06.09.2017
74. Filmfestspiele von Venedig 2017

Aronofsky und die Frauen

Darren Aronofskys Mother!
Offizielles Filmplakat zu Darren Aronofskys mother!
(Plakat: Paramount Pictures Germany GmbH)

Der Gotteskomplex: Hohngelächter für Darren Aronofskys Überhorrorfilm mother! im Wettbewerb – Notizen aus Venedig, Folge 9

Von Rüdiger Suchsland

»I know what to say. I have just to find the words.« – »Amazing.«
Dialog aus: mother!

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Das Ausru­fe­zei­chen hätte uns warnen sollen. Zwar haben alle Filme von Darren Aronofsky mehrere Ausru­fe­zei­chen im Titel, aber bisher waren diese unsichtbar. Eines der größten Probleme von Aronofsky und seinen Filmen sind diese Ausru­fe­zei­chen. Und die Tatsache, dass ihr Regisseur alles, was auch immer er macht, verdammt bitter blutig ernst meint.
Genau wegen dieser Ausru­fe­zei­chen, wegen seines Ernstes, wegen des Macho- und Groß­re­gis­seurs­gestus, der hinter allem steckt, was er tut, hat Aronofsky aber auch viele echte Fans.
Man könnte jetzt natürlich speku­lieren, ob es nicht auch gerade viele sind, die es nötig haben, viele »Schwache«, die sich von einem wie Aronofsky die Kraft und die Ich-Stärke borgen wollen, ob diese Filme nicht unter­gründig genau dieses Verspre­chen von Kraft trans­por­tieren – aber das wäre ein bisschen unfair, wenn auch manche Lektüre heute, am »Tag danach«, zu solchen Speku­la­tionen Anlass gibt.

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Wir erleben in mother! ein sehr altes, ziemlich herun­ter­ge­kom­menes Haus, dessen Abge­le­gen­heit sofort spürbar ist, umgeben von satt­grüner Natur, Wald und hohem Gras, wir hören Grillen zirpen und sind im Nu drin, im »Southern Gothic«, der ameri­ka­ni­schen Variante vikto­ria­ni­scher Horror-Settings. Dieses Haus wird schnell lebendig, es knarzt und knirscht an allen Ecken, es hat verbor­gene Gänge, Löcher, aus denen manchmal eine blutähn­liche Flüs­sig­keit tropft und quillt. Irgendwas scheint da auch hinter der Wand zu sein. Aber wir wollen nicht vorgreifen.

Wir erleben eine Frau, die sich eigent­lich nur auf den Mann bezieht, die dauernd hinguckt, nach Feedback giert. Und dem Mann gefällt es, da so eine kleine, ihm hörige Abhängige zu haben. Namen haben beide Haupt­fi­guren keine. Im Abspann heißt sie »Mother« (ohne Ausru­fe­zei­chen) und er »Him«, groß­ge­schrieben, wie Gott. Aronofsky erzählt nicht von Menschen, sondern, mindes­tens, von Arche­typen.
Zuerst fragt man sich: Ist sie schwanger? Dann: Hat sie Psychop­ro­bleme? Es fällt der Satz »This place is too big for the two of us.« Das wird sich ändern.

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Bald kommt Besuch von einem Fremden. Der Hausherr, »Er«, pflegt sofort vertrauten Umgang mit dem »Mann« (so die Credits über den von Ed Harris gespielten Fremden), und lässt ihn gleich über­nachten: »I didnt think that was a problem.« »Er« ist der Boss und macht, was »Er« will. »Mother« dagegen ist genervt: »He is a stranger. And you let him stay in our house!« Zumal der Mann die ganze Zeit schreck­lich hustet und trotz Verbot auch im Haus raucht. Am nächsten Tag kommt »Frau« (Michelle Pfeiffer) und zieht wie selbst­ver­s­tänd­lich mit ein. Auch sie ist über­griffig, benimmt sich kaum wie ein Gast. »Mother« muss immer arbeiten, sie will das Haus herrichten, schöner machen, perfekt. »I want to make a paradise.«

Damit »Er« arbeiten kann. Denn »Er«, gespielt von Javier Bardem, ist nicht einfach der Boss, sondern ein von sich selbst sehr einge­nom­mener Schrift­stel­lernarziß. Es könnte sich auch um Noah handeln auf seinem Schiff.
Jennifer Lawrence spielt »Mutter«, die etwas unbe­darfte neue Frau dieses Künstlers, der zuvor seine Familie offenbar in einem schreck­li­chen Feuer verloren hat. Sie soll seine Muse sein – das ist wohl auch nötig, denn er hat Schreib­blo­ckade und ist sexuell impotent.

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Alles eskaliert. Eska­la­tion ist überhaupt das Prinzip dieses Films, wie viel­leicht aller Filme Aronof­skys. Irgendein Ding ist in der Toilette. Der Fremde hat ein Bild von »Ihm« in der Tasche. Die cheesy Horror­ef­fekte häufen sich, passen aber nicht unbedingt zusammen. Er nagelt die Tür zu seinem Schreib­zimmer zu. Die zwei Söhne von Mann und Frau kommen auch ins Haus. Innerhalb von fünf Minuten ist der eine von anderen erschlagen.

Diese Szene ist besonders schlechtes Theater. Dann sind plötzlich ganz viele Leute im Haus und machen alles Mögliche kaputt. »Mutter« trinkt regel­mäßig irgend­etwas Gold­gelbes, wird zunehmend hyste­ri­scher. Alles eskaliert weiter. Dann plötzlich ist »Mutter« wieder eine ideal­ty­pi­sche Ami-Tussi, redet über »Home«, sagt »Ever­y­thing is going to be alright.« Die Kamera ist immer nahe an ihr, ein Close-Up jagt den nächsten. Sie haben Sex. Am nächsten Morgen wacht sie auf: »I am pregnant« – »How could you know?« – »Because I know.« Und er kann wieder schreiben (also überhaupt »zeugen«).
Sie »Are you happy?« Er: »Pen Pen Pen«. Gelächter im Saal. Er weiter: »I know what to say. I have just to find the words.« Sie: »Amazing.«

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Als er fertig ist, darf sie es lesen, und da vor Gott und Aronofsky 1000 Jahre wie ein Tag sind, ist sie jetzt auch gleich hoch­schwanger. »Its beautiful. It’s perfect.« freut sie sich. Das Telefon klingelt. Er geht ran: »My publisher.« – »She read it?« – »Yes. Of course. Why?«
Jetzt geht’s ihr wieder schlecht, weil sie nicht der einzige Augen­stern und Mittel­punkt im Leben des Mannes ist. »I wanna be alone with you.«
Und dann eskaliert alles endgültig: Schnell kommen Fans, aus wenigen werden Massen, sie dringen in die Wohnung ein, nehmen alles ausein­ander, der Mann findet das ganz cool so, sie ist zunehmend verzwei­felt. Aus den Fans wird eine Art Sekte. Über­grif­fige, unan­ge­nehme, gewalt­be­reite Massen. Die Polizei kommt, es gibt großes Geballer, die Polizei kann sich nicht richtig durch­setzen.
Sie zieht sich, hoch­schwanger wie gesagt, mit »ihm« in ein Zimmer zurück, dort kommen die Wehen. »Its a boy!« Was denn sonst, möchte man rufen, bei dem Vater.
Er darf erst das Kind nicht anfassen, dann doch, er bringt es nach draußen. Die Fans greifen das Kind – und nach ein paar Sekunden zerflei­schen sie es, essen es. Ein blutiges Abendmahl.
In der Folge dreht »Mutter« dann kaum über­ra­schend endgültig durch, rennt in den Keller, öffnet den Öltank und steckt sich selbst und das Haus an. Mal wieder eine Frau am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs, nein, eigent­lich weit darüber hinaus.
Famous last words: »What hurts me the most, is that I wasn’t enough.«
Er: »Its never enough. I couldnt be creative, if it was.«

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Formal zieht Aronofsky alle Register verschie­dener Horror­genres: »Eindring­lings-«, »Verwünschtes Haus-«, Wahn­psy­chose-, Kanni­ba­lismus- und Sata­nismus-Genre wechseln im Minu­ten­takt. So ist dies ein Über­hor­ror­film, von allem zuviel, mit nerv­tö­tender Kamera, die konstant an Lawrence' Gesicht klebt, ist dies zwar eine inter­es­sante, wenn auch nicht über­zeu­gende Darstel­ler­leis­tung, aber ein miss­glückter Film. Denn Horror­thrill will beim Zuschauer nicht aufkommen, da mag der New Yorker noch so deutlich Polanskis Ekel und »Rose­ma­ries Baby« zitieren, eher Fremd­schämen für einen Regisseur, der mit der Film­ge­schichte nicht souverän zu spielen vermag – und es keimt der Verdacht, dass sich Aronofsky heimlich mit Bardems Figur iden­ti­fi­ziert, der nichts als sein Werk ernst nimmt, und für jedes Buch eine neue Frau verschleißt. Allemal ist Lawrence' Muse, die ständig bewun­dernd zum Gatten blickt und ihm ein Paradies bereiten und ein Kind schenken will eine derart aus der Zeit gefallene Frau­en­figur, dass es vor den Buhrufen am Ende des Films auch bereits während der Vorfüh­rung mehrfach Hohn­gelächter gab,

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Das wird ihn glücklich machen. Denn ganz offen­kundig will er ärgern, wächst sein Ego am Wider­stand des Publikums, dem dieser Film fort­wäh­rend ins Gesicht spuckt. Dies ist der wet dream des selbst­be­sof­fenen Aronofsky: Ein so eitler wie dummer Egotrip, in dem es Aronofsky um sich selbst als »Kreativer«, als »Mann« geht. »Eine präten­tiöse Niete« – selten hat es Dietmar Dath derart auf den Punkt gebracht, wie in seiner heutigen FAZ-Kritik, in der nahezu jedes Wort stimmt. Aronofsky ist das, wozu man in Amerika sagt: »What a prick!«

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»A piece of preten­tious shit.« sagte Gorgio, der Cary Grant der italie­ni­schen Film­kritik, als ich ihm direkt nach der Vorstel­lung über den Weg lief.
Nun könnte man sagen: Wenn er uns alle so aggressiv macht, dann muss ja was dran sein. Nein Leute, nix ist dran. Darren Aronofsky ist einfach nur die Sorte Mensch, der keine Ruhe gibt, bis er verdro­schen wird. Und der sich dann erst wohl fühlt.

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Was für ein verdrieß­li­cher, dumpfer, negativer, zugleich hyste­ri­scher Film. Das größte Problem ist, dass Aronofsky alles so primitiv wörtlich meint. Aronofsky will Rose­ma­ries Baby und The Exorcist in punkto öffent­liche Wirkung toppen. Das schafft er aber natürlich nicht.
Klar: Hier ist alles Symbol und Allegorie: Das Paar ist namenlos, am Ende schließen sich mehrere Kreise, und alles beginnt womöglich von vorn. Aber es ist fahrig, oft öde und lang­weilig, konfus, sehr bemüht.
Was ist der Punkt in mother! Das ist nicht zu begreifen. Außer Frau­enf­ein­lich­keit. Außer dem Narzißmus eines Künstlers.

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Was einen aber am meisten an diesem Film erschüt­tert, ist Jennifer Lawrence. Lawrence war noch nie so schlecht, wie in mother!. Weil sie den gleichen Fehler macht, wie der Regisseur: Über­iden­ti­fi­ka­tion. Sie nimmt das alles zu ernst.
Auf der Pres­se­kon­fer­renz saß die neue, derzei­tige Freundin Aronof­skys neben ihrem Liebsten, und schaute ihn genauso bewun­dernd unter­würfig an, wie »Mutter« im Film. Und sagte dumme Sachen, wie: jedes Mikrophon mache sie nervös. Aronofsky lächelte dazu gütig. Das glaubst Du selbst nicht, Jennifer. Was dachte Michelle Pfeiffer daneben?

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Aronofsky hat in einem Interview erzählt, er habe den Film in einer Woche geschrieben, es sei einfach nur aus ihm heraus­ge­flossen: »That’s crea­ti­vity, man, oh shit.«
So sieht er auch aus.
In der Pres­se­kon­fe­renz behauptet er dann, Bunuels »Würge­engel« habe ihn inspi­riert. Davon konnte ich wenig entdecken. Weit näher­lie­gender sind die Polanski-Refe­renzen: Repulsion (»Ekel«) ist aus meiner Sicht einer der zentralen Refe­renz­filme für Aronofsky, schon Black Swan war deutlich von dem beein­flusst.

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Ich musste auch an jene Pres­se­kon­fe­renz zu The Fountain denken, dem Film, der in meinen 17 Jahren in Venedig die größten Buhs aller Zeiten bekam. Damals saß Rachel Weisz neben ihm, seine damalige Frau, und man konnte ihr ansehen, dass sie sich scheiden lassen würde.
Man hat bei diesem Film manchmal das Gefühl. hier müsse Aronofsky seine Scheidung von Rachel Weisz verar­beiten.

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Es war lustig, zu sehen, wie die ameri­ka­ni­schen Kritiker – Justin Chang und Owen Glei­berman habe ich erkannt – nach dem Film zusam­men­standen und sich vor Lachen nicht mehr einkriegten.

(to be continued)