Das rote Zimmer

Deutschland 2010 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Rudolf Thome
Drehbuch:
Kamera: Ute Freund
Darsteller: Katharina Lorenz, Seyneb Saleh, Peter Knaack, Max Wagner, Isabel Hindersin u.a.
Ganz im Geist von 1968

Stadt, Land, Kuss

Es sind ja immer Expe­ri­mente, von denen Rudolf Thomes Filme handeln, und im Werk keines zweiten Filme­ma­chers ist »der Geist von 1968« so präsent, wie bei diesem. Alles ist leicht und entspannt, alles ist offen. Forscher­geist dominiert, und das Poli­ti­sche steckt immer im Privaten. Es gibt, auch das gehört dazu, zudem einen gewissen, hinter der Schüch­tern­heit und Passi­vität der Thome-Männer versteckten Machismo: Diese Männer kommen gut weg und heraus aus diesen Geschichten, oft genug sind auch mehrere Frauen um sie bemüht – umgekehrt ist das eher selten der Fall –, und weil diese Frauen auch noch schön und stark und selbst­be­wusst sind, ist das alles dann um so schmei­chel­hafter.

So auch diesmal: Fred (Peter Knaack), ist Kuss­for­scher. Diesen Beruf gibt es wirklich, Phile­ma­to­logie heißt er. Fred lebt in der Stadt, wo er in Labors seine seltsamen – und in der Praxis auch ein wenig absurden – Studien betreibt. »Die Wissen­schaft bedankt sich bei ihnen.« sagt er, bevor er die Paare verab­schiedet, die zuvor im Labor vor seinen Kameras geknutscht haben. Fred wird vom Regisseur einge­führt als Volvo­fahrer, also nach land­läu­figer Betrach­tung ein Schwäch­ling und Spießer. Er ist frisch geschieden, er ist reser­viert und blind für die Avancen seiner Mitar­bei­te­rinnen. Seinen Geburtstag feiert er mit einer Prosti­tu­ierten. Man darf in ihm wohl vor allem einen Verlo­renen sehen, einen der etwas sucht und nicht genau weiß, was, und der sich darum etwas hilflos hinter seinen Studien verschanzt. Die Romantik der Objek­ti­vität.

Immer wieder gegen­ge­schnitten zu den Portraits seines Lebens ist die Geschichte zweier Frauen, die auf dem Land leben: Sibel und Luzie. Beide sind ein Paar, aber haben auch Männer­be­zie­hungen. Sie essen viel und trinken noch mehr, und sagen schöne Sätze wie: »Alles, was gut schmeckt ist ungesund.« Luzie raucht auch. Diese gesunde Lust am Unge­sunden durch­zieht ihr ganzes Leben, so wie wir es kennen­lernen, und nach heutigen Maßstäben vom Prenz­lauer-Berg-Neospießertum sind Luzie und Sibel einfach etwas verrückt. Diese Frauen sind toll, wie eine Erlösung, also schon auch eine Männer­phan­tasie, aber doch auch eine Frau­en­phan­tasie in ihrer Anti­ro­mantik, in der sie dann Sätze wie diesen sagen: »Wenn Du mit mir Händchen hältst, dann willst Du mich später küssen, und wenn Du mich küsst, dann willst Du mit mir schlafen und wenn Du mit mir schläfst, dann kriegen wir ein Kind, und dann willst Du mich heiraten – und da hab ich absolut keinen Bock drauf.«
Das Rote Zimmer ist also wie man merkt von Anfang an ein sehr heiterer, ange­nehmer und unge­wöhn­li­cher Film.

Eines Tages trifft Fred beide, zuerst Sibel, der er gefällt und die mit ihm flirtet, aber er ist zu verpeilt, um das auch nur zu merken. Dann Luzie, die ihn anspricht, weil sie Schrift­stel­lerin ist, und für ihr neues Buch über »die Seele der Männer« noch mehr über Männer lernen will. Er fährt zu ihr hinaus aufs Land, und trifft Sibel. Alle drei lernen sich kennen und beginnen ein Liebes­ver­hältnis zu dritt – und wer jetzt an Tom Tykwers Drei denkt, wo es ja auch um eine menage à trois geht, dem muss man sagen, dass der ja am Prenz­lauer Berg wohnt, wo auch Drei spielt und dass Thomé, der in Kreuzberg wohnt, das im Unter­schied zum bedeu­tungs­schwan­geren Tykwer ganz gelassen erzählt; dass Tykwer hier einmal lernen kann, was das Wort Utopie bedeutet, um das es ja in seinen Filmen auch gehen könnte.

In diesem Haus auf dem Land, das, nicht nur mit seinem Matri­ar­chat wie eine jener Utopien aus Shake­speare stücken wirkt oder aus dem 18. Jahr­hun­dert, und auch an Camus' Haus vor der Welt erinnert, in diesem Haus fallen in den nächsten Film-Minuten dann Sätze, die schon für sich genommen, das Nach­denken und auch mal Nach­fragen lohnen, wie »Spaß ist kein Gefühl«, oder »Man darf nicht mit der Liebe spielen«, und die Menschen sind fähig, schwie­rige Dinge ganz einfach auszu­spre­chen: »Ich bin eifer­süchtig. Obwohl ich das nicht will.« Darin, in dieser Einfach­heit liegt Thomés große Fähigkeit. Ein bisschen ist auch er natürlich ein Kuss­for­scher, einer der anderen dabei zuschaut, wie sie einfach da sind, und sich offenbar beim Dreh unsichtbar genug zu machen versteht. Und so gelingt es ihm dann, auch einfach Glück zu haben, wie in dem Augen­blick, in dem zwischen Sibel und Fred der Satz fällt: »Du bist keine Fliege«, da krabbelt Fred dann eine Fliege über die Hand.

Bei Thome geht es auch viel eher um das Leben, als um die Liebe. Liebe wird nicht hyste­risch aufge­laden zu einem Alle­ser­löser, der sie ja im wirk­li­chen Leben, wie jeder weiß, auch viel zu selten ist. Sie ist einfach Teil des ganzen, ganz normalen Lebens. Und das besteht aus Reden, Rotwein­trinken, Fern­seh­gu­cken, und bei Thomé immer auch Auto­fahren.
Darin, in der Annahme, dass das ganz normale Leben schön sein kann, und zugleich alle Magie, alle Ideale enthalten, liegt aber eine andere Utopie, und darum sagen hier auch Menschen allen Ernstes: »Wir müssen die Liebe neu erfinden«, machen einen Liebes­ver­trag, der durchaus die Ökonomie nicht vergisst, sprechen von der »Schönheit des gemein­samen Lebens« und eine Liebes­phan­tasie ersetzt die real­exis­tie­rende Zwei­er­be­zie­hung.

Hier sind wir dann wieder beim »Geist von 1968«, bei politisch-sein des Privaten. Davon hat Thome schon oft erzählt, viel­leicht immer wieder seit Rote Sonne, mit dem er berühmt wurde. Darin ging es, wie in so manchem Thome-Film danach, auch um Frauen, die sich nehmen, was sie wollen, aber erzählt aus der Perspek­tive eines Mannes, der das erlebt und geschehen lässt.

So ist Das Rote Zimmer viel­leicht Thomes Version einer Geis­ter­ge­schichte. Vor allem bleibt er bis zum Ende eine kluge Komödie bleibt, ein wunder­barer Film, der Spaß macht, und dabei die Intel­li­genz des Zuschauers nicht beleidigt, ein Film, durch den andere Regis­seure und wir Zuschauer viel erfahren können: Darüber wie man einfach und klar Geschichten erzählt, ohne in Kunst­film­ma­nie­rismen zu verfallen, ohne sich aber auch an Technik oder bloße Moden zu verkaufen. Darüber, wie leicht und klar Kino sein kann, wie vers­tänd­lich und relevant. Ob Thomé in seinem Kino jetzt eher fran­zö­sisch ist oder eher ameri­ka­nisch, eher Howard Hawks verpflichtet oder eher der deutsche Rohmer, darüber kann man dann ja streiten. Es wird dies jeden­falls ein Streit auf dem richtigen Niveau sein. Thomé ist, irgendwo zwischen Rohmer und Hawks also im guten, einzig sympa­thi­schen Sinne konser­vativ: Einer der das Kino bewahrt, und dessen Filme dadurch in die Zukunft weisen.