer subtilen Kritik behördlicher Korruption und einem genauen Blick auf die Realität des Anti-Drogenkriegs. Und der argentinische Film Rojo von Benjamin Naishtat – der neben dem Preis für die beste Regie auch für die beste Kamera und die Darstellerleistung prämiert wurde – erzählt im Stil der Coen-Brüder von Lebenslügen und moralischen Konflikten vor dem Hintergrund des politischen Chaos in seiner Heimart 1975.
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Das waren alles verdiente Preise für gute Filme. Trotzdem gingen die verträumteren, poetischen, auch erzählerisch gewagteren Stoffe demgegenüber leer aus: Besonders Juliette Binoche hätte man einen Preis gewünscht. Sie spielt sehr unterschiedliche Hauptrollen in den Filmen Vision von der Japanerin Naomi Kawase und High Life von Claire Denis. Vision spielt in einer großartigen unberührten Waldlandschaft und
lebt vor allem von der Sinnlichkeit der Natur.
Ein bisschen zu konstruiert in seinem Personal ist die Geschichte um eine Französin (Binoche), die hier einer mysteriösen Pflanze auf der Spur ist und eine alte blinde Schamanin besucht und einen Waldschützer. Dass ihr Vornahme Jeanne an die Jungfrau von Orleans erinnert, hilft nicht – aber Kawases offene, fragmentarische, luftige Erzählweise ist so souverän wie fesselnd. Ein spiritueller Film, wie er nur in Japan möglich
ist.
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Das krasse Gegenteil ist High Life: Die Französin Claire Denis (Beau travail – Der Fremdenlegionär) hat diesmal einen Science-Fiction gedreht.
Auf den Spuren von 2001 – Odyssee im Weltraum und Solaris begleitet man ein erstaunlich verschmutztes Raumschiff auf einer jahrzehntelangen Reise ohne Wiederkehr. Binoche spielt eine eiskalte Ärztin und Wissenschaftlerin, die an Bord Experimente macht und im Weltraum ein Kind zeugen will. Roger Pattinson spielt den Vater. Es gibt Mord und Totschlag an Bord, und eine spektakuläre Reise durch ein Schwarzes Loch, dessen Bilder der isländische Kult-Künstler Olafur Eliasson
beisteuerte. Doch Vater und Tochter überleben alles.
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Es ist nun überhaupt kein cinephiles Publikum in San Sebastián, sondern ein ziemlich ignorantes. Egal. Die Klatschbereitschaft zu Beginn – wo Menschen sich schon vorher in Position setzen, nur um dann rechtzeitig loszulegen – korrespondiert mit der Bereitschaft, dann bereits bei den ersten Sekunden der Credits ganz schnell aufzustehen und den Saal zu verlassen.
Bei Claire Denis waren, als die Credits zu Ende waren, von den 1500 Leuten noch genau fünf im Saal:
Kollegin Pamela Pienzobras und ich, ein Rollstuhlfahrer und sein Betreuer, und ein Mitglied des Filmteams.
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Für seine vielen Einfälle gewann High Life immerhin verdient den Kritiker-Preis – ein sehr schöner, ganz ruhiger, verträumter Film, manchmal etwas im Halbschlaf, aber immer dann reißt die Regisseurin die Zügel zusammen.
Und es war auch der Film mit dem schönsten Schlussdialog: »Shall we?« – »Yes!«
(to be continued)