USA/GB/L 2000 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: E. Elias Merhige Drehbuch: Steven Katz Kamera: Lou Bogue Darsteller: John Malkovich, Willem Dafoe, Udo Kier, Cary Elwes u.a. |
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Oh, Schreck: Murnau und sein Vampir |
Der Mann ist ein Halbgott in Weiß. Bevorzugt lässt er sich mit Herr Doktor anreden und auf dem Set läuft er in passendem Kittel herum. Der genialische Regisseur an sich wird gerne auch mal ein Blutsauger geschimpft. Friedrich Wilhelm Murnau selbst hat da noch relativ gut abgeschnitten, natürlich musste er sich damals, in den 1920ern, fast zwangsläufig mit einem unter ferner liefen begnügen gegen die Konkurrenten. Erich von Strohheim zum Beispiel und Fritz Lang, die viel besser taugten zur Bestie (man muss sich zum Beweis nur einmal jenen Vorfall ansehen, der der Nachwelt erhalten blieb in einem Filmdokument von den Dreharbeiten zu den Nibelungen, wo der Meister einen veritablen Tobsuchtsanfall bekommt, weil einer seiner Hunnen-Statisten, ein Mensch in der Masse, vergessen hatte, seine Armbanduhr abzunehmen vor dem Dreh). Fritz Lang liebte das Monumentale, alles ist larger than life bei ihm, seine Protagonisten oft eher Prototypen als Individuen, Versuchsanordnungen mit deren Hilfe er den Blick auf das System richtet, auf die Mechanismen von Macht und Ohnmacht. Auch Murnau war besessen, auf eine vergleichsweise still, höfliche Art. Ein Pedant auch er – aber sein Blick ist nach innen gerichtet, gleichsam psychologisch definiert. Entsprechend hat er sich seine Stoffe ausgesucht, ganz viel gefunden in den literarischen Vorlagen der Romantiker mit ihrem Hang zum Grusel, zum Unerklärlichen. Wo Fritz Lang der Regisseur des Über-Ich ist Murnau der des Es. Unter den frühen Werken findet sich Der Januskopf, eine Verfilmung des Stevenson Klassikers Dr. Jekyll and Mr Hyde. Hier hat übrigens ein gewisser Bela Lugosi eine Rolle übernommen, der später dann in die Neue Welt reiste und zu Dracula wurde.
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens ist und bleibt wohl Murnaus Meisterwerk, nicht nur weil er ganz viel Neues, Unerhörtes, Noch-Nie-Dagewesenes ausprobiert hat damals. Die Dreharbeiten on location zum Beispiel und allerhand filmästhetische Finessen, die dann Schule machten. Die Dämonisierung der Natur feierten zeitgenössische Kritiker in diesem Film und ihre Nutzbarmachung für die Darstellung von Seelenzuständen. Werner Herzog hat eine großartige Replik (im Gegensatz zum Remake) gedreht zu diesem Stummfilmklassiker, Klaus Kinski konnte sich da austoben als Untoter und jetzt haben sich die Engländer des Themas angenommen. Das ist auch so etwas wie die späte Revanche, eine Art Heimholung ins britische Königreich, denn immerhin hatte Murnau damals Bram Stokers Roman Dracula den Lebenssaft ausgesaugt, alles leicht verbrämt natürlich, den Ort, die Namen, die Story, um den Copyrightfragen zu entgehen.
Shadow of the Vampire ist so ziemlich das abgedrehteste Making of, das jemals zu sehen war. Dabei völlig unhistorisch, völlig falsch geradezu, völlig so gehalten, dass die Fürsprecher einer Lagerhaltung von Faktenwissen in ein großes Heulen und Zähneklappern ausbrechen müssen. Keine Nachhilfestunde in Sachen Filmgeschichte also, dieser Film, ganz weit weg von der Realität. Mit anderen Worten: ganz nah dran an der Wirklichkeit.
Being Friedrich Wilhelm Murnau – wer könnte das besser als John Malkovich? Zudem gibt er ein wunderbares Traumpaar ab zusammen mit Willem Dafoe, dem Darsteller des Max Schreck, dem Vampir als leading man, dem leading man als Vampir (war Murnaus Nosferatu am Ende der erste Dogma-Streifen, ein snuff-Porno gar?). Die beiden haben sichtlich einen Heidenspaß an ihren Rollen, an der liebevollen Verarschung gängiger Stummfilmklischees (der Klischees wohlgemerkt, nicht der Ästhetik!). Ein bisschen camp scheint da manchmal auf, in der lustvollen Übertreibung der expressiven Gesten, dem Augenaufreißen und -rollen und man möchte wetten, dass Dafoe nicht nur Max Schreck gibt sondern ein kleines bisschen auch Kinski. Schützenhilfe bekommen sie von Udo Kier, einst Andy Warhols Dracula und später dann Opfer des Sonnenaufgangs (looks like someone forgot his Ray Ban sunglasses) in Blade. Überhaupt sind hier eine Menge Leute vom Fach versammelt: Nicolas Cage (ja, genau DER Nicolas Cage) hat produziert, auch er hat in Vampire’s Kiss schon am eigenen Leib erlebt wie es hergeht unter den Blutsaugern und Nachtschattengewächsen dieser Welt. Malkovich kennen wir schon als mad scientist aus Stephen Frears genialem Mary Reilly, in der (Doppel)Rolle des Dr. Jekyll und des Mr. Hyde (ein Film übrigens, so beunruhigend klaustrophobisch wie keiner sonst, aber die Beengtheit der Räume, das Dunkle, Gedrückte, Artifizielle kommt in Shadow of the Vampire durchaus auch zum Zuge, nur eben auf die nette Art). Allein Willem Dafoe fällt etwas aus dem Rahmen, immerhin hat er The Last Temptation of Christ anzubieten, da war er bekanntlich Jesus selbst – was nur auf den allerersten Blick ganz weit weg ist vom Vampirthema...
Wir haben es nun im Fall von Shadow of the Vampire durchaus mit einem Film zu tun, der einige Ambitionen hat, auf das Siegertreppchen der Filmkunst gehievt zu werden. Daher hier vorweg der Appell: lasst euch dadurch nicht den Spaß verderben! Ein bisschen prätentiös kommt das Skript streckenweise daher und wir wollen (Achtung: spoiler warning!!!) jetzt ganz schnell die Katze aus dem Sack lassen, was die große Erkenntnis angeht, die den Autor da angefallen hat: Die Kamera ist der Vampir, die Bilder, auf die Leinwand projiziert, sind der Schatten des Vampirs. Voilà. Das ist hübsch formuliert, alles natürlich viel schöner noch bei Walter Benjamin nachzulesen. Das Bild und der Tod, da gibt es unzählige Legenden. Angefangen bei den immer wieder gern wiederholten Geschichten von primitiven Völkern, die sich nicht fotografieren lassen wollen aus Angst, die Kamera könnte ihnen die Seele rauben. Bis hin zu den filmischen Varianten zum Thema, Peeping Tom, Vertigo, etc. Das Kino, der Tod und die Unsterblichkeit – eine ménage-à-trois, die sich bewährt hat. Und man kann sich da neue, sinnlich-intelligente Varianten einfallen lassen, wie allen voran Neil Jordan das getan hat mit Interview with the Vampire. Unser Drehbuchautor Steven Katz hat lediglich viel gelesen und brav wiedergegeben, deswegen ist das alles recht eigentlich für die Katz. Aber einen Lapsus im Skript soll man dem Film ja ohnehin nicht anlasten und ein guter Regisseur ist durchaus in der Lage, derartiges en passant mitzuschleifen ohne sich weiter darum zu bekümmern. E. Elias Merhige hier tut das sehr unaufdringlich und interessiert sich dann klammheimlich doch für ganz andere Dinge wirklich.
Vampire haben keine Lobby, deshalb darf man sie auch ungestraft als Metapher hernehmen für alles und jedes. Das mündet dann leicht ins Beliebige, ja Paradoxe. Murnaus Nosferatu ist selbst das beste Beispiel für diesen Zustand, hier haben Filmwissenschaftler und Kritiker den Vampir wahlweise zum (for)shadow Hitlers, zum Sinnbild des Tyrannen wie auch zum Gleichnis des ewigen Juden, des Ahasver gemacht. Wie angenehm also, dass sich Merhige da zur Abwechslung ganz auf den Regisseur kapriziert.
Ein Halbgott in Weiß wie gesagt, der Filmemacher als Medikus, als Medizinmann (wo von allem ein wenig mitschwingt: dem Wahnsinn, dem Glaube, der Magie). Ein Gedanke, der uns Cinéphilen natürlich von Haus aus vernünftig erscheint. Umso besser, wenn die Mixtur auch mal bitter schmeckt, sich sogar ab und an als Placebo erweist. So manches Zelluloiderzeugnis droht dann allerdings ersatzlos gestrichen zu werden von der Positivliste künstlerisch wertvoller Filme. Dabei könnten wir – wenn wir Film quasi auf Rezept verabreichen wollten, ganz individuell abgestimmt auf die Leiden und Gebrechen des Patienten und allein der individuellen Wirkung, der Heilkraft nach gemessen – endlich einmal wegkommen vom leidigen Kunstbegriff. Nun ist es ja nicht so, als ob wir kein Verständnis aufbrächten für die Gralshüter der Filmkunst, vom Standpunkt ihrer Geilheit aus betrachtet zumal. Der G-Punkt der Kunst- oder Kommerz-, der E oder U-Fetischisten liegt natürlich im orgiastischen Moment der Entscheidung, im die-Guten-ins-Töpfchen-die-Schlechten-ins-Kröpfchen-Spiel. Trotzdem gehört die Fantasie entschieden nicht zensiert, die erotische schon gar nicht und deshalb soll den Bedürftigen ihr Kintopp vs. Kunstfilm, ihr Klassiker vs. Popcornfilm getrost zur weiteren Alleinunterhaltung gegönnt sein. Nicht ohne an dieser Stelle entschieden dem cineastischen anything goes das Wort zu reden, versteht sich.
»Die Stimmung, die das Team allgemein beherrschte, war gute Laune mit Witz und Spott gemischt,« erzählte einer über die Zusammenarbeit mit Murnau. »Uneingeweihte, die in diesen Kreis traten, waren verblüfft, sich über Scherz und Ernst nicht mehr auszukennen. Es war der Übermut derer, die sich bewusst waren, etwas Ungewöhnliches zu schaffen.« F.W. Murnau als Mittelpunkt einer cineastischen Spaßgesellschaft also, wider die Verbissenheit, die Humorlosigkeit, die Selbstgerechtigkeit der Hüter von Kunst und Kultur – das macht ihn uns gleich sympathisch. Der Schatten dieses Übermuts ist auch in Shadow of the Vampire zu spüren. Kino ist, das ist das schönste Fazit aus diesem Film, eine fröhliche Wissenschaft.