Sisi & ich

Deutschland/CH/Ö 2023 · 132 min. · FSK: ab 12
Regie: Frauke Finsterwalder
Drehbuch: ,
Kamera: Thomas W. Kiennast
Darsteller: Susanne Wolff, Sandra Hüller, Georg Friedrich, Stefan Kurt, Sophie Hutter u.a.
Moden- und Seelenschau in einem
(Foto: DCM)

Bibi & Tina im Sisiland

Mit Frauke Finsterwalders Aneignung des Sisi-Stoffes erreicht die Sisi-Exegese einen vorläufigen Höhepunkt – auch dank eines großartigen Drehbuchs und schauspielerischen Großtaten

I danced myself out of the womb
I danced myself out of the womb
Is it strange to dance so soon?
I danced myself into the tomb

Cosmic Dancer, T. Rex (The Kills-Version)

Die Sisi-Renais­sance scheint momentan tatsäch­lich keine Grenzen zu kennen. Gleich zwei Serien amal­ga­mieren histo­ri­sche Fakten mit gegen­wär­tigen Sehn­süchten, und das mit Erfolg. Netflix‘ The Empress ist die momentan erfolg­reichste deutsche Netflix-Produk­tion aller Zeiten und auch RTLs melo­dra­ma­ti­sche Sex-sells-Strategie geht auf und zeigt, dass die seit Brid­ge­rton nicht nur im Seri­en­be­reich florie­rende Aneignung histo­ri­scher Stoffe und ihrer radikalen Umschrei­bung kaum mehr Grenzen gesetzt sind.

Dass Geschichts­schrei­bung den sich wandelnden Para­digmen neuer Zeiten gnadenlos ausge­lie­fert ist und „geschicht­liche Wahrheit“ immer mit Skepsis betrachtet werden muss, ist natürlich ein alter Hut. Aber sieht man sich an, was in etwas mehr als hundert Jahren allein aus dem Leben von Elisabeth von Öster­reich-Ungarn raus­ge­schwur­belt und kalt­ge­presst wurde, ange­fangen vom ersten filmi­schen Biopic 1920, über Romy Schnei­ders Sissi 1955 bis zu unserer Gegenwart, dann ist der alte Hut wieder heiß. Denn neben dem Serien-Konvolut gab es 2022 ja auch noch Marie Kreutzers Sisi-Film Corsage, der mit düsteren Tönen und schweren Dialogen der Kaiserin ihre Leich­tig­keit nahm und sie mit moderner musi­ka­li­scher Unter­ma­lung, selbst­be­wusst und voller Zweifel in einem, und mit einer Zigarette im Mund für die femi­nis­ti­schen Selbst­er­mäch­ti­gungs­ziele unserer Zeit verein­nahmte.

Kaum zu glauben, dass nach diesem trüb­se­ligen, geleh­rigen Statement noch Raum für eine weitere Sisi sein könnte. Aber Frauke Fins­ter­walder, die bereits mit ihrem Debüt Fins­ter­world gezeigt hat, zu welch Perspek­ti­ver­schie­bungen sie fähig ist, hat auch für den Sisi-Stoff mit ihrem Partner, dem Schrift­steller Christian Kracht, ein Drehbuch geschrieben, dass schon mit den ersten Einstel­lungen nicht nur über­rascht, sondern begeis­tert.

Denn statt die ewige und einzige Sisi (hier Susanne Wolff) ins Zentrum zu stellen, führt Fins­ter­walder – hexhex – ihre histo­risch verbürgte letzte Hofdame, Irma Gräfin Sztáray (Sandra Hüller) bei ihrem Anstel­lungs­in­ter­view ein. Ein Moment, der so wie Lady Di es bei ihrem Weih­nachts­be­such bei der Queen in Pablo Larrains Spencer über sich ergehen lassen muss, eher einer Fleisch­be­schau gleicht und so wie in Larrains Film schnell deutlich wird, dass bei dieser Anstel­lung nicht nur Geis­tes­kultur gefragt ist, sondern auch Körper­kultur mit all ihren verbor­genen Fallen eine Rolle spielen wird.

Doch anders als Kristen Stewart ihre Lady Di, inter­pre­tiert Hüller die Hofdame im ersten Teil von Sisi & Ich mit einem Humor und einer slap­stick­ar­tigen Nuance, die schlichtweg atem­be­rau­bend ist: Vom fatalen Hürden­lauf und dem abschließenden Gesicht im Dreck bis zum verbo­tenen Essen von Wurst­scheiben, die Hüllers fantas­ti­sches Spiel auf das Niveau von Stan Laurels Darbie­tung beim Apfel­essen hebt, wird im ersten Teil fast jeder Szene auch eine groteske Note verliehen und auch der Kaiserin damit der schwere, tragische Mythos genommen, den sie durch ihren frühen Tod erlangt hatte und dem sich auch Kreutzer in ihrer Inter­pre­ta­tion nicht entziehen konnte.

Neben diesem nicht über­lie­ferten Humor weben Fins­ter­walder und Kracht aber auch histo­ri­sche Fakten wie die legen­dären Haarkämm-Sessions ein, berichten von ihren Vorlieben von gepresster Kalb­fleisch­saft­brühe und einem Gewicht, das dreimal täglich kontrol­liert wurde und bei 172 cm Körper­größe die 50 kg nie über­schritten hat, Sisi bei einem BMI unter 17 also unter­ge­wichtig war. Doch das Drehbuch stützt sich auch lose auf die Briefe und Tage­bücher, die nicht nur Irma Sztáray nach dem Tod von Sisi veröf­fent­lich hatte, sondern auch zahl­reiche andere Hofdamen, um nicht anders als heute nach dem Ableben eines Popstars, von Tod und Nachruhm auch ein wenig zu profi­tieren.

Denn auch diesen Punkt macht Sisi & Ich sehr deutlich: Sisi war nicht nur Kaiserin, sonder auch ein Popstar ihrer Zeit, der Rollen­mo­dell und Projek­ti­ons­fläche in einem war. Doch wie fast jeder Popstar ist auch Sisi eine gespal­tene Persön­lich­keit, leidet sie wie Lady Di in Spencer – einer Art histo­ri­scher Wieder­gän­gerin von Sisi – ebenfalls an ihrem Körper und unter Bulimie, unter Nähe-Distanz-Problemen und ist bei allen Fluchten vom Hofleben (nicht anders als Diana), die in ihren letzten Lebens­jahren zur Regel wurden, zwischen Unter­wer­fung und Autonomie genauso zerrissen, wie in den ambi­va­lenten Forde­rungen an die lesbi­schen Bezie­hungen zu ihren Hofdamen, vor allem jener zu Irma, die hier ins Zentrum gestellt wird.

Doch zum Glück beschränkt sich Fins­ter­walder nicht allein auf diesen herrschsüch­tigen, gebro­chenen, Liebe suchenden und Liebe abstoßenden, körper­fi­xierten und seelen­heil­süch­tigen und exal­tierten Band-Leader in dauernder Lebens­krise, sondern präsen­tiert auch ein glaub­wür­diges Kolorit einer Zeit im Umbruch, in der bei allem feuda­lis­ti­schem Oberbau bereits mit flachen Hier­ar­chien, Psycho­ana­lyse, Drogen, Geschlechts­iden­tität und Körper­kultur expe­ri­men­tiert wurde und die ersten Kommunen, wie etwa die in Stefan Jägers Monte Verità – Der Rausch der Freiheit (2021) beschrie­bene Künstler- und Lebens­ge­mein­schaft von Monte Verità kurz vor ihrer Gründung standen.

Doch Fins­ter­wal­ders Sisi & Ich geht noch einen weiteren Schritt. Denn nach dem ersten Teil und der Demas­kie­rung eines Mythos durch Groteske und Anamnese, wird aus dem sich mehr und mehr zu einer Bibi & Tina- Freund­schaft verschmel­zenden Paar von Sisi & Irma, das Drogen nimmt, Wandern geht, über Männer lacht und mit den Pferden wild ausreitet, ein Problem-Paar, das sich immer öfter verletzt, in deren Leben wie in dem von Bibi & Tina plötzlich Macht und Männer ins Spiel kommen. Zwar gibt es immer noch wunderbar foto­gra­fierte Spazier­gänge und Anlässe in großar­tigen Kleidern und Hosen – eine geschickt verkappte Moden­schau als Seelen­schau – doch es ist nur mehr die Ober­fläche, die die Psyche noch im Gleich­ge­wicht hält und sie dann auch zerbre­chen lässt.

Aber auch das wird von Fins­ter­walder keines­falls zu auffällig insze­niert, arbeitet sie so wie mit dem Humor im ersten Teil mit über­ra­schenden, so präzisen wie gnaden­losen Dialogen im zweiten Teil, die in eine umwer­fende Bild­sprache einge­bettet werden. So wie in der wohl stärksten Szene des zweiten Teils, in der Sisis Mutter Prin­zessin Ludovika von Bayern (Angela Winkler) zu Besuch kommt und in einer Tisch- und Fütter­szene alles Vergan­gene und Kommende erzählt wird und die Ohnmacht durch Sozia­li­sie­rung und die schiere Unmö­g­lich­keit einer Befreiung in nur wenigen Pinsel­stri­chen markant gezeichnet wird. Gleich­zeitig bietet Fins­ter­walder aber auch spie­le­risch und wie nebenbei einen film­his­to­ri­schen Exkurs an, denn so wie Angela Winkler hier Gulasch an ihre Tochter verfüt­tert, wurde sie selbst als Agnes Matzerath in Volker Schlön­dorffs Blech­trommel-Verfil­mung mit Aalen gefüttert, wird hier die fast schon klas­si­sche intra­fa­mi­liäre Über­tra­gung von Miss­brauchs­mus­tern über zwei Film­ge­nera­tionen ange­deutet. Was für eine Idee! (-> Film­aus­schnitt auf Youtube).

Doch das sind natürlich nicht die einzigen Exkurse, die Sisi & Ich anbietet, wird nicht nur über die histo­ri­schen Verweise, radikalen Umschrei­bungen und Femi­nismen gefühlte Gegenwart einge­lassen, sondern über den Female-Voices-Only-Sound­track von Nico, Le Tigre, Dory Previn, Portis­head, Would-Be-Goods, Seagull Screaming Kiss Her Kiss Her oder The Kills diese Geschichte mehr noch als in die Gegenwart in eine Art von Pop-Ewigkeit und Unsterb­lich­keit überführt. In einen zeitlosen Kommentar über das, was Freund­schaft und Liebe immer schon war und immer sein wird. Ganz ohne Sisi-Mythos und doch mit mehr Sisi als jeder wohl jemals wissen wird.