Roter Himmel

Deutschland 2023 · 102 min. · FSK: ab 12
Regie: Christian Petzold
Drehbuch:
Kamera: Hans Fromm
Darsteller: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt u.a.
»so klein wie die welt und so groß wie allein..«
(Foto: Piffl Medien GmbH)

Pompeji liegt an der Ostsee

Christian Petzold ist in seinem Reigen über Kunst und Liebe nach der schweren Symbolik und Stilisierung seiner letzten beiden Filme fast leicht und sogar humorvoll gestimmt. Da wird die Tragödie fast zur Nebensache.

Love’s gonna make us, gonna make us blind
We’ll be living in a place we like
What’s gonna make us, gonna make us find?

– Wallners, In My Mind

Es wird immer seltener, dass ein Schrift­steller, Künstler, Musiker oder Regisseur uns ein halbes Leben oder sogar länger begleitet. Die nach­las­sende Aufmerk­sam­keits­spanne bei der schier endlosen Möglich­keit von medialem Konsum lässt lange Vertrautes fast unmerk­lich einfach wegkippen – aus dem Auge, aus dem Sinn – so dass die Nach­hal­tig­keit von Ruhm immer fragiler geworden ist.

Aber es gibt zum Glück ein paar Ausnahmen. Eine davon ist Christian Petzold, der seit einem viertel Jahr­hun­dert Filme abliefert, die auf subtile Art und Weise stets am Puls der Zeit operiert haben, die gesell­schaft­liche Lücken und Abgründe aufge­zeigt haben und mit einer einzig­ar­tigen Bild- und Form­sprache immer wieder über­rascht haben. Sei es Die innere Sicher­heit (2000), Wolfsburg (2004), Jerichow (2008), Barbara (2012) oder Phoenix (2014). Mit Phoenix schlich sich aller­dings bereits eine symbo­li­sche Schwere und ein Stili­sie­rungs­zwang in Petzolds Kinofilme (von denen die Poli­zei­rufe ausge­nommen waren) ein, die in der Anna Seghers-Verfil­mung Transit (2018) und in Undine (2020) so stark wurden, dass Petzolds größte Stärke, nämlich über den kleinen Alltag seiner Prot­ago­nisten große emotio­nale und gesell­schaft­liche Geschichten zu erzählen, immer kleiner wurde und die Handlung und ihre Figuren förmlich unter dem Diktat einer großen Idee zu erstarren schienen.

Obwohl Petzolds neuer Film Roter Himmel der zweite Teil einer Trilogie ist, hat er mit dem ersten Teil, Undine, nur die auch schon in Petzolds Gespenster-Trilogie eher vage und aufge­setzte trilo­gi­sche Idee gemein – von Wasser über Feuer zu Erde oder Luft. Und eine der Haupt­dar­stel­le­rinnen. Denn ist es nach dem deutsch-mytho­lo­gisch aufge­la­denen Wasser­wesen und Wasser überhaupt und einer großar­tigen Paula Beer in Undine, nun zwar wieder eine subkutan, fast traum­wand­le­risch operie­rende Paula Beer, die dieses Mal aller­dings nicht von Wasser, sondern von Feuers­brünsten an der Ostsee umgeben ist. Von trie­fender deutscher Mytho­logie ist sonst kaum etwas zu spüren. Wenn überhaupt, ist Roter Himmel getränkt vom poeti­schen Realismus eines Fontane – der auch schon in Emily Atefs fast zeit­gleich in die Kinos gekom­menem Irgend­wann werden wir uns alles erzählen pulsierte – und den Droh­ge­bärden der Natur (und in diesem Fall auch ein liegen­ge­blie­bener Wagen), die mehr weiß als die Menschen; das Drama also von Anfang an im Raum steht.

Anders als bei Atef ist das bei Petzold jedoch fast neben­säch­lich, weil Petzold bei all den tatsäch­lich im Jahr 2022 an der deutschen Ostsee­küste und während der Dreh­ar­beiten apoka­lyp­tisch drohenden Feuern überaus leichte, verfüh­re­ri­sche und komische Liebes­ge­schichten erzählt. Es ist ein wenig wie in Eric Rohmers Bezie­hungs­reigen, in Pauline am Strand oder Sommer, durch die Petzold auch inspi­riert wurde, und es ist ein wenig Shake­speares Sommer­nachts­traum und Goethes Wahl­ver­wandt­schaften – zwei Paar­kon­stel­la­tionen treffen aufein­ander und die Bezie­hungs­dy­na­miken verwun­dern und verwan­deln sich. Ist das bei Goethe zum Schlechten, gerät es bei Petzold zum Guten, sehen wir hier jungen Menschen, die wohl bald dreißig werden, bei ihrem späten Coming-of-Age zu, ist das natürlich auch klas­si­scher Bildungs­roman. Denn der wunderbar von Thomas Schubert als tumber Tor verkör­perte Leon, der mit seinem Freund Felix (Langston Uibel) in das Sommer­haus von dessen Mutter gekommen ist, will endlich seinen zweiten Roman vollenden und Felix seine Fotomappe für die Kunst­hoch­schule fertig machen. Doch Nadja (Paula Beer), die von Felix' Mutter über­ra­schen­der­weise ebenfalls ein Zimmer in dem Haus zuge­wiesen bekommen hat, bringt die Konstel­la­tion nicht nur durch Devid (Enno Trebs) durch­ein­ander, der dann und wann eine Nacht bei ihr verbringt, sondern ist so somnambul wie Leon, der in ihrer Gegenwart mehr und mehr die Kontrolle verliert.

Petzold arran­giert diesen Bezie­hungs­reigen äußerst delikat, jeder Dialog sitzt perfekt und bei all der schweren Kunst ist das leichte Leben nie weit entfernt, wird darüber disku­tiert, ob besser Dach­de­cken oder Super­markt angesagt ist, gibt es wunderbar dahin­par­lierte, die Situa­ti­ons­komik verstär­kende Dialoge, wird mit Leucht­schlä­gern bei Nacht Federball gespielt und wenn Leon sich dann doch fast schon zwangs­weise an den Strand begibt, geht er nicht baden, sondern liest in Robert Schnei­ders völlig verris­senem Roman Schatten. Das ist natürlich eine fast schon kalau­er­hafte Anspie­lung auf Leons eigenen Roman, den Nadja irgend­wann gegen­lesen und Leons Verleger Helmut (Matthias Brandt) mit ihm durch­spre­chen wird. Auch dieser Besuch ist wunder­voll einge­rahmt, sind plötzlich Uwe Johnson und die Aarens­ho­oper Künst­ler­ko­lonie mit an Bord und wird die so schnip­pi­sche wie verfüh­re­ri­sche Nadja tatsäch­lich noch einmal zu jemand ganz Anderem, wird sie genauso hinter­fragt wie die Kunst und das Leben überhaupt.

Doch diese Fragen sind bei dem dräuenden Feuer nur ange­ris­sene Fragen, sind Spiel und Spaß, ein Spiel vor allem der Körper und dann auch der Geister, zwischen Begehren und Vernunft, Symbolik und Realistik, Komik und Tragik.

Petzold gelingt es, diese Balance bis zum Ende so spie­le­risch aufrecht zu erhalten, dass es wirklich eine Freude ist, ein ständiges Entdecken und Über­ra­schen ist, selbst die bei Christian Petzold fast schon ikono­gra­fi­sche Frau auf dem Fahrrad. Das Wunder­bare an dieser Frau, an Nadja, ist dann auch tatsäch­lich ihr Fahrrad mit allem, was dazu­gehört, die Fahrt zum Job, das Einkaufen, das ganz banale Entschwinden; dass sie halt nicht wie die Frauen in Transit und Undine »femme-fata­lis­tisch« und system­im­ma­nent aufge­laden ist, sondern völlig alltä­g­lich und nur im Sinne von François Truffaut ein ganz klein wenig mythisch ist.

Wie so oft in Petzolds Filmen gibt es auch in Roter Himmel den kleinen Schwenk, den schnellen und finalen Flirt mit dem Melodram – auch das erinnert an den anderen Sommer­film dieser Woche, der ja ebenfalls auf der Berlinale im Wett­be­werb lief, aber keinen Silbernen Bären erhalten hat, an Emily Atefs Irgend­wann werden wir uns alles erzählen. Doch hier ist es nicht ein Bahngleis, sondern gleich die große Geschichte vom Untergang von Pompeji und seinen Liebenden. Aber auch das passt, fügt sich in das Narrativ so elegant und über­ra­schend ein wie ein gutge­schrie­bener Roman, über dessen Kunst­fer­tig­keit man nicht nur staunt, sondern den man gleich noch einmal lesen möchte. Mehr noch, als es Petzold am Ende gelingt, sich selbst ein wenig neu zu erfinden, indem er nicht nur ein letztes Mal das hypno­tisch-laszive In My Mind der Wallners anspielt, sondern gleich noch ein Ende hinzufügt, ein herr­li­ches Vexier­spiel, das die Literatur mit dem Film vereint, weil das eine aus dem Anderen entsteht und umgekehrt. Schöner und leichter und schwerer geht es kaum.