25.05.2008
61. Filmfestspiele Cannes 2008

Wenders' Tod in Palermo

Palermo Shooting
Lässt auch Campino ziemlich alt aussehen: Palermo Shooting
(Foto: Senator Film Verleih/ Central Film Verleih)

Seniorenkino, Gymnasiastenpoesie, Parasitäres und Frau Lynch

Von Rüdiger Suchsland

So etwas erlebt man in Cannes nicht oft: Höhni­sches Gelächter kommen­tierte sarkas­tisch einzelne Dialoge, und am Ende der Pres­se­vor­füh­rung von Wim Wenders' neuem Film Palermo Shooting, der seine offi­zi­elle Premiere am Sams­tag­abend im Wett­be­werb von Cannes erlebt, rührte sich kaum eine Hand zum Applaus, statt­dessen gab es ein Buhkon­zert.

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Wenn der Deutsche gefühlig wird, vergreift er sich an Italien. Und auch die viel­leicht besten beiden deutschen Schrift­steller des 20. Jahr­hun­derts, Thomas Mann und Wolfgang Koeppen, konnten es nicht lassen, exis­ten­ti­elle Stoffe im Land, wo die Zitronen blühen, anzu­sie­deln, genauer gesagt in den zwei Welt­kul­tur­s­tädten Rom und Venedig. Im Fall von Palermo liegen die Dinge ein wenig anders, aber auch Palermo Shooting könnte gut und gerne »Tod in Palermo« heißen. Auch dies ist eine morbide Medi­ta­tion über den Tod, auch hier steht ein deutscher Künstler im Zentrum, der von Leben­sü­ber­druss und Todes­ah­nung gequält wird, nach Italien reist, und dort zuerst eine Liebe findet und dann dem Tod begegnet. Das aller­dings ist aber auch wirklich alles, worin man Wenders' Film mit den beiden meis­ter­li­chen Vorläu­fern verglei­chen kann.

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Palermo Shooting ist in jeder Hinsicht Senio­ren­kino: Alte Autos, alte Kameras, alte Häuser, alte Männer, und auch Wenders' Bilder sehen alle mindes­tens 30 Jahre alt aus. Ein Quas­sel­film, dessen erbärm­liche Dialog­qua­lität den Zuschauer von Anfang an quält. Ein Beispiel: »Träume – sind das nur elek­tri­sche Gewitter im Gehirn? Oder steckt mehr dahinter?« Oder: »Man muss alles todernst nehmen.« Oder, in Campinos schlechtem Englisch: »Cool! A city on a hill.« Mit einem Wort: Gymna­si­as­ten­poesie. Oder: »Die Zeit schert sich einen Dreck um uns« – oh bitte lieber Gott, lass Wim Wenders wieder mit Handke schreiben, dann ist das esote­ri­sche Geschwurbel wenigs­tens besser formu­liert.

Im Zentrum steht ein Düssel­dorfer Fotograf mit dem typisch Düssel­dorfer Namen Finn Gilbert, ein Typ, der von allen Frauen verehrt und begehrt wird, ein Klug­scheißer, der sich nichts sagen lässt und der nicht zuhören kann. »Diese Bilder sind nur Ober­fläche«, lehrt er seine Studenten an der Akademie, er ist also, das macht der Film klar, ein böser Böser, denn er mani­pu­liert die Wahrheit.

Neben dem Computer liegt des öfteren mal ein Toten­schädel, das ist dann Wenders' Form von Symbo­lismus. Sein Film zeigt die ganze Welt als von Sinn erfüllt, ein Reich der Zeichen, die sämtlich aufein­ander bezogen sind, und ein geschlos­senes Ganzes ergeben, einen wohl­ge­ord­neten Text weben. Diese Wohl­ge­ord­net­heit ist der wahre Schrecken des Films. Vor allem macht Wenders ein Geheimnis aus dem Offen­sicht­li­chen, und während auch der letzte Zuschauer kapiert hat, dass Hopper der Tod ist, ist die Haupt­figur bis zum Ende ein ahnungs­loser Idiot.

Am Ende trifft Finn den Tod, der sich als ein großer Aufnah­me­leiter entpuppt. Jetzt hat nämlich auch die Stunde des Medi­en­dis­kurses geschlagen, in der der Tod zum Moral­pre­diger wird: Photos seien Death at work, das Digitale »is open to mani­pu­la­tion ... you lost the essence ... you are afraid by the real existing world ... you try to recreate. That is the fear of death.« Aha! An sich wäre ja dieser kultur­kon­ser­va­tive Eintopf der Erör­te­rung wert, wenn er nicht ästhe­tisch so erbärm­lich wäre. Und wenn Wenders nicht selbst fort­wäh­rend mit den Bildern tricksen und sie bear­beiten würde, wo er inhalt­lich doch so auf Authen­ti­zität erpicht ist. Aber Wenders hat ein etwas stumpfes Beharren darauf nichts dazu lernen zu müssen, das mit den Jahren immer sturer wirkt.

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Noch einmal schwoll das Buh des Publikums an: Als ganz am Ende des Films ein Insert erschien, das jenseits aller Geschmack­fragen jeder im Saal als eine echte Belei­di­gung empfand: »Gewidmet Ingmar Bergman und Michel­an­gelo Antonioni«.

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Diese Bemerkung ist verrä­te­risch, Antonioni und Bergman hinter­lassen auch gar keine Spuren in diesem Film. Natürlich kann man sagen: Das siebente Siegel und L’avventura, aber Wenders spielt auch nicht mit dem Werk der beiden beiden und am Schlimmsten ist daran ist die Arsch­krie­cherei, mit der sich Wenders hier auf die Höhe zweier Film­künstler stellt, deren Durch­schnitts­ar­beiten seine besten immer noch ein ganzes Stück überragen. Ist Wenders inzwi­schen wirklich so weit, para­si­ten­haft noch den Tod der beiden Kollegen für sich auszu­nutzen und von deren Glanz etwas Licht aufs eigene Werk fallen zu lassen?

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»Where are we? At a third class festival?« – so die spontane Reaktion von Aylin, einer der besten türki­schen Kriti­ke­rinnen, auf den Film. Entsetzt sind neben den deutschen Kollegen auch Redak­teure von arte und vom deutschen Fernsehen, die wir hier jetzt mal lieber nicht nennen möchten.
»Wenders hat schon seine Vertei­di­gungs­linie aufgebaut«, berichtet Jupp, der wider besseren Geschmack ein Interview geführt hat, »wer gegen den Film ist, hat Angst vor dem Tod.« Wenn’s so einfach ist.

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Good Cop, Bad Cop – wer ein paar Krimis gesehen hat, kennt das Spiel: Um Verdäch­tige besser verhören zu können, operieren die Ermittler mit verteilten Rollen. Manchmal, wie in anderen Berufen auch, vermi­schen sich aller­dings Arbeit und Leben...
Um gute und böse Poli­zisten, ihre Rollen und ihre bösen Spiele geht es in Surveil­lance der zweiten Regie­ar­beit (nach dem bizarren Boxing Helena) der 1968 geborenen Jennifer Lynch, die man, solange sie diesen Beruf ausübt, immer auch als Tochter des Regis­seurs David Lynch vorstellen muss – nicht nur weil der Vater den Film produ­ziert hat. Die Regis­seurin hätte sich wirklich besser einen anderen Besuch gesucht: Nach ihrem ersten Film bekam sie erst einmal fast 15 Jahre kein Bein auf den Boden – jetzt, wenn ihr zweiter Film in einer Neben­reihe in Cannes läuft, werfen ihr böse Menschen vor, ohne den Vater wäre sie nie dorthin gekommen.

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Obwohl Jennifer Lynch auch mit diesem Film, beweist, dass sie eine Regis­seurin aus eigenem Recht ist, entpuppt sie sich doch tatsäch­lich auch als Tochter ihres Vaters: Surveil­lance spielt im Lynch-Country, jenem diffusen Reich des nord­ame­ri­ka­ni­schen Midwest, in weiten Land­schaften, unter vulgären Menschen.
Ein grausamer Massen­mord ist hier geschehen, und die drei über­le­benden Zeugen, darunter ein Polizist finden sich in einem Poli­zei­re­vier ein. Kurz darauf stoßen zwei FBI-Fahnder hinzu, die den Fall über­nehmen sollen – Bill Pullman, der Star aus David Lynchs Lost Highway, spielt den einen, Julia Ormond (u.a. Fräulein Smillas Gespür für Schnee) die andere. Sie verhören die drei Zeugen in getrennten Räumen, verbunden durch Über­wa­chungs­ka­meras, und schnell weichen die drei Versionen ihrer Erleb­nisse vonein­ander ab...
Auch in dieser Ecke des Lynch-Terri­to­riums ist wenig, wie es erscheint und schnell ist klar, dass die Poli­zisten dieses Reviers mit vorbei­fah­renden Auto­fah­rern böse Spiele spielten – eine Art Lynch-Version von Hanekes Funny Games. Auch hier geht es um Eindring­linge, nur dass es der ameri­ka­ni­sche Raum ist, die Psycho­druck­kammer Auto, in den sie eindringen. Ein brutaler, kühl und berech­nend insze­nierter Film, der durch Handwerk besticht, und große Momente aufweisen kann, wie einige seichte, schlecht gelungene Stellen. Und auch hier gibt es einen Sohn, der dran glauben muss. Kurz vorher, nachdem er Willkür und Demü­ti­gung seiner Eltern durch Poli­zisten beob­achten konnte, hatte er noch resümiert: »Wenn ich groß bin, will ich Polizist werden.«

Rüdiger Suchsland