64. Filmfestspiele von Venedig 2007
Der Tag der blauen Hemden |
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»Men will be completely useless«: It’s a Free World |
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(Foto: Neue Visionen Filmverleih) |
Das Wetter wird schlechter, der Wind stärker am Lido, und allmählich ist es an der Zeit, sich auf die Suche nach dem roten Faden zu begeben, dem des Festivals. Der ist schwer auszumachen, egal, ob man es thematisch oder ästhetisch probiert. Nicht nur für BR-Kollegen Carlos, der die Frage aufwirft. Natürlich ist diese Frage auch falsch gestellt, denn jedes Filmfestival konstruiert einen solchen Zusammenhang nur künstlich. Trotzdem werden im Mikrokosmos eines Festivals
Kontinuitäten, Brüche und Tendenzen oft klarer sichtbar als anderenorts.
»Es gibt keine Euphorie«, sagt die schwedische Kollegin Ingelind, die auch schon seit über 20 Jahren hierherkommt. »In früheren Jahren gab es immer einen oder mehrere Filme, über die die Leute gestritten haben, immer wieder über Tage diskutiert haben.« Stimmt, auch ich erinnere mich noch an die Aufregungen über Bertoluccis DREAMERS oder Rohmers reaktionären Revolutionsfilm.
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Aber wenn man ehrlich ist, gab es unter Leiter Marco Müller in vier Jahren noch nie Euphorie. Sein Festival erinnert an den FC Bayern unter Magath. Es ist erfolgreich, macht aber schon lange keinen Spaß mehr, und die Schwächezeichen sind unübersehbar.
Eigentlich höchste Zeit, dass man ihn rauschmeisst. Die ehemalige Locarno-Leiterin Irene Bignardi kratzt in Rom schon an der Tür, wie man hören kann. Aber Müller ist, auch wenn er als Berlusconi-Mann scheinbar nicht mehr in die
Landschaft passt, ein Kellner der Politik. Er schafft Stars im Dutzend auf den Roten Teppich, gefällt den Amerikanern, und vermeidet negative Schlagzeilen.
Und blickt man sich auf dem Festival um, das vor fünf Jahren noch ein so beschaulicher wie eleganter Ort war, dann hat Berlusconi längst gesiegt. Rund um den Festivalpalast steht eine Bude neben der anderen, abends dröhnt extrem laut italienischer, also schlechter Pop über den Strand, den man vor lauter Sponsorenbannern
schon längst nicht mehr sehen kann. Ein Festival wie das italienische Privat-Fernsehen.
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»Früher war nicht nur das Festival, früher waren die Italiener schicker«, sagt eine Kollegin. Mag sein. heute jedenfalls erscheinen sie als ein debiler, aber fröhlicher Haufen, der im Kino immer an der falschen Stelle lacht.
Wozu auch der schreckliche Trailer mit seiner Jahrmarktsmusik passt. Im ersten Jahr gab es noch Buh-Rufe, auch die gibt es schon lange nicht mehr. Und die allgemeine Dummheit der Organisation, die schon im letzten Jahr ausführlich beschrieben wurde,
Passwort-Albernheiten und Bodyguards.
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Auch Martina, Produzentin aus Berlin, und erstmals in Venedig teilt den Eindruck von uns Kritikern: »Das ist ein Kindergarten hier. Alles wirkt unernst, unseriös in seiner Ausstrahlung. Der Markt existiert nicht. Und das Programm ist überaus dünn: Als Verlegenheitslösung geht man in Filme, weil man nicht mehr weiß, was man hier soll, weil man denkt: Da gehe ich lieber da rein, als in gar keinen.« Das Festival sei so »wie die Italiener halt so sind: Nach außen große Show, aber nichts
dahinter.«
Nur weil Berlin auch in wenigen Jahren unglaublich viel schlechter geworden ist, fällt das alles nicht so auf. Was man Müller aber zugute halten muss: Der Wettbewerb ist eindeutig besser als der der Berlinale. Ansonsten wird er als der in die Venedig-Geschichte eingehen, der das Festival den Heuschrecken zum Fraß vorgeworfen hat. Django Müller räumt auf!
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Eine ganz interessante Zusatzinfo zu Paul Haggis' In the Valley of Elah, über den wir in der letzten Folge schon geschrieben hatten. Offenbar hat Haggis nämlich aus dem fast fertigen Film noch eine ganze, etwa 20-minütige Episode herausgeschnitten. In der hat der US-Soldat, der als »Doc« im Irak ein berüchtigter Folterknecht war, in der ursprünglichen Fassung noch eine Freundin, die auch Soldatin bei der Armee ist. Ob der Film dadurch wesentlich verändert wurde, ist schwer zu sagen. Aber die Information macht doch wieder klar: Wenn es um Gewalt geht, dann ist das im US-Kino Männersache. Wenn es darauf ankommt, opfert man die Frauen.
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Searchers 2.0 ist der hübsche Totel eines dann doch ziemlich überflüssigen Films vom britisch-amerikanischen Independent-Filmer Alex Cox. Da gibt es ein paar schöne Sätze wie »Hamlet is good, Schwarzenegger not.« Oder man redet über »the attack of Seven Eleven«. Aber das war es schon.
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Wenn schon Independent, dann ist uns Alexander Kluge viel lieber. Kluge ist mit 16 langen und diversen Kurzfilmen einer der profiliertesten Filmemacher Deutschlands, und gilt als Kopf des »Neuen Deutschen Films«, daneben schrieb er mehrere literarische Werke, sowie Bücher zur Film- und Medientheorie sowie zu geschichtsphilosophischen Fragen – und doch kennen ihn die meisten wohl nur aus dem Fernsehen.
1986 drehte er seinen letzten Kinofilm, und gründete –
nicht zuletzt auch als Reaktion auf eine Filmförderung, die unabhängiges Kino wie in Frankreich zunehmend unmöglich machte –, 1987 die Firma »dctp«, mit der er seitdem »unabhängiges Fernsehen« produziert, und – im Staatsvertrag juristisch perfekt abgesichert – die »Kulturfenster« mehrerer deutscher Privatsender beliefert. So einfallsreich, so schräg und originell, so spannend widerborstig gegen den Strom sich Kluge dort präsentiert, gilt er doch im eigenen
Land als Außenseiter und es bedurfte schon eines Anstoßes aus dem Ausland, um den Filmemacher auch wieder einmal zu einer Arbeit fürs Kino zu bewegen.
Jetzt hatten gleich fünf Kinoprogramme Kluges beim Filmfestival von Venedig Premiere, zum 75. Jubiläum der Filmfestspiele, das auch mit dem 75. Geburtstag des Filmemachers (im letzten Februar) zusammenfällt, der hier mehrfach wichtige Preise gewann, unter anderem 1968 den Goldenen Löwen.
Die jeweils ein- bis 30minütigen Filme
dieser je etwa 100 Minuten langen Programme sind nach der für Kluge so typischen Methode der Mischung von selbstgedrehten Spielszenen, Dokumentarbildern, Textfetzen und Ausschnitten aus Filmklassikern gearbeitet. Besonders bemerkenswert sind hier zum einen 8 »Minutenfilme«, die Kluge gemeinsam mit dem Kameramann Michael Ballhaus auf 65mm-Filmmterial gedreht hat. Dieses Material ist weitaus aufnahmefähiger wie die üblichen 35mm oder wie Digitalbilder. »Im Augenblick der
Beschleunigung der Seh-Erfahrung, in der viele keine Geduld mehr für 90 Minuten Spielfilm haben, in der ›You-Tube‹ boomt, kehren paradoxerweise die ältesten Anfänge des Kino, der ein-minütige Kurzfilm der Brüder Lumieres, zurück.« sagt er. Und auf die digitale Revolution reagieren Kluge und Ballhaus »mit noch besseren Bildern und Seh-Erfahrungen, wie man sie nur im Kino machen kann.« In die Programme sind einige sehr alte Kinofilme integriert, etwa der seinerzeit
sensationelle über die »Erschießung eines Elefanten« – so etwas hat man lange nicht auf der Leinwand sehen können.
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»Das Kino ist meine Lieblingskunst: Die Schwester der Oper, und ihr vorausgehend.« Kluge wäre zugleich nicht das Allroundtalent und der begnadete Geschichtenerzähler, der er ist, würde er nicht einige gute Kino-Geschichten mit anspruchsvollen Fragen verknüpfen. Wobei hier natürlich der Haken liegt: Kluge ist ein sehr genauer, präziser Fragesteller – voller Verführungskraft entlockt er noch jedem interessante Antworten. Es ist eine Kunst, die richtigen Fragen zu stellen. Aber es ist auch eine Weise nicht selbst zu antworten. Zwar sagt Kluge manchmal mehr, als seine Interviewpartner. Aber man wünscht sich, dass ihm manchmal noch mehr Fragen gestellt werden und worden wären – weil die Antworten es immer wert sind.
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Gar nicht so leicht, zu beschreiben und zu erklären, was Kluge dann genau tut. Nehmen wir zum Beispiel das »Venedig-Programm 4«. Es ist der »poetischen Kraft der Theorie« gewidmet. Zu Techno-Musik begegnet man »ratsuchenden Sätzen von Aristoteles bis Heidegger«.
Kluge denkt sich was bei seinen Bildern. (Und das kann man weißgott nicht von jedem Regisseur sagen.) Man liest dann zum Beispiel nach einem Heraklit-Zitat die Erklärung »Heraklit, der Philosoph der Bewegung und der Trümmer«.
Dazu zeigt Kluge dann Bilder eines verunglückenden Rennwagens.
Oder »Jede unverständliche Bewegung bedeutet Gewalt.«, einer der durchaus fragwürdigen Sätze von Heidegger. Kluge zeigt eine Berliner S-Bahn dazu. Man darf dazu auch lachen, glaube ich.
Ein Beitrag über den Ersten Weltkrieg handelt davon, wie Begriffe von der Geschichte beseitigt werden. Die Philosophie kann Kriege entscheiden, wie etwa Hegel (Kluge meint: Kant), der 1807-1812 mit der Grande Armee gewann. Bevor er
von Fichte oder der deutschen Romantik besiegt wurde?
Es geht aber auch umgekehrt. Also fragt Kluge nicht nur: »Wer kämpfte 1914?«, sondern ob beim Fort Douaumont vor Verdun auch Nietzsche besiegt wurde? Ob dem Übermensch damals ein »Überding« entgegentrat. Auch, ob der Flammenwerfer ein Ding an sich hat, muss an wohl fragen, traut sich aber keiner. Vielleicht allerdings wurde Nietzsche vor Verdun auch durch eine überlegene Philosophie besiegt, durch den US-Pragmatismus
nämlich.
Ein anderer Beitrag handelt vom Mond, und seiner Lesbarkeit. Einst sei der Mond ein Spiegel des Unbewußten gewesen, habe Fragen ohne Antworten produziert. Ein Fetisch, also ohne Gebrauchswert. Heute hat auch der Mond einen Gebrauchswert, wird kartographiert und verkauft.
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Womit wir bim allerinteressantesten Beitrag des Programms wären, der von dem Projekt des sowjetischen Regisseurs Sergeij Eisenstein berichtet, der in den 20er Jahren Karl Marx' Kapital verfilmen wollte. Eisensteins berühmter Kollege, der Filmpionier Dziga Vertov, sammelte bereits diverses Dokumentar-Material, von dem Kluge einige atemberaubende Ausschnitte vorführt. Es geht auch um die Debatten zwischen diesen beiden so verschiedenen Köpfen: Vertov betonte, man müsse »auch
den Gegner darstellen, nicht vorführen, denn sonst weiß man ja gar nicht, warum es die Revolution geben musste.«
Das Projekt scheiterte letztlich an politischen Ängsten Eisensteins während des aufkommenden Stalinismus. Aber Kluges Film fragt weiter: Wie könnte man »Das Kapital« verfilmen, könnte man überhaupt ein theoretisches Buch ähnlich wie einen Roman in Bilder fassen? Und welche Bilder müssten das sein? Gibt es Bilder für den Warenfetischismus? Für die ursprüngliche
Akummulation?
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Es sind solche Fragen, in denen die größte Qualität von Alexander Kluge liegt: Innerlich jung geblieben ist er nicht nur in Bezug auf die Möglichkeiten des Kinos ein Optimist: »Der Film ist eine sehr junge Kunst, erst 120 Jahre alt. Ich allein habe ein gute Hälfte dieser Filmgeschichte bewusst miterlebt. Das Kino hat viele seiner Möglichkeiten noch gar nicht entdeckt.«
Er stellt den Filmemachern von heute mit seinen Fragen auch Aufgaben, Aufgaben, an denen sie schon deswegen oft
scheitern, weil sie die Fragen gar nicht verstehen.
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Einige allerdings schon. Es ist interessant und bereichernd mit dieser Kluge-Brille einmal die Filme hier zu betrachten. Und tatsächlich: Ein paar von ihnen nehmen sich wirklich Eisensteins Aufgabe an, und verfilmen, auf ihre jeweilige Art, das Kapital – und das heißt zuerst: Dinge, Gedanken, Begriffe. Nicht Menschen, die ohne Dinge, Gedanken, Begriffe nämlich eigentlich ziemlich langweilig sind.
Sie entdecken die Poesie der Theorie.
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Pessimistisch ist das Bild, das Ken Loachs neuer Film zeichnet: Loachs Mittel sind billig, aber so effektiv, wie ein Hedgefonds: Saxophon-Klänge sorgen sofort für melancholische Stimmung. Man sieht Kinder, aber die sind nicht so hässlich wie in russischen Filmen, und nicht so schön ausgeleuchtet wie bei Kaurismäki.
Dann ist man bei »Coneforce Recruitment«, einer Arbeitszeitfirma, Ukrainer werden angeworben. It’s a Free World – den Titel kann und sollte man eher zynisch verstehen – erzählt von der jungen Britin Angie. Als sie wieder einmal entlassen wird, fasst sie sich ein Herz, und versucht, ihre letzte Chance zu nutzen: Sie macht sich selbstständig, und gründet selbst mit einer Freundin eine Zeitarbeitsfirma. Angie hat einen falschen Leopardenmantel, lange blonde Haare, sieht trotzdem proletarisch aus, fast ein bisschen so
wie Amos Kolleks SUE. Und fährt Motorrad, mit Lederklamotten. Für ihre neue Agentur »Angie + Rosie Recruitment« wirbt sie verführerisch: »All shit work« würden die Leute machen, »they are willing to work.«
Das funktioniert bald recht gut, und Loach führt uns ganz geschickt auf eine falsche Fährte. Wer jetzt nämlich erwartet hat, dass Loach einmal mehr vom Scheitern der einfachen Menschen erzählt, oder von einer »guten Unternehmerin« voller Arbeitersolidarität auch im Erfolg,
sieht sich überaus angenehm enttäuscht: Denn bemerkenswert unsentimental zeichnet Loach ein packendes Portrait der alltäglichen Arbeitswelt, in der Angie selbst immer ein bisschen mehr zur Kapitalistin wird.
Angie hat Erfolg, nicht zuletzt, weil sie die Gesetze sehr flexibel auslegt, bald von ihrem Grundsatz »No papers, no work. Don’t waste my time« abweicht, auch mal Illegale beschäftigt, und diese am Ende noch betrügt – so wie sie selbst zuvor oft genug betrogen
wurde. Es geht um die Korruption der Seele durch Besitzindividualismus. Loach erzählt davon, wie der Kapitalismus Stück für Stück den Charakter auch guter Menschen verdirbt – denn die freie Welt des Titels ist auch hart und oft korrupt.
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Loach erzählt mit Tempo und einem ausgezeichneten Gefühl für Rhythmus. Er verwendet Bild-Wort-Überlagerungen, und unterbricht den Ernst der Geschichte immer wieder durch geniale kleine Humoreinlagen. Etwa wenn der Wirt, der Angie am Anfang hilft, irgendwann die Theorie entwickelt: Frauen werden regieren, in 20 Jahren. »Men will be completely useless.«
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Zwei Szenen sind besonders interessant für Loachs Methode de Differenzierung, de Zuspitzung eines Problems ohne Parteinahme: Ein Dialog zwischen Angie und ihrem Vater. Der Vater fragt: »Was machst Du da, was hat das für Folgen? Du vermittelst Billigjobs, und machst damit die Chancen Deines Sohnes kaputt. Mein Enkel wird in fünf, sechs Jahren mit Kosovo-Albanern und Russen um Jobs wetteifern.«
Sie: »Mit Deinen Ansichten kannst Du ja zur National Front gehen. Ich geb' denen eine
Chance.«
Vater: »Die brauchen ihre Chancen in ihren eigenen Ländern. Dort brauchen sie die Lehrer und Ärzte, die bei Dir in unqualifizierten Billigjobs arbeiten.«
Vater: »Zahlst Du denen überhaupt den Mindest-Lohn?«
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Dann der Moment des Bruchs zwischen Angie und Rosie. Angie hat, weil sie »den Hals nicht voll« bekommt, illegale Arbeiter bei der Polizei denunziert. »Ich mache Platz für unsere Arbeiter«, sagt sie. Rosie: »Was wenn das Jamie wäre?« Angie: »Es ist nicht Jamie. Wir leben davon.« Rosie: »Is there anything, you would not do?« Angie: »No idea«. Rosie: »I don’t know you anymore.«
In Loach-Filmen kann man Angst bekommen. It’s a Free World ist der beste Loach-Film seit Jahren, überaus effektiv und gekonnt erzählt der Regisseur, vermeidet einige Vorhersehbarkeiten. So wird Angie eben NICHT von der Polizei gefasst. Und er zeigt eine von Loachs Hauptqualitäten: Wie gut er den Leuten »aufs Maul« schaut.
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Gefördert wurde It’s a Free World unter anderem von der »Filmstiftung NRW« Ein dickes Lob dafür, dass man in Düsseldorf nicht so regional borniert ist, wie in anderen Kinoregionen. Oder würde Ken Loach auch dann nicht nach München kommen, wenn er vom FFF Geld bekäme?
Die Frage aber muss gestellt werden: Warum gibt es im eigenen Land nicht so einen Film? Was würden die Redakteure der
entscheidenden TV-Sender sagen, wenn sie so ein Script bekämen? Vielleicht: »Mit der Frau kann sich doch keiner identifizieren.« Oder: »Man muss ihr noch einen Liebhaber reinschreiben. Oder hat die Frau kein Privatleben? So nimmt man keinen Zuschauer mit.« Oder: »Das ist eine so traurige Geschichte, das muss doch fröhlicher aufhören, damit der Zuschauer nicht völlig ratlos gelassen wird.«
Wer macht in Deutschland Ken Loach-Filme? Dresen jedenfalls nicht.
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Wuyong (auf Englisch Useless) von Jia Zhang-ke, der im Vorjahr den Goldenen Löwen gewann ist ganz anders. Aber auch hier geht es um Ideen und Prozesse, nicht um ein Subjekt.
Die Dokumentation läuft nicht im Wettbewerb. Gezeigt wird eine Kleiderfabrik in Guandong. Ohne Off-Text, ohne talking heads mit statements sieht man Ausschnitte aus dem Alltag Chinas, ohne Glamour, auch ohne negative Dramatisierung. Wandzeitungen mit Fidel
Castro und Fußball. Esserin der Kantine. Arbeiter beim Betriebsarzt. Blicke der Überwachungskamera.
Dann eine Modedesignerin, die Kleider mit Erde kombiniert. Sie landen bei einer Modenschau in Paris. Die die zwei Seiten Chinas also, einmal Mode als Gebrauchsgegenstand und Mode als Kunst.
Dann das Leben in der Region Guandong: Kohlearbeiter im Waschraum, Motorradfahrer. Am Ende zu überaus guter chinesischer Pop-Musik Gesichter im Close-Up. Ein paar Stücke Leben.
Kommentarlose Würde!
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Gleichfalls hervorragend gelungen ist STAUB. Regisseur Hartmut Bitomsky ist seit langem einer der besten deutschen Dokumentarfilmer: Nach hervorragenden Filmen über Architektur, die ersten deutschen Autobahnen, den B-52-Bomber handelt Staub tatsächlich von Staub – sehr elegant verknüpft der Film dessen verschiedene Aspekte Hausstaub, Industriestaub, und politischen Staub
– etwa Atomfallout, Überreste von Waffen in Luft und Blut, krankmachender Feinstaub und politisierter Asbest – zu einem anschaulichen und überraschend poetischen Filmessay.
Staub erfahren wir, ist »die kleinste Einheit, die noch erkennbar ist«, ohne Staub in der Luft sähe man keinen Himmel und keinen Sonnenaufgang, und auch ein Film ist im Prinzip nur »Staub, der in der Dunkelheit des Kinos aufscheint.«
Ein toller Film, aber keiner, der wie heute so oft üblich,
ein Thema nur insoweit erzählt, wie es personalisierbar, also in ein menschliches Schicksal zu packen und dramatisierbar ist. Sondern dessen Hauptdarsteller eine Frage ist, keine Story und kein Drama, sondern die Geschichte. Trotzdem begegnet man aber auch hier vielen Menschen: Putzkolonnen und privaten Putzfanatikern, Staubforschern und Staubkünstlern. Aber sie interessieren nicht an sich, nach dem Gemeinplatz, dass ja jeder Mensch wichtig ist, sondern für das Thema.
Darin ist Staub das Gegenteil von Jia Zhang-ke, der in diesem Sinne kein Thema hat (in einem anderen Sinne natürlich schon).
Wie jeder gute Film ist STAUB eigentlich ein Film über das Leben, sehr nachdenklich, sehr philosophisch, voller schöner Bilder und schöner Sätze wie etwa dem des Surrealisten Raymond Queneau über die Vergeblichkeit des Staubwischens: »Wie man es auch anstellt, es bleibt ein Rest. Und ein Rest vom Rest.«
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Einige Tage haben alle weiß getragen. Weiße Hemden über der Jeans oder der Anzughose. Wie die Gangster in Hongkong-Filmen. Dann auf einen Schlag war offenbar der Vorrat des Mitgenommenen aufgebraucht, es musste gewaschen werden. Und plötzlich hatten gleich mehrere Leute statt dem weißen ein hellblaues Hemd an. Das war der Tag der blauen Hemden. Im Rückblick zeigte sich: Der Tag der blauen Hemden war auch der Tag der schlechten Filme.
Rüdiger Suchsland