03.09.2015
72. Filmfestspiele von Venedig 2015

Kata­stro­phen und Leich­tig­keit

Everest
Berge zu erklimmen! Der Eröffnungsfilm von Venedig zeigt ein, nun ja, Bergsteigerdrama
(Foto: Universal Pictures International Germany GmbH)

Venedig ist einfach das lässigste Festival der Welt: Am Mittwochabend eröffneten die 72. Filmfestspiele; Notizen aus Venedig, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

Das ging ja zumindest spek­ta­kulär los: Der Himalaya in 3D! Ein Berg­stei­ger­drama in mindes­tens drei Dimen­sionen eröffnete am Mitt­woch­abend die 72. Film­fest­spiele von Venedig: Everest vereint eine Fülle von Aspekten. Nicht nur lässt die modische 3D-Technik den höchsten Gipfel der Welt noch höher und gefähr­li­cher aussehen – der Film vom islän­di­schen Regisseur Baltasar Kormákur (101 Reykjavik) ist auch noch enorm Star-gespickt: Keira Knightley, Emily Watson, Robin Wright, Josh Brolin und Jake Gyllen­haal spielen mit in diesem Kata­stro­phen­film, der auf den Best­seller von Jon Krakauer zurück­geht – der US-ameri­ka­ni­sche Extrem­sport­jour­na­list war selbst mit dabei, als es 1996 zu einer der schlimmsten Kata­stro­phen der Geschichte des Berg­stei­gens kam: Zwei kommer­zi­elle Expe­di­tionen gerieten nicht ganz ohne eigene Schuld in eine Schlecht­wet­ter­front, acht Berg­steiger kamen dabei ums Leben.

Kormákurs Film beein­druckt zwar durch Digi­tal­technik auf höchstem Niveau und spek­ta­kuläre Natur­auf­nahmen. Am inter­es­san­testen ist er aber in kultu­reller Hinsicht: Denn es geht in dem Film nicht zuletzt um das soziale Phänomen des Berg-Tourismus und das kommer­zi­elle Berg­steigen, das längst den Mut der Pioniere des Anfangs und wissen­schaft­liche Expe­di­tionen ersetzt hat: Auf über 6000 Metern Höhe stehen die Berg­steiger-Gruppen Schlange »wie an der Super­markt­kasse«, so die von Brolin gespielte Figur im Film, und wer 65.000 Dollar für seinen Aufstieg bezahlt hat, wird leicht bereit sein, auch unan­ge­mes­sene Risiken in Kauf zu nehmen.

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Und wo wurde das Ganze gedreht? Tatsäch­lich in Südtirol! 700.000 Euro, so infor­miert uns eine Pres­se­mit­tei­lung, gab es dafür, dass der Himalaya nach Südtirol verpflanzt wurde. Das Schnal­stal mit dem Hoch­joch­ferner Gletscher war 2014 das »perfekte Everest-Double«. Man filmte auf 3.000 Metern Höhe, wo das Everest-Basis­lager nach­ge­baut worden war. Die südti­roler Film­för­de­rung heißt BLS. Die drei Buch­staben machen da gleich klar, worum es geht: »Business Location Südtirol. Das bedeutet faktisch, auch wenn es in Bozen bestimmt nicht alle gern hören, dass Everest auch irgendwie ein italie­ni­scher Film ist.«

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Everest wird im Wett­be­werb außer Konkur­renz laufen – und Festi­val­di­rektor Alberto Barbera entpuppt sich damit als ein Festi­val­leiter, der im Vergleich zu seinen Kollegen mit Abstand am meisten auf 3D setzt. Bereits vor zwei Jahren bescherte diese nach vor umstrit­tene Technik mit Alfonso Cuaróns Gravity Venedig einen der besten Festival-Eröff­nungs­filme der letzten Jahr­zehnte. Und mag Everest auch künst­le­risch dahinter zurück­stehen – dies ist ein span­nender, unter­halt­samer Eröff­nungs­film, der in unge­se­henen Bildern von Menschen und Lebens­weisen erzählt, die den meisten Zuschauern fremd sein dürften.

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An den nächsten zwölf Tagen geht es dann aber vor allem um Goldene und Silberne Löwen. Insgesamt laufen über 120 Filme in vier Sektionen – erstmals seit vielen Jahren voll­kommen ohne deutsche Betei­li­gung. Und das über­rascht mich keines­wegs. Darauf kommen wir an dieser Stelle noch zurück – aber erstmal nichts über Filme, die NICHT da sind, sondern über das, was gezeigt wird.

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Bereits am Dienstag gab es eine Voreröff­nung für die Vene­zianer Bevöl­ke­rung in angenehm italie­ni­schem Stil­ge­fühl: Perfekt geklei­dete Hono­ra­tioren kamen ohne Krawatte und hielten kurze, humor­volle Reden, und bewiesen einmal mehr: Venedig ist eben einfach das lässigste Festival der Welt.

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Mit Live-Musik zeigte man danach die zwei Filme der Regie-Legende Orson Welles (er wäre in diesem Jahre hundert geworden), die in Venedig gedreht wurden: Beides sind Shake­speare-Verfil­mungen: Othello (1951), ein präch­tiges in gleißendem Sonnen­schein gedrehtes Licht-und-Schatten-Spiel in Schwarz­weiß. Der Kaufmann von Venedig von 1969 ist dagegen nur in Frag­menten erhalten. Der unter anderem vom Film­mu­seum München restau­rierte 35-Minuten-Torso zeigt ein in Farbe gedrehtes, trotzdem düster wirkendes Venedig. Welles versuchte hier die über­ra­schend aktuelle Ehren­ret­tung der Haupt­figur: Mit Shylock habe Shake­speare dem Angehö­rigen einer Minder­heit die schönsten Worte engli­scher Sprache in den Mund gelegt.

(to be continued)