Deutschland 2002 · 136 min. · FSK: ab 12 Regie: Margarethe von Trotta Drehbuch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta Kamera: Franz Rath Darsteller: Katja Riemann, Maria Schrader, Jürgen Vogel, Martin Feifel u.a. |
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Frauenpower '43 |
Ein wenig wundert man sich schon, mit wieviel Nachsicht, Andacht und Demut man jetzt vor Margarethe von Trottas Rosenstraße in die Knie geht. Wo sich doch viele aufrechte Kritiker über die Vergewaltigung einer einzigen Frau in Irreversibel aufplustern und erregen können, bis der Schaum vom Mund tropft. Die Vergewaltigung der Opfer des Holocaust, die dieser Film de facto vornimmt, scheint dagegen niemanden zu interessieren.
Aber der Reihe nach. Beim Festival von Venedig waren sich die Filmkritiker der führenden Zeitungen noch einig. Doch der Preis für Katja Riemann scheint Wunder gewirkt zu haben. Auf einmal ist Margarethe von Trotta nicht mehr die »Nervensäge« und »Betroffenheitsglucke« des deutschen Kinos, sondern wieder eine von uns. Wie schön.
Eine Anekdote muss man in diesem Zusammenhang erzählen, weil sie leider keiner erzählt hat bisher, auch offenbar aus Demut. Es gibt nämlich eine
Co-Autorin des Drehbuchs, die Amerikanerin Pam Katz. Die ist nun, wie es der Zufall will, die Schwiegertochter von Michael Ballhaus, der, wie es der Zufall will, ausgerechnet in der Jury saß, die Katja Riemann den Preis gegeben hat. Honi soit qui mal y pense...
Nun wollen wir, das muss gerade an diesem Ort gesagt werden, wo nicht – und dazu stehen wir – immer nur Schmeichelhaftes über Katja Riemanns Leinwandausstrahlung und ihre Schauspielkünste zu lesen war, nun wollen wir also zugeben, dass Katja Riemann das Beste ist an diesem Film, und dass dies ihr bester Film seit Jahren ist. Nur: Was sagt das eigentlich? Wenn Katja Riemann in Venedig einen Schauspielpreis erhielt, dann bekam sie ihn vor allem dafür, dass sie die zahlreichen Schwächen des Films mitunter noch halbwegs überspielt.
Vielleicht hat die Gnade der Kritik gegenüber Rosenstraße aber neben dem Preis in Venedig und der Achtung gegenüber Frau von Trotta noch einen anderen Grund: Der Inhalt des Films und die – fast notwendige – Befangenheit im Umgang mit diesem Inhalt.
Der Kern der Geschichte ist anrührend und moralisch brisant: Widerstand war möglich im Dritten Reich. Es hat ihn gegeben, und er hatte Erfolg. Das Beispiel der Rosenstraße, von dem Margarethe von Trottas neuer Film handelt, ist ein Einzelfall, und der Film behauptet nicht, er sei, in welcher Weise auch immer, repräsentativ.
Etwa 2000, von den Nürnberger Rassegesetzen als in »Mischehen« verheiratete »Nichtarier« qualifizierte Menschen, wurden da Ende Februar 1943 in Berlin verhaftet, und im »Jüdischen Wohlfahrtsamt« in der Rosenstraße interniert; ihr Abtransport nach Auschwitz drohte. Es kam schnell zu öffentlichen
Protesten ihrer »arischen« Ehepartner, viele hundert von ihnen wichen nicht vom Eingang des Haftortes, auch nicht, als ihnen Gewalt angedroht wurde. Nach nur einer Woche wurde das den Machthabern zuviel. Sie ließen die Inhaftierten frei, die meisten von ihnen überlebten das Kriegsende. So weit, so gut und so traurig.
Die historische Wahrheit ist freilich für sich genommen ein Thema für Dokumentationen. Sie wird zum guten Kunstwerk erst da, wo sie auch eine Gestalt erhält, und hier fangen bei von Trotta die Probleme an. Genauer gesagt: Man weiß gar nicht, wo sie anfangen, so sehr überragen sie alles. Die Unsicherheit der Regisseurin über die angemessene Haltung ist von Anfang an mit Händen zu greifen. Sie zeigt sich zuallererst darin, dass von Trotta zwei parallele Geschichten mit zwei
parallelen Hauptfiguren erzählt.
Die eine, die von Katja Riemann gespielte, mit einem Juden verheiratete Adelstochter Lena, erlebt die Ereignisse 1943. Die andere, eine New Yorker Jüdin (Maria Schrader), durchlebt sie rückblickend, als sie im Berlin der Gegenwart der Vergangenheit ihrer Mutter als Kind im Nazi-Berlin nachforscht. Sinn ergibt dieser Teil eigentlich nur, wenn er dazu dienen soll, heutige Perspektiven und zeitgemäße Fragen zu stellen. Doch für von Trotta dient
die Reise in die Vergangenheit nur als Vehikel weiblicher Selbstbefreiung: Am Ende ist die Erinnerung komplett und Maria Schrader darf heiraten. Zuvor hat man im Kino schlimme Momente durchlebt. Schrader mit der Mutter, einer stummen, statuesken Jutta Lampe mit »Alexandra«-Frisur, eine Szene wie die Karikatur des Autorenkinos der 70er. Schrader am Telefon mit ihrem Geliebten telefonierend. Kein Wort, keine Geste stimmt. Ihr aufgesetztes Englisch durchsetzt mit deutschem Akzent,
was deshalb schlimm ist, weil sie eine Amerikanerin spielt. Es ist einfach fürchterlich.
Filmisch funktioniert wenig. In der ersten halben Stunde verhakt sich Rosenstraße immer wieder im Gerüst seiner mehr als spröden Rahmenhandlung. Danach holpert und stolpert der Film dahin. Der Regisseurin steht die Tatsache im Weg, dass sie mindestens zwei Dinge gleichzeitig erzählen möchte. Das Resultat ist eine Exploitation-Movie für Gutmenschen. Sie benutzt die Judenverfolgung primär als Kulisse für ein doppeltes privates Melodram und als
kulturpolitisch verwertbare Dienstleistung: Frauenpower 1943 – nichts ist dagegen zu spüren von Abgründen und Todesangst. Und dass der Film vorgibt, nur Frauen hätten protestiert – »Wir wollen unsere Männer wiederhaben«, haha –, alle Männer seien dagegen ihren Frauen untreu gewesen, ist infam. Es belegt nur, dass sich die Regisseurin für Geschichte gar nicht interessiert – was sie dann in Interviews als »Emotionalisierung« verkauft.
Auch die
künstlerischen Mittel sind beschränkt: Zu Katja Riemann siehe oben. Die Wichtigtuerei und Affektiertheit, mit der dagegen Maria Schrader ihre »Jüdinnen« schon in Aimée & Jaguar und Meschugge und jetzt auch hier anlegt, sind freilich so wenig erträglich, wie die Manierismen, mit denen Hans Peter Hallwachs zum
x-ten Mal den »harten« Vater/Onkel/Gangster/Nazi spielt, oder Jürgen Vogel, der in seiner Rolle als versehrter Wehrmachtsoffizier nicht von den 90er-Jahre Berlinern zu unterscheiden ist, die er bei Wolfgang Becker und Chris Kraus gab.
Kulisse überall: Wieder einmal ist der Faschismus genau 100 Meter lang und steht in Babelsberg: Die Rosenstraße ist die immergleiche Hausecke mit dem immergleichen Pflaster und dem immergleichen Licht, die schon in Der Pianist und einem halben Dutzend weiterer Babelsberg-Drehs herhalten musste, wenn es galt, deutsche Vergangenheit zu illustrieren. Auch sonst bleibt man im vertrauten Terrain der mundgerechten Konsumierbarkeit des Völkermordes, wo die Nazis blitzblanke Uniformen tragen, laut schreien und auch mal böse in die Luft schießen – und ansonsten von grundguten Deutschen umzingelt sind. Goebbels ist nicht mehr als ein blasierter Zwerg, der sich von Katja Riemann gern rumkriegen lässt, um als Belohnung dann mal den Holocaust kurz wieder abzublasen – eine peinliche Banalisierung des Terrors.
Was ästhetisch und historisch vor allem ignorant ist, läuft moralisch auf Schlimmeres hinaus. Rosenstraße bestätigt so ziemlich jeden Einwand, der sich überhaupt gegen Spielfilme über reale Ereignisse während der Nazi-Zeit vorbringen lässt: Er zeigt nicht einen einzigen der über 6 Millionen Toten, er zeigt Nazis nur als harmlose Fratzen, er zeigt nicht die Mörder und die Opfer, sondern die Überlebenden und die Retter. Indem der Zuschauer, so legt es
der Film nahe, sich mit ihnen identifizieren darf, darf er sich auch trösten, wo es in der Wirklichkeit wenig Trost gibt. Und die tapferen Heldinnen des Films sind durchweg »deutsche«, d.h. arische deutsche Frauen. Da sieht man’s mal, die kämpfen wenigstens...
Solche Einwände würden zumindest relativiert, wenn an irgendeiner Stelle spürbar wäre, dass Trotta sich mit ihnen in irgendeiner Weise auseinandergesetzt hätte. Ihr Film lässt aber leider nur den Schluss zu, dass
sie ihr gar nicht bewusst sind.
Und was das politisch soll? Dass diese Fußnote der Geschichte, wie Jan Schulz-Ojala von Venedig aus im Tagesspiegel schrieb – und er meinte dies als ein Lob – »die Lektüre der Geschichte verändert«, wäre, wenn es stimmen sollte, ja gerade das Problem.
Aber keine Sorge – der deutsche Filmpreis, so wie die Dinge bei uns liegen, ist Rosenstraße sicher.