Philippinen/Deutschland 2014 · 74 min. · FSK: ab 16 Regie: Khavn de la Cruz Drehbuch: Khavn de la Cruz Kamera: Christopher Doyle Darsteller: Tadanobu Asano, Nathalia Acevedo, Elena Kazan, Andre Puertollano, Khavn u.a. |
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Nach dem Showdown auf dem Friedhof |
My heart is ruined / because you left me
The vow suddenly vanished / Why did you go?
Wenn nicht die Postmoderne längst schon vorbei wäre, man wäre wieder mitten drin. Und zwar mit diesem wunderbaren Geniestreich von den Philippinen, der alles versammelt, was das asiatische Kino an Bestem hat: Jugend, Schönheit, Verzweiflung, Wiedergeburt.
Und Christopher Doyle.
Khavn de la Cruz heißt der böse Bube, der diesen wahnsinnigen Film verbrochen hat: Ruined Heart, gebrochenes Herz, und nennt ihn im Untertitel gelangweilt: »Another Lovestory Between a Criminal and a Whore«. Noch so eine Geschichte, von dem Gangster und dem leichten Mädchen. Würde man ihm glauben, hieße dies zu unterschätzen, was da aus den Philippinen zu uns herüberschwappt: eine geballte Ladung Synästhesie, in der sich die Bilder eines Christopher Doyle in die Kleider eines leicht zu nehmenden, verspielten digitalen Kinos werfen, getragen von einem Soundtrack, der mühelos zwischen den verschiedensten Stimmungen wechselt und dessen gesungene Zeilen die Dialoge zwischen den prototypisch entworfenen, grellen Figuren ersetzen: Willkommen in den Versatzstücken einer sich neu erfindenden Postmoderne, willkommen im Spiel und der Ironie, willkommen in einer Filmoper, die sich dem Punk ganz nahe weiß und dennoch die Opulenz nicht scheut. Eine Erzählung deutet sich nur noch an, in der Postmoderne ist die Zeit für das Ende der Geschichten gekommen. Und dennoch gibt es eine, verliert sich in den bunten Hinterhöfen und kleinen Gassen von Manila, wie die zwei Liebenden, um die es hier geht, die vor dem brutalen Mafiaboss flüchten.
»I am the poem of the world, I am the world of the poem«, sagt der imposante Godfather bedeutungsvoll zu Beginn des Films. Gespielt wird er von Khavn selbst, dem Teufelsregisseur aus Manila, selbst Godfather des digitalen philippinischen Kinos, der mit Fassbinder-Wut einen Film nach dem anderen raushaut. Über vierzig Titel weist die Imdb-Filmographie des 41-Jährigen auf, dabei gleicht kein Film dem anderen. Khavn kann und macht (fast) alle Genres: Dokumentarfilm, Stummfilm, Horror, Trash, Melodram. Nur eines scheint er zu verweigern: den braven Spielfilm, der sich artig an die dramaturgischen Regeln hält, wie man sie auf den Filmhochschulen der Welt lernt. Anfang, Mitte, Schluss. Khavn inszeniert in Zuständen, emotionalen wie visuellen, seine Figuren entsteigen einer Welt, die ganz am Boden liegt, dabei schrill und ergreifend ist. Bei ihm wird der Trash erhaben. Und oft geht es ganz konkret um den Seelenzustand seines Landes, den Philippinen.
Der große Lino Brocka hatte das philippinische Kino in den 1970er Jahren aus dem Würgegriff der amerikanischen Filmproduktionen, die die nationalen Leinwände beherrschte, befreit und in den 1980er Jahren mit Einladungen nach Cannes, an Dikator Marcos vorbei, international bekannt gemacht. Dann starb Brocka, 1991. Seit über zehn Jahren ordnet nun eine neue, wilde Generation mit ungewöhnlichen, oft schnell entstandenen Filmen die kinematographische Landkarte neu: Die Philippinen sind wieder da. Hierzulande bekannt ist vor allem der eher traditionelle Regisseur Brillante Mendoza (Foster Child, Lola), kürzlich im Kino zu sehen war der für seine überlangen Filmen auf Festivals bekannt gewordene Lav Diaz mit seiner Dostojewski-Verfilmung Norte, The End of History. Mit Diaz spielt Khavn zusammen in einer Band, »The Brockas«, der filmhistorische Bezug ist ein Statement. Dabei ist für sie immer auch wichtig, politisch zu sein und die philippinische Geschichte von zweimaliger Kolonialisierung, erst durch die Spanier, dann durch die Amerikaner, nicht zu vergessen, und auch nicht Diktator Marcos und seine Frau Imelda mit ihren über tausend Paar Schuhen. Der Zustand heute, die Misere des Landes, ist immer noch die Folge dieser wechselvollen Knechtschaften, wie es vor allem auch in den strengen Filmen von Lav Diaz zum Ausdruck kommt. Und selbst Khavn macht letztlich ein politisches, dabei aber sehr spaßiges Kino. Dass er auch Noise-Musiker und Punk ist, überträgt sich auf seine Filme, die selbst kunterbunt sind.
Ruined Heart ist so auch eine »punk noir opera«, ein Mixed Tape, das Khavn für uns aufgenommen hat, und uns jetzt in die Kinosäle schickt. Wenn Khavn mit seinen Filmen auf den Festivals von Rotterdam oder Berlin unterwegs ist, begleitet er sie oft live am Klavier, manchmal auch als Jam-Session mit lokalen Musikern. Diese Praxis, sich mit anderen Künstlern zusammenzutun, ist auch das Prinzip des Soundtracks von Ruined Heart: Er hat mit den Berlinern Stereo Total zusammengearbeitet, einen Synthie-Pop kreiert, durchsetzt von Liedern des New Yorker Singer-Songwriters Scott Matthew, und alles in einen quiet noise getaucht. Man muss sich verführen lassen. Und dann kann der Film wirken.
Und was ist das für ein Film! Khavn signiert jeden seiner Filme im Untertitel mit »This is not a film by Khavn«: This is not a film! This is a poem, a seduction, a promise. Man kann mit dem Film untergehen, in tiefere Welten tauchen, wenn man es schafft, die Gedanken auszuschalten, die ständig nach dem Gerüst einer Geschichte greifen wollen. Besser, man lässt sich ganz hineingleiten, ähnlich wie bei den Filmopern von Matthew Barney, in das futuristische Universum, das Khavn vor uns ausbreitet. Sein Film ist Körper, ist Gefühl, Gewalt und Poesie.
Rapid Eye Movies (REM), das auf den asiatischen Raum spezialisierte Kölner Filmlabel, hat Ruined Heart produziert. Das ist deshalb so wichtig, da die Kölner seit einigen Jahren nun nicht mehr nur mit ihrem Verleih dafür sorgen, dass unsere Sehgewohnheiten auf den Kopf gestellt werden. Sie greifen seit 1996 aktiv in die kinematographische Landkarte ein und zeigen selbstproduzierte Filme, die unter normalen Voraussetzungen niemals die Chance hätten, bei uns auf die Leinwände zu kommen. Bestimmte Vorlieben leiten sie dabei: nach ihrer ersten Produktion, dem japanischen Underwater Love, wurde wieder mit Kameramann Christopher Doyle zusammengearbeitet, sonst verantwortlich für den Bilderrausch bei Wong Kar-wai, und mit dem Berliner Musiklabel Stereo Total. Ruined Heart ist nach dem Mockumentary Mondomanila der zweite Film von Khavn, den REM produziert haben. Das Crossover, das hier entstanden ist, von LoFi-Digitalkino, High End Director Of Photography, Criminal Trash und Kinopoem ist verwirrend, inkohärent, durchgeknallt – und wirkt am Ende sehr befreiend.