Verstehen Sie die Béliers?

La famille Bélier

Frankreich/Belgien 2014 · 106 min. · FSK: ab 0
Regie: Eric Lartigau
Drehbuch: ,
Kamera: Romain Winding
Darsteller: Karin Viard, François Damiens, Eric Elmosnino, Louane Emera, Roxane Duran u.a.
Voilà les Béliers…

Sprechende Hände, musikalische Schwingen

Über 6.5 Millionen Franzosen haben die Tragi­komödie über die fidele Familie Bélier und ihre gesang­lich talen­tierte und überaus verant­wor­tungs­volle Tochter Paula (Louane Emera) bereits gesehen. Die Geschichte um die langsam flügge werdende 16-Jährige, die ihren Eltern nicht nur auf dem Bauernhof und dem Wochen­markt aushilft, sondern für ihre gehörlose Familie insbe­son­dere als Gebär­den­spra­chen-Über­setzerin fungiert, könnte auch zum nächsten großen Erfolg des »Cinéma français« in der Bundes­re­pu­blik werden. Zeichnet sich der Film doch durch den erprobten Mix aus alter­s­un­ab­hän­gigem Humor und einer großen Portion Charme und Herz­lich­keit aus, der auch schon Ziemlich beste Freunde und Monsieur Claude und seine Töchter ausz­eich­nete und zu veri­ta­blen Publi­kums­lieb­lingen avan­cieren ließ.

Fast zwanzig Jahre nach Caroline Links Jenseits der Stille fängt auch Regisseur Eric Lartigeau das Leben einer enga­gierten Jugend­li­chen ein, welche als Sprach­rohr ihrer taub­stummen Eltern fungiert und damit deren gesamte Kommu­ni­ka­tion mit der Außenwelt verant­worten muss. Während bei Link noch die Klari­nette und der Studi­en­platz am Konser­va­to­rium in Berlin für eine mögliche Abkap­se­lung von der Familie und eine neue Unab­hän­gig­keit für Prot­ago­nistin Lara standen, ist es bei der aufge­weckten, aber immer wieder vor Schüch­tern­heit die Flucht ergrei­fenden Paula in Verstehen Sie die Béliers?, ihre heraus­ra­gende Stimme, welche sie nach Paris davon­tragen soll. Regisseur Lartigeau inte­griert damit auch noch erfolg­ver­spre­chende Chor­fil­m­ele­mente à la Die Kinder des Monsieur Mathieu oder Wie im Himmel in seinen kurz­wei­ligen, aber doch etwas harmlosen Coming-of-Age-Film, in welchem bei all der Landro­mantik und den schräg-liebens­wür­digen Fami­li­en­mit­glie­dern düstere Drama­tik­wolken nur kurz herauf­ziehen dürfen, um dann schnell wieder einer heime­ligen Wohl­füh­l­at­mo­s­phäre zu weichen.

Die junge Prot­ago­nistin Paula wird vom fran­zö­si­schen »The Voice«-Sternchen Louane Emera als liebens­wert-knuffiger Teenager gezeichnet. Dabei macht die Schau­spiel­de­bü­tantin insbe­son­dere bei den selbst einge­sun­genen Chansons eine gute Figur und haucht der musi­ka­li­schen Lyrik von Michel Sardou gefühl­voll Leben ein. Paulas erste Liebe und insbe­son­dere der langsam in ihr heran­wach­sende Wunsch nach einer Gesangs­aus­bil­dung in Paris kolli­dieren mit ihrem ausge­prägten Verant­wor­tungs­be­wusst­sein gegenüber ihrer Familie. Seit Jahren ist sie die Stimme der vier Béliers und als Binde­glied zur Welt der Hörenden für ihre Eltern und ihren jüngeren Bruder uner­sät­z­lich – koor­di­niert Paula doch Arzt­be­suche, finan­zi­elle Belange oder die neu gestar­teten poli­ti­schen Ambi­tionen ihres Vaters. Die ungeheure Verant­wor­tungs­last und Über­for­de­rung des jungen Mädchens finden dabei ihren Ausdruck in Über­mü­dung. Doch trotz des inneren Konfliktes der Prot­ago­nistin und der anste­henden schwer­wie­genden Entschei­dung über­wiegen bei Regisseur Lartigeau klar die heiteren Anteile bei der Schil­de­rung des Fami­li­en­le­bens der Béliers.

Während die humor­vollen Einlagen zu Gebär­den­sprache, inner­fa­mi­liären Zwis­tig­keiten und Mens­trua­ti­ons­blu­tungen nicht immer zünden, erweist sich Chor­leiter Fabien Thomasson (Eric Elmosnino) mit seinen unan­ge­passt-fiesen Sprüchen als sichere Bank in puncto Amüsement. Ist die Figur des mit seinem Lehr­er­da­sein auf dem Lande hadernden Musikers doch auch die einzige, der ein paar Ecken und Kanten zuge­standen werden. Aber auch Karin Viard schafft es, sich als immerzu aufge­scheucht umhe­rei­lende Mutter in den Vorder­grund zu spielen.

Während sich Verstehen Sie die Béliers? visuell auf ordent­li­chem, aber unauf­fäl­ligem Niveau bewegt, ist es gerade die gelungene musi­ka­li­sche Auswahl aus dem Schaf­fen­s­ka­talog Michel Sardous die dem Film eine eigen­s­tän­dige Facette verleiht. So beschert der Einsatz des wunderbar zur Situation der jungen Paula passenden Chansons »Je vole« dem Film ein effektiv-emotio­nales Finale, in welchem die Welten der gehör­losen Familie und ihrer im Gesang ihr eigenes emotio­nales Ventil findenden Tochter gekonnt zusam­men­ge­führt werden. Verstehen Sie die Béliers? bietet zwar nicht gerade inno­va­tives, dafür aber unter­haltsam-herz­li­ches Fami­li­en­kino mit Seelen­bal­sam­ga­rantie.