08.02.2015
65. Berlinale 2015

Wer reinkommt, ist drin...

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Jafar Panahi als Taxifahrer
(Foto: Berlinale | Taxi Teheran)

Ob Taxi, ob Party, der Potsdamer Platz sieht aus, wie Teheran – Berlinale-Tagebuch, 3. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Natürlich hat mich die Nicht-Einladung zur Berlinale-Eröffnung nur noch mehr ange­spornt, dann aber wirklich auf der Party zu erscheinen. Und in solchen Momenten merkt man wieder mal, wie viel Freunde man hat: Mehr als nur ein Angebot kam von Kollegen- und Filme­ma­cher­seite, auch Mitar­beiter der Berlinale waren sehr hilfs­be­reit. Danke also auch auf diesem Weg!

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Frauke Greiner oder Dieter Kosslick hab' ich dann aber leider nicht gesehen, um persön­lich »Hallo!« zu sagen. Die waren wahr­schein­lich auf dem Eröff­nungs­dinner. Denn es gehört ja zu den Eigen­heiten einer jeden Berlinale-Eröffnung, dass es dann immer noch eine zweite Eröffnung gibt mit Extra-Einladung. Zu der werde ich wohl erst kommen, wenn ich mal mit einem Film im Wett­be­werb bin, oder in der Jury sitze. Kann also nicht mehr so lange dauern... ;-

»Dafür traf ich unter anderem auf Jenni Schily, Sophie Main­ti­gneux, Christine Meier, Andreas Rosen­felder, Alfred Holighaus, Bettina Blümner, Tobias Müller, RP Kahl, Michael Kötz, Daniela Kötz, Arne Birken­stock, Janine Meerapfel, Wolfgang Höbel, Lars-Olav Baier, Andreas Schreit­müller.« Solche Listen hab ich vor über zehn Jahren mal für die Klatsch­presse gemacht. Namen wurden fett­ge­druckt.

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Die besten Treff­punkte am ersten Abend waren wie üblich die anti-puri­ta­ni­schen: die Raucher­ecke im Erdge­schoss, wo sich im Gegensatz zum Rest des Berlinale-Palasts dann wirklich mal alle drän­gelten. Und der McDonalds gegenüber, wo alle die, die die veganen Schaum­süpp­chen, die Direktor Kosslick servieren lässt, genauso verab­scheuen, wie ich, und alle, die vorher nichts gegessen haben, irgend­wann auftau­chen, um ihre Flei­sch­ra­tion zu bekommen.

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Es ist seit Jahr­zehnten ein beson­deres Genre: das des irani­schen Auto­fahr­films. Man muss sich das in etwa so vorstellen: Der Film beginnt im Auto, und die Kamera verlässt dieses Auto nie. Alles was überhaupt im Film passiert, ereignet sich an eben diesem Ort, vorzugs­weise während der Fahrt. Durch die Scheiben aller­dings sieht man auch das Leben auf der Straße, in anderen Fahr­zeugen, beob­achtet, und nimmt daran teil. Man sieht dann, dass es in Teheran auf den ersten Blick zumindest auch so anders nicht ausschaut wie bei uns.
»Teheran sieht aus wie Potsdamer Platz«, flüsterte mir Heike schon nach zehn Minuten zu. Meine spontane Antwort: »Viel­leicht isses eher umgekehrt?«

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Dass dieser Typ Film sich ausge­rechnet im Iran entwi­ckelt hat, liegt nun aber nicht daran, dass die Perser eine besondere Faszi­na­tion für PKWs haben, es hat seine Ursache vielmehr in den beson­deren und schwer vers­tänd­li­chen Vorschriften der irani­schen Zensur­behörden, die für ein europäi­sches Publikum mitunter auch bizarre Züge haben.

Das Auto gilt im Iran juris­tisch als Innenraum, also kann ein Filme­ma­cher, der für einen Außendreh keine Geneh­mi­gung bekommen hat, dieses Verbot, indem er die Handlung ins Auto versetzt, ziemlich einfach umgehen. Merk­wür­diges Land. Man denkt ja, in einer Diktatur würde man dann halt den Innenraum mal eben zum Außenraum umde­fi­nieren, wenn es einem besser in den Kram passt, aber so einfach geht es eben offenbar nicht.

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Im Auto dürfen sich auch Männer und Frauen gleich­zeitig aufhalten – im Gegensatz zu öffent­li­chen Orten wie Cafés, Schulen, Kinos und Ähnlichem. Die Frauen und schon die kleinen Mädchen natürlich nur mit vorschrifts­mäßig streng verschlei­ertem Haar. Seit den 1980er Jahren hab es immer wieder auffal­lend oft lange Szenen oder sogar ganze Filme aus dem Iran, die in einem Auto spielen, etwa vom berühmten Abbas Kiaros­tami – noch ganz anders als zum Beispiel Holly­woods oder Europas Road-Movies wird das Auto hier zur Druck­kammer und zum Seelen­er­for­schungsort.

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Die neueste Variante des irani­schen Auto­fahr­films hatte nun heute bei den Berliner Film­fest­spielen im Wett­be­werb Premiere. Sie heißt Taxi und stammt von Jafar Panahi. Dieser Regisseur ist durch sein Dissi­den­ten­da­sein und seine poli­ti­schen Schwie­rig­keiten, einschließ­lich Haft und lang­jäh­rigem Berufs- und Reise­verbot fast noch berühmter, als durch seine Kinowerke.
Mit Taxi beweist er nun, dass er auch ein hoch­in­ter­es­santer und clever-ironi­scher Filme­ma­cher ist. Denn der Film handelt im Prinzip von nichts anderem, als von einem Taxi, das einen Tag lang durch Teheran fährt. Der Fahrer des Taxis aller­dings ist – Panahi selber.
Nicht als Schau­spieler, sondern der Regisseur Jafar Panahi fährt, das ist die Grundidee des Films, Taxi und lässt die Kamera laufen. Alle paar Minuten steigen neue Fahrgäste dazu, einige von Ihnen erkennen Panahi sprechen ihn auf seine Filme. Zum Beispiel ein Straßen­film­händler, der Filme aus Hollywood, ob von Woody Allen oder Zombie­scho­cker feil­bietet, die – im Iran theo­re­tisch verboten sind, praktisch aber eben an jeder Straßenecke erhält­lich. Außer übers Kino drehen sich viele Gespräche über Politik, oder über Alltäg­li­ches wie Gewalt in und die vielen Straßen­räuber. Gleich zu Beginn disku­tieren zwei Fahrgäste über den Sinn der Todes­strafe. Eine Anwältin erklärt die Folgen der perma­nenten Bespit­ze­lung: »Deine engsten Freunde werden zu Feinden.«

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Das Herz des Films sind aber die Gespräche mit der etwa zwölf­jäh­rigen Nichte Panahis, die in der Mitte des Films zusteigt und ihn nun begleitet. Denn das Mädchen möchte mit einer kleinen Digi­tal­ka­mera einen eigenen Film drehen. In der Schule hat ihr die Lehrerin die »Regeln für einen zeigbaren Film« beigebracht. Also die Vorschriften der Zensur.

»Zeigbar ist im Iran ein Film, wenn die Guten einen isla­mi­schen Namen haben, und keines­falls eine Krawatte tragen. Ein Film darf keine wirt­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Themen behandeln, er soll die Realität zeigen, aber nicht, wenn sie hässlich ist. Und so weiter.
Am schwersten wiegt der Vorwurf der Schwarz­ma­lerei. Was immer das sein soll. Es kann alles und nichts sein.«

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So ist Jafar Panahis Taxi vor allem ein pfiffiger selbst­re­fe­ren­ti­eller Film über Filme­ma­chen und Film-Zensur im Iran. Und es ist ein Gesell­schafts­por­trät, das über die Gespräche, auch über das, was man sieht, wenn man aus dem Fenster blickt, viel von der alltäg­li­chen Wirk­lich­keit des Landes und den Auswir­kungen der Mullah-Diktatur einfängt.
Bis ganz zum Schluss. Da wird das Bild schwarz. Zwei Männer rauben das Taxi aus, aber es sind keine Straßen­räuber, sondern offen­kundig Schergen des Geheim­dienstes. Sie wollen die Kamera stehlen, um den Film, der wir gerade sehen, zu verhin­dern. Das gelingt ihnen nicht. Aber ihre letzten Worte lauten: »Wir kommen wieder!«