Why Are We (Not) Creative?

Deutschland 2020 · 86 min.
Regie: Hermann Vaske
Drehbuch:
Kamera: Yevgeny Revvo, Patricia Lewandowska, Sasha Rendulic, Dustin Pearlman
Schnitt: Bastian Ahrens, Carsten Piefke, Gary Feuerhake, Dennis Karsten
Weder ein klares Konzept noch genügend interessantes Material
(Foto: Rise and Shine Cinema)

(Un-)Kreatives Chaos

Hermann Vaskes neue Dokumentation trägt ihre Unausgegorenheit bereits im Titel.

2018 befragte Hermann Vaske in Why Are We Creative? eine Unzahl an Kreativen zu den Quellen ihrer Krea­ti­vität. Dabei fielen die Antworten so unter­schied­lich aus wie die Persön­lich­keiten der befragten Promi­nenten. Zu diesem Film hatte Vaske eine Vorarbeit von 30 Jahren geleistet. Aus über 1000 Inter­views hatte er das inter­es­san­teste Material ausge­wählt. Nun legt der Filme­ma­cher nur drei Jahre später mit Why Are We (Not) Creative? den zweiten Teil seiner geplanten Trilogie zu den Ursprüngen der Krea­ti­vität vor. Dieses Mal hat man den Eindruck, dass Vaske weder ein klares Konzept noch genügend inter­es­santes Material für seinen Film hatte. Bereits der Titel wirkt leicht befremd­lich. Warum ist das »not« in Klammern gesetzt, wenn es diesmal schließ­lich genau darum geht, warum wir oftmals eben nicht kreativ sind?

Wie bereits in Why Are We Creative? lockert Vaske den fast nur aus Inter­views bestehenden Film durch eine Reihe von lustigen Anima­tionen auf. Die »Gate­kee­pers« genannten Insti­tu­tionen, die die Krea­ti­vität bedrohen, sind in Form einer drei­köp­figen Hydra darge­stellt. Ideen, die andere Ideen verdrängen, werden anhand von Glüh­birnen verschlu­ckenden Glüh­birnen visua­li­siert. Das ist im Prinzip gelungen. Mal stellt Vaske jedoch auch fest, dass in China ein Sturm aufzog, er jedoch glück­li­cher­weise einen Schirm dabei hatte. Anschließend sieht man den animierten Regisseur mit Digi­tal­ka­mera und Regen­schirm durch das Bild laufen. Scheinbar handelt es sich hierbei um eine Metapher. Was diese jedoch konkret zu bedeuten hat, wird nicht vertieft.

Als ein zusätz­li­ches glie­derndes Element dient Vaske in Why Are We (Not) Creative? der Schau­spieler Michael Madsen. Dieser präsen­tiert sich mit Sonnen­brille und Cowboyhut, schwarzer Leder­jacke, weißem T-Shirt, Bluejeans und Cowboy­stie­feln als die Coolness in Person auf einem Stuhl, der draußen auf einer freien Fläche vor einer leeren Leinwand steht. Madsen gibt immer wieder den Stich­wort­geber, der Dinge wie »Politik und Zensur« bellt, um auf verschie­dene Feinde der Krea­ti­vität aufmerksam zu machen, die Hermann Vaske ausge­macht zu haben meint. Diese werden von Vaske häufiger als »Beta-Blocker« der Krea­ti­vität bezeichnet. Dies ist eine etwas schräge Metapher. Schließ­lich handelt es sich bei Beta-Blockern um Medi­ka­mente, die (Herz-) Krank­heiten verhin­dern – und somit nicht um Elemente, die etwas zutiefst Positivem wie der Krea­ti­vität im Wege stehen. Madsen wiederum gibt immer wieder Dinge von sich wie: »Geld. Als ich an einer Tank­stelle arbeitete, brauchte ich Geld, um kreativ zu werden. Ist Geld also ein Bösewicht oder gar ein Held? Was weiß ich? Ich bin nur ein Cowboy.«

Kann man es überhaupt eine These nennen, dass oppres­sive Regimes und Zensur der Krea­ti­vität im Wege stehen? Herman Vaske ist die Erkundung dieses eigent­lich offen­sicht­li­chen Sach­ver­halts jeden­falls einen längeren Einstieg in seine Doku­men­ta­tion wert, bei der er unter anderem Akti­visten von Pussy Riot und in Hongkong zu ihrem Umgang mit der Zensur befragt. Zum Schluss dieses Abschnitts von Why Are We (Not) Creative? wendet sich Vaske an den Dalai Lama, um zu dieser ihn anschei­nend stark beschäf­ti­genden Frage aus berufenem Munde eine klärende Antwort zu erhalten. »Eine freie Meinungs­äuße­rung ist essen­ziell« erfahren wir. Wer hätte das gedacht? Leider ist dies sympto­ma­tisch dafür, wie in dieser Doku­men­ta­tion immer wieder poten­ziell hoch­in­ter­es­sante Gesprächs­partner absolute Bana­li­täten von sich geben.

Eine Künst­lerin, die Vaske zu seiner persön­li­chen Vermutung, dass Angst – zumindest in kontrol­lierter Form – mögli­cher­weise auch die Krea­ti­vität beflügeln kann, befragt, geht erst gar nicht näher auf die Frage­stel­lung ein. Statt­dessen erzählt sie, was ihr gerade so durch den Kopf geht. Dies mündet in eine Schil­de­rung, wie sie sich Botox in die Stimm­bänder hat spritzen lassen, um für drei Monate eine tiefere Stimme zu erhalten. Man mag ihr dies nicht wirklich übel­nehmen. Schließ­lich geht auch Vaske bei seinen Inter­views – positiv formu­liert – immer wieder recht asso­ziativ vor. Einmal schildert er, wie er nach einem Interview zunächst einmal einen Kaffee brauchte (»oder sechs!«). Als Nächstes sehen wir, wie Vaske David Bowie zu seinem Kaffee­konsum befragt. Wir erfahren die Lieb­lings­marke des Musikers und dass Bowie von dieser täglich acht bis zehn Tassen Kaffee trinken würde, ohne irgend­welche Herz­pro­bleme zu bekommen. Was das mit (mangelnder) Krea­ti­vität zu tun hat? Das weiß nur Hermann Vaske selbst.

Vaske stellt wiederum in einem Interview mit David Hockney fest, dass dieser viele Hunde male. Dies animiert den Regisseur zu der Frage, ob der Künstler der Ansicht sei, dass Dackel kreativ seien. Hockney antwortet ruhig lächelnd, dass sich Dackel seiner Meinung nach nur für zwei Dinge inter­es­sieren würden: Fressen und Liebe. »Sie inter­es­sieren sich nicht die Spur für meine Kunst. Statt­dessen würden sie ohne Weiteres auf ein Bild von mir drauf pinkeln«. Diese Bemerkung findet Vaske nun wieder so inter­es­sant, dass er zu seinem Büro­da­ckel über­blendet. Er stellt fest: Besonders schätzen würde dieser Hockneys Bilder wohl auch nicht. Aber zumindest würde er nicht auf diese drauf pinkeln. Wahr­schein­lich ist dieser Büro­da­ckel in Bezug auf den Umgang mit frag­wür­digen kreativen Produkten schon ziemlich abge­härtet. Denn was Hermann Vaske hier mit Why Are We (Not) Creative? vorlegt, fordert nicht nur die Toleranz von Dackeln stark heraus.