26.02.2018
68. Berlinale 2018

Gene­ra­tion Kplus – Gläserner Bär und andere Preise

ALLONS ENFANTS
Dem Gefühl von Furcht wird in einer urbanen Wildnis mit dem Gefühl von Magie und Freiheit begegnet – Allons Enfants
(Foto: Berlinale)

Es ist immer wieder überraschend, welche Themen die Jury so stark ansprechen, dass sie den Film letztlich zum Preisträger küren.

Von Christel Strobel

Die 14 Langfilme und 19 Kurzfilme, die bei Gene­ra­tion Kplus in fünf Kinos zu sehen waren, begut­ach­tete auch wieder eine Kinder­jury, bestehend aus sechs Mädchen und fünf Jungen, nicht älter als die Kinder im Kino. Für die jeweils nächste Jury können sich inter­es­sierte Kinder aus Berlin mit einem Frage­bogen bewerben, der nach jeder Vorstel­lung verteilt wird. Die Preis­ver­lei­hung selbst findet im Haus der Kulturen der Welt statt, dem Ort, wo die Kplus-Filme erst­auf­ge­führt werden. Hier kommt noch einmal richtig Stimmung auf, das junge Publikum im ausver­kauften Audi­to­rium (rund 1000 Sitz­plätze) erwartet gespannt die Bekannt­gabe, die Preis­träger werden lautstark bejubelt und anschließend ist der Gewinner der Kinder­jury noch einmal zu sehen – ein würdiger Abschluss dieser Berlinale-Sektion, die sich dem Kino­nach­wuchs widmet.

Und es ist immer wieder über­ra­schend, welche Themen die Jury so stark anspre­chen, dass sie den Film letztlich zum Preis­träger küren. In diesem Jahr vergaben die jungen Juroren den Gläsernen Bären für den Besten Film an LES ROIS MONGOLS (Hand auf’s Herz) von Luc Picard, Kanada. Er führt nach Montreal 1970; in jenem Jahr verur­sacht die links­ra­di­kale-natio­na­lis­ti­sche »Front für die Befreiung Quebecs« in der Provinz den Ausnah­me­zu­stand. Während es draußen chaotisch zugeht, bricht innen das Fami­li­en­leben der zwölf­jäh­rigen Manon zusammen. Ihre Mutter ist durch die schwere Krankheit des Vaters gänzlich über­for­dert und gezwungen, ihre beiden Kinder in getrennte Pfle­ge­fa­mi­lien zu geben, wie es die staat­liche Fürsorge verlangt. Manon aber ist nicht gewillt, ihren kleinen Bruder allein zu lassen und wird aktiv. Von den poli­ti­schen Unruhen motiviert, gründet sie eine „revo­lu­ti­onäre Zelle“ und entführt zusammen mit ihren beiden Cousins eine alte Dame im Rollstuhl in eine abge­le­gene Garten­laube. Dort richten sie sich – nach anfäng­li­chen Kommu­ni­ka­ti­ons­schwie­rig­keiten, denn die Entführte spricht nur Englisch – familiär ein und beziehen ihre »Geisel« auf unkon­ven­tio­nelle Weise mit ein: Sie soll ihnen nur Kuchen backen und Gute­nacht­ge­schichten erzählen. Ansonsten wollen sie in der Freiheit selbst­be­stimmt leben, fern der Bevor­mun­dung der Erzie­hungs­be­rech­tigten, was ihnen in ein paar unbe­schwerten Tagen gelingt.
Hand auf’s Herz ist keine einfache Geschichte, aber konse­quent auf der Seite der Kinder und aus deren Sicht erzählt. Der Showdown am Schluss – die Polizei rückt mit schwerem Gerät zur Geisel­be­freiung an – wirkt zwar überzogen, aber das eigent­liche Thema des Films bleibt sichtbar, nämlich: Wie gehen Erwach­sene mit Kindern in Ausnah­me­si­tua­tionen um und wie entwi­ckeln Kinder Fantasie und Krea­ti­vität.
Die Kinder­jury begrün­dete ihre Preis­ver­gabe so: »Dieser Film liegt uns besonders am Herzen, denn wir konnten sehr gut in die Geschichte eintau­chen und die Schau­spieler haben uns mit ihren Charak­teren mitfühlen lassen. Die Geschichte der vier Kinder war trotz ihrer ernsten Situation humorvoll, das haben vor allem die Geschwister mit ihrer Liebe zuein­ander getragen. Die tech­ni­sche Seite wollen wir aber nicht vernach­läs­sigen, denn die Musik war sehr schön und passend und wir mochten die Kame­ra­per­spek­tiven sehr gerne.«
Eine Lobende Erwähnung vergab die Kinder­jury an: Supa Modo von Likarion Wainaina, Deutsch­land / Kenia (Bespre­chung siehe Bericht vom 15.02.18) mit der Begrün­dung: »Auf rührende und packende Weise wird die Geschichte eines todkranken Mädchens erzählt. Mit über­zeu­gendem Schau­spiel und einer abwechs­lungs­rei­chen Film­ku­lisse zeigt der Film, wie die Fantasie des Mädchens und die Mensch­lich­keit und Willens­kraft des gesamten Dorfes die letzten Monate ihres Lebens zu etwas Beson­derem machen.«

Außer den Gläsernen Bären der Kinder­jury wird der Große Preis der Inter­na­tio­nalen Jury von Gene­ra­tion Kplus (Amanda Duthie, Sanna Lenken, Carla Simón) für den Besten Film vergeben, dotiert mit 7.500 Euro, gestiftet vom Deutschen Kinder­hilfs­werk. Die Jury vergab den Preis an Sekala Niskala (Sichtbar und unsichtbar) von Kamila Andini, Indo­ne­sien / Nieder­lande / Austra­lien / Katar
Auch dieser Film – eine außer­ge­wöhn­liche Länder-Kopro­duk­tion – handelt vom Tod und von Trauer, zeigt eine uns fremde Weise der Bewäl­ti­gung. Erzählt wird von den auf Bali lebenden zehn­jäh­rigen Zwil­lings­ge­schwis­tern Tantra und Tantri, die unzer­trenn­lich waren, bis Tantra schwer­krank im Kran­ken­haus liegt. Seine Schwester Tantri bereitet sich in meta­pho­ri­schen Kostümen und Bema­lungen tanzend auf die Trennung vom Bruder vor. Als die Mutter ihr die Farbe aus dem Gesicht wäscht, bedeutet dies symbo­lisch, dass es nicht so bleiben kann wie es war. Nicht zuletzt mit seiner ambi­tio­nierten ästhe­ti­schen Gestal­tung richtet sich der Film eher an ein speziell inter­es­siertes Publikum, wäre aber auch für das Fach Ethik an Schulen geeignet; bei Gene­ra­tion Kplus war er ab 11 Jahren empfohlen. Für die Jury ist der Film »ein poeti­sches Märchen über Leben im und aus dem Gleich­ge­wicht« und begrün­dete ihren Preis weiter: »Der Film begibt sich auf eine gefühl­volle Reise, getrieben von Kummer, Wut und Akzeptanz. … Es ist ein Film, der dem Risiko, dem Authen­ti­schen sowie dem Mysti­schen in einem fein insze­nierten, filmi­schen Tanz begegnet.«
Eine Lobende Erwähnung erhielt Allons Enfants (Cléo & Paul) von Stéphane Demoustier, Frank­reich, das atmo­sphärisch visua­li­sierte Groß­stadt­aben­teuer der drei­ein­halb­jäh­rigen Cléo und ihres etwas älteren Bruders, die in einem Park mitten in Paris beim Versteck­spiel zeitweise verloren gehen (Bespre­chung siehe Bericht vom 15.02.18) mit der schönen Begrün­dung: »Mit der Lobenden Erwähnung möchten wir einen Film würdigen, der eine realis­ti­sche Situation zeichnet, die wir alle nach­emp­finden können. Dem Gefühl von Furcht wird in einer urbanen Wildnis mit dem Gefühl von Magie und Freiheit begegnet. Die kleinen Stars dieses Films liefern eine fein­füh­lige Perfor­mance jenseits ihres Alters«. Dem ist nichts hinzu­zu­fügen.

Und eine Anmerkung zum Schluss: Seit Jahren zeigt Gene­ra­tion Kplus immer wieder ausge­wählte Filme anderer Sektionen auch in seinem Programm, so genannte »Cross-Filme«. Diesmal war es unter »Cross Section – Wett­be­werb« eine Vorfüh­rung von
Isle of Dogs – Ataris Reise, für den Wes Anderson den Silbernen Bären für die Beste Regie bekam.