26.05.2013
66. Filmfestspiele Cannes 2013

Gott vergibt, das Kino nie

Only God Forgives
Nicht gelungen: Only God Forgives von Nicholas Windig Refn
(Foto: Tiberius Film GmbH & Co. KG / 24 Bilder Film GmbH)

Boutique-Cinema, Bad movies from good directors, bad movies from bad directors – Cannes-Tagebuch, 4. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die Sprache ... kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt, sind nur zerris­sene Bruchs­tücke«, – so Heinrich von Kleist vor etwas mehr als 200 Jahren. Auf Kleist müssen wir uns jetzt sowieso langsam einstellen. Ein radikaler Künstler, von dem wir Kritiker, wie auch mancher Filme­ma­cher sehr viel lernen können. Kleists Radi­ka­lität bestand gerade darin, dass er nicht genau wusste, was er tat. Weil er sich dem Sog des Schrei­bens überließ. Es fanden während des Schrei­bens Prozesse statt, die er nicht bewusst steuern wollte.
Nicht der schlech­teste Ratschlag, jetzt um 1.21 Uhr, wenn sich Schlaf- und Wach­zu­stände langsam zu sonam­bulem Cali­ga­rismus mischen...

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Diesmal hat man wirklich den Eindruck, dass die Program­mie­rung des Programms, also die Plat­zie­rung der einzelnen Filme im Festi­val­pro­gramm einem höheren Plan folgt. Als hätte sich Thierry Fremaux überlegt, das Schlech­teste alles auf den Wochen­an­fang zu packen, weil es dann auch vorbei ist.

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Drive – das war vor zwei Jahren an diesem Ort der viel­leicht schönste, allemal über­ra­schendste Film des Wett­be­werbs: Nicholas Windig Refn kannte man bis dato nur von einschlä­gigen Genre­filmen, wie seiner Pusher-Trilogie, die in den frühen 90er Jahren auf der Tarantino-Welle mitschwamm, inzwi­schen doch recht gealtert ist, und der Film­ge­schichte vor allem deshalb im Gedächtnis bleiben wird, weil mit ihr Mads Mikkelsen bekannt wurde. Ein paar andere Werke folgten, Fear X ist einen zweiten Blick wert, und Valhalla Rising, der, wieder mit Mikelsen, vor ein paar Jahren in Venedig lief, war bis dahin fraglos Refns bester Film. Dann kam Drive. Sensa­tio­nelle erste zehn, 15 Minuten, dann immer noch sehr stark, ein roman­ti­scher Film voller Herz, mit über­zeu­gendem Musik­ein­satz. Fraglos ein groß­ar­tiger Film, der zu Recht, aber immer noch sensa­tio­nell den Regie-Preis gewann, und zum Welt­erfolg wurde.
Schwer daran anzu­knüpfen. Vers­tänd­lich, dass Refn die größten Vorschuss­lor­beeren eines Wett­be­werbs­films galten. Was würde Refn tun?

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Im letzten Jahr gab es, was es noch nie gab in Cannes: Eine von Festi­val­boss Thierry Fremaux persön­lich mode­rierte Trai­ler­show, über die wir seiner­zeit an dieser Stelle auch geschrieben hatten. Dort lief neben Ausschnitten aus Spring Breakers von Harmony Korine und Wong Kar-wais The Grand­master auch ein langer Trailer zu Only God Forgives, Refns neuem Film. Im Licht des fertigen Werkes, muss man jetzt sagen: Der Film ist ganz genau so, wie man es nach Ansicht des Trailers im letzten Jahr befürchten musste: Ein stili­si­s­iertes Nichts in Zeitlupe, Ellipsen, schöne Klamotten an schönen Menschen zu Neon­z­wie­licht und Musik – wie ein ganz schlechter Wong Kar-wai.

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Es ist eine Art Gangs­ter­ge­schichte. Sie spielt in Thailand. Am Anfang sieht man einen Boxring, zwei Ameri­kaner, die Kämpfe von Thai-Jungs orga­ni­sieren. Sie sind Brüder, einer geht los, besucht Bordelle, verprü­gelt den Besitzer, weil er offenbar auf besonders junge und jung­fräu­liche Mädchen steht, und sie nicht bekommt. Schnitt. In einem anderen Etablis­se­ment nimmt er eine junge Frau mit aufs Zimmer, wir ahnen schon Böses, und tatsäch­lich liegt sie bald tot in ihrem Blut auf einem Zimmer. Warum und wieso? Gründe (um mal von Moti­va­tionen gar nicht erst anzu­fangen) werden in diesem Film konse­quent nicht gegeben. Auch nicht dafür, warum der Mörder im Zimmer sitzen bleibt, nicht dafür, warum der nun ermit­telnde Polizei-Offizier den Vater der Ermor­deten zum Tatort kommen lässt, um ihn mit dem Täter im Zimmer einzu­schließen, mit der Bemerkung: »Do whatever you want.«
Als er die Tür wieder öffnet, ist der Mörder überaus grausam zerschmet­tert.
Gründe gibt es auch nicht dafür, warum nun wiederum der Polizei-Offizier den Vater an einen anderen Ort schafft, um ihm da überaus stili­siert mit einem Samurai-Schwert, das er recht unbequem im Rücken unter der Uniform versteckt hat, den Arm abzu­ha­cken. Damit er, wie der Mann des Gesetzes erklärt, in Zukunft mehr auf seine drei über­le­benden Töchter abgebe. Dazu wird er nicht viel Gele­gen­heit haben, denn ein paar Tage später wird der Mann mit dem Armstumpf dann ermordet. Wir wissen, wer die Killer sind. Denn tags zuvor ist die von Kristin Scott Thomas mit gelbblond gefärbtem Haar und dicken roten Plas­tik­fin­gernä­geln gespielte, auch sonst auch sonst so billige, wie unsym­pa­thi­sche Mutter der beiden Ameri­kaner aus den USA abgereist. Diese Frau entpuppt sich als Gangs­ter­mami und eine Art White-Trash-Ma-Baker. Fluchend, vulgär und knallhart komman­diert und ernied­rigt sie den von Ryan Gosling gespielten über­le­benden Sohn. Eigent­lich weiß man von Anfang an, worauf die Handlung nun des Weiteren hinaus­läuft: Versuche, den nicht gerade uncoolen Polizei-Offizier (noch die inter­es­san­teste, aber auch nicht entwi­ckelte Figur) zu ermorden, scheitern vorher­sehbar, weniger vorher­sehbar verliert Gosling auch den Thai-Boxkampf-Showdown mit dem Polizei-Offizier überaus klar. Woraufhin der die Mutter tötet, und Gosling die unver­s­tänd­li­cher­weise völlig schutz­lose Tochter des Polizei-Offiziers verschont, aber – only god forgives – dafür keines­wegs Dank erntet, sondern auch noch, offenbar damit alles seine Ordnung hat, per Samu­rai­schwert einen Arm abgehackt bekommt. Das wiederum über­rascht nicht, denn das hatten wir schon gesehen, als Tagtraum Goslings ganz zu Beginn, während sich eine hübsche Thai-Nutte vor ihm befrie­digte...

Diese so vertrackte, wie in sich sinnlose Rache­ge­schichte, krankt nicht allein daran, dass man keine einzige dieser Figuren auch nur von fern sympa­thisch findet. Sie ist vor allem ganz einfach banal, und trägt allen­falls für einen Kurzfilm. Sie scheint am Ende nichts als ein seichter Vorwand für die hoch­sti­li­sierte Insze­nie­rung von von Folter, Mord und anderen Gewalt­akten, in Zeitlupe.
Only God Forgives sieht ohne Frage mitunter recht hübsch aus und ist gele­gent­lich sogar glänzend insze­niert. Was an dem Film wirklich wütend macht, ist zum einen die aufge­bla­sene Attitüde, die stili­sierten Zeitlupen, die bedeu­tungs­schweren Szenen, wie die, dass Gosling gegen Ende, als er die Leiche seiner Mutter findet, noch mit der Hand durch die Wunde in deren Leib herum­sto­chert – um das Herz zu finden? Dieser Film ist vor allem »wannabe«.
Alles ist hoch­gradig präten­tiös und in seiner ellip­ti­schen Insze­nie­rung auf der Stelle tretend. Langsam und bedeu­tungs­schwer ist dies in jeder Hinsicht das Gegenteil von Drive – der Film hat so gar keine Leich­tig­keit, kein Tempo, keine Energie, keine Musi­ka­lität.

Vielmehr paart sich Einfalls­lo­sig­keit mit Frau­en­hass und überaus präten­tiösen Jungs-Phan­ta­sien. Only God Forgives ist ein Buberl­film, der in einem den Gedanken weckt: Den hätte seine Mami mal öfter übers Knie legen sollen. Dann müsste er Mutter­kom­plexe und andere Traumata jetzt nicht mühsam auf der Leinwand abar­beiten. Für die Person des Regis­seurs muss man jeden­falls nach diesem Film das Schlimmste befürchten, zumal Refn in Inter­views Sätze von sich gibt, wie den, er widme diesem Film seinem zur Zeit noch unge­bo­renen Sohn. Wenn dem tatsäch­lich so ist, sollte Refns Frau nach diesem Film die Scheidung erwägen.

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Miss­ver­stan­denes Asien ist alles natürlich auch, weil Refn vermut­lich selber glaubt, er sie hier irgendwie Zen-buddhis­tisch drauf, bloß weil sein Bulle immer zwischen den Schwert-Aktionen schwer­mü­tige Thai-Pop-Schlager singt. Dabei ist er gerade in seinem Asien-Zugang nichts als ein Kino-Tourist.
Der Gipfel dieser Zumutung ist dann im Nachspann die Widmung bzw. der Dank für Alejandro Jodo­rowsky und Gaspar Noe. Damit wir, wenn wir es schon nicht von selbst verstehen, nur ja begreifen, wie hart – Noe – und wie kosmo­lo­gisch – Jodo­rowsky – dieser Refn drauf ist. Auf weia!
Valhalla Rising im Lichte von diesem Film betrachtet, verliert noch mehr als Drive. Auch Gott vergibt nicht alles.

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Was an diesem Boutique-Cinema aber vor allem nervt, ist, dass er die weitaus klügeren Ansätze eines Kinos der Ober­flächen und des Driftens – etwa Sofia Coppola oder Wong Kar-wai – durch genau solche Filme nach­haltig diskre­di­tiert werden.

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Noch schlimmer war anderes: Über Valeria Bruni Tedeschis dritte Regie­ar­beit Un château en Italie gibt es wirklich nicht mehr zu sagen, als: Wenn Refns Film, man muss das zugeben, zwar einer der meist­ge­hassten Beiträge war, fand er doch Vertei­diger. Und im Kino hielten sich Buhs und Applaus die Waage. Bei Bruni Tedeschi war das nicht mehr so.

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Wer kennt heute überhaupt noch La dolce vita fragt Verena zu recht. Paolo Sorren­tino offen­kundig nicht, sonst hätte er etwas mehr Demut gezeigt, und nicht die Dreis­tig­keit besessen, seinen neuen Film auch noch als Remake von Fellinis Meis­ter­werk anzu­kün­digen. Zwerge im italie­ni­schen Film sind noch lange nicht Fellini.

La grande bellezza wäre auch ohne diesen Verweis schon schlimm genug. Wie schon alles losgeht: Mit einem daher­stol­zie­renden Celine-Zitat über das Leben als Reise vom Leben zum Tod. Dann Kitsch, ein Musik-Chor, der uns dauer­be­rie­seln wird, Rom-Tourismus durch Denkmäler, dann ein toter Japaner, dann Rafaela-Carra-Songs auf einer derben Bunga-Bunga Party; eine Frau redet über den »mental and physical decline« im »Paese di merda«, wofür dieser Film tatsäch­lich ein Indiz ist, zu Drecks­musik ohne Dialoge sieht man ein Ballett, eine Disco-Choreo­gra­phie, die vorgeb­liche Poesie einsamer Zwerge – und nach 25 Minuten ist die Geschichte immer noch so unklar wie in der ersten Minute. Irgendwie ist zu ahnen, dass es irgendwie um ein Dekadenz-Portrait geht, böse Reiche, die irgendwie mystisch drauf sind; man sieht ein Kloster mit Nonnen und Mädchen; eine Frau, die ihr Schamhaar leuchtend rot gefärbt hat, darauf sind Hammer und Sichel zu sehen, sie ist ganz nackt, um dann mit voller Wucht gegen die Mauer eines römischen Aquädukts zu rennen und dann auf den Boden zu knallen. Eine Perfor­mance.
Nach­syn­chro­ni­siert ist alles auch noch. Der Film hat keinerlei Struktur, ist bloßes Aufein­an­der­schichten und Anein­an­der­reihen von Bildern. Ein doofer Scheiß, Bunga-Bunga-Kino, und auch im schlech­test­mög­li­chen Sinn des Wortes »typisch italie­nisch«.

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Viel besser, aber noch lange nicht gut ist Takashi Miikes Wara no tate. Wie bei wie Kore-eda geht es um die ganze japa­ni­sche Gesell­schaft. Aber anders. Ein Kriminal- und Poli­zei­film, in dem zu Beginn ein reicher Mann auf die Hinrich­tung eines gesuchten Kinder­mörder eine Millarde Yen aussetzt. Die Gesell­schaft wird darüber fast verrückt, als der Mörder gefasst wird, droht man ihn zu lynchen. Ein guter Polizist schafft es, ihn zu retten und vor Gericht zu bringen – wobei sein gesamtes Team draufgeht. Er überredet den Reichen, die Belohnung zurück­zu­nehmen, weil sie die Gesell­schaft zerstört. Doch im Gericht sagt der Kinder­mörder dann: »Ich bedaure zutiefst – hätte ich das gewusst, hätte ich viel mehr getan.« Er ist das absolute Böse. Und Miikes Film mit viel Wohl­wollen seine persön­liche Fritz Lang-Hommage, voller Spuren von M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Fury, Man Hunt.

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Noch ein sehr gespannt erwar­teter Film, der unter den Erwar­tungen blieb, ist der neue Johnnie To: Blind Detective hat zwar sehr gut geschrie­bene Dialoge, fast ein wenig bisschen Hollywood-Screwball, ist aber sonst ein eher schlichter Quatsch. Klamotte mischt sich mit hartem Krimi zu einem kalku­lierten Massen­pro­dukt. Ziemlich viel Körper­flüs­sig­keiten werden vergossen: Blut, Frucht­wasser, Urin, Kotze, ansonsten ist die Story um einen blinden Detektiv, der von einer Kung-Fu-begabten Kollegin unter­s­tützt Verbre­cher jagt, und als Mystiker immerzu »use your intuition« brüllt, recht dünn geraten. Mit viel Wohl­wollen kann man dem Film zugute halten, dass er Stadt­viertel und Ausflugs­ziele Hongkongs vorführt, und so diesen filmi­schen Ort karto­gra­fiert. Nach einer hübschen Szene im Spie­ler­pa­ra­dies Macao gibt es am Ende einen doppelten Showdown. Nett, aber zu wenig für über zwei Stunden in Cannes.

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Nach dem Film spreche ich mit Derek Elley, meinem Bekannten von »Film Business Asia«, ehemals Autor von »Variety«. Er brachte den Film auf den groben Punkt: »This is a piece of shit from the beginning to the end.« Er wäre nach 15 Minuten raus­ge­gangen, müsse aber drüber schreiben.
»Kannst du dir vorstellen, dass Thierry Fremaux sich diesen Film über zwei Stunden lang anguckt, und lustig findet? Der zeigt ihn nur, um den Namen Johnnie To im Programm zu haben.« Fazit: »I call that cynical program­ma­tion.«