Spanien/Kanada 2015 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: Alejandro Amenábar Drehbuch: Alejandro Amenábar Kamera: Daniel Aranyó Darsteller: Emma Watson, Ethan Hawke, David Thewlis, Lothaire Bluteau, Dale Dickey u.a. |
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Atmosphärisch dicht |
Bevor der spanische Filmemacher Alejandro Amenábar im Jahre 2005 für sein auf einer wahren Geschichte basierenden Drama Das Meer in mir den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt, hatte er sich bereits als Regisseur gelungener Genrefilme verdient gemacht. Alle seine ersten drei Langfilme waren Thriller, die mit unterschiedlichen Akzenten mit unserer Wahrnehmung der Realität spielten. Jetzt kehrt Amenábar mit Regression zu seinen filmischen Wurzeln zurück. Die heimliche Hauptfrage lautet hier, in welcher Art von Film man beim Betrachten eigentlich sitzt.
Der von wahren Ereignissen inspirierte Film spielt in einer Kleinstadt im Mittleren Westen im Jahre 1990. Inspektor Bruce Kenner (Ethan Hawke) soll herausfinden, ob die Anschuldigungen der 17-jährigen Angela stimmen (Emma Watson), die behauptet ihr Vater (David Dencik) habe sie vergewaltigt. Der alkoholkranke Automechaniker gibt ein Geständnis ab, obwohl er sich nicht an die Tat erinnern kann. Deshalb zieht Kenner den Psychologen Kenneth Raines (David Thewlis) zu Hilfe. Raines ist ein Fachmann für die Regressionstherapie, mit der Menschen unter Hypnose verschüttete Erinnerungen zurückrufen können. Es mehren sich die Hinweise, dass eine satanische Sekte ihr finsteres Spiel treibt. Selbst Kenners Kollege Nesbitt (Aaron Ashmore) scheint verdächtig.
Regression erweckt eine nahe Vergangenheit auch filmisch zu neuem Leben. Der Film wirkt auf eine sehr angenehme Art altmodisch und ist ungewöhnlich atmosphärisch, ohne dass man als Zuschauer immer ganz genau benennen könnte, was Amenábar anders als ein Großteil seiner Kollegen macht. Der Thriller hat ein heute eher ungewohnt langsames Tempo und ist auch wesentlich ruhiger, als das Gros der aktuellen Thriller aus Hollywood geschnitten. Die Stimmung ist von Anbeginn an düster. Regression beginnt als ein Neo Noir, in dem Ethan Hawke einen klassischen gebrochenen Hardboiled-Detective spielt, der direkt einem Krimi von Raymond Chandler entstammen könnte. Es ist eine Rolle, in der man eher einen Schauspieler wie den ewig unterschätzten Kevin Bacon erwarten würde. Aber entgegen allen Erwartungen macht Hawke seine Sache ausgesprochen gut.
Zu den Dingen, die man nicht unbedingt bewusst wahrnimmt, die jedoch entschieden dazu beitragen, dass Regression die Atmosphäre der Zeit, in welcher die Handlung spielt, auf überzeugende Weise wiederbelebt, gehört die Verwendung alter Kameras mit ihren Unschärfen. Deshalb wirkt der Film trotz der Verwendung zeitgenössischer Stilmittel, wie stärkerer optischer Kontraste, eher wie ein Werk aus den 80er-Jahren, als ein heutiger überscharfer Digitalfilm. Bei Optik und Atmosphäre hat sich Amenábar sichtbar von Klassikern wie Der Exorzist (1973) inspirieren lassen. Dies trägt auch dazu bei, dass es keineswegs befremdlich wirkt, dass die Handlung von einem realistischen Krimi immer mehr in Richtung eines okkulten Horrorfilms driftet.
Aber Regression bleibt dabei lange sehr ambivalent. Gerade der Kenner des Werks von Amenábar fragt sich, ob dies nun eher ein übersinnlicher Mystery-Thriller in der Art von The Others oder doch ein nur zu realistischer Horror, wie Amenábars Snuff-Film-Thriller Tesis – Faszination des Grauens (1996) ist. Dass er beide Elemente auf originelle Weise miteinander zu verknüpfen versteht, bewies Amenábar bereits mit seinem Sci-Fi-Psychothriller Open Your Eyes – Virtual Nightmare, der zu den interessantesten Genrefilmen der 90er-Jahre gehört. Eine Schande ist es deshalb, dass Tom Cruises völlig missglücktes Hollywood-Remake Vanilla Sky (2001) bis heute wesentlich bekannter ist. – Aber dies nur ein kleiner Einwurf am Rande.
Ganz so gelungen, wie seine ersten beiden Filme ist Regression letztendlich leider nicht geworden. Aber er ist deutlich besser, als der zu glatte und zudem völlig unoriginelle The Others (2001) der widerum – Ironie des Schicksals! – der bisher bekannteste Mysterythriller des Spaniers ist. Obwohl Regression kein Meisterwerk geworden ist, ist es ein sehr atmosphärischer und klar überdurchschnittlicher Thriller, der Hoffnungen berechtigt erscheinen lässt, dass der Filmemacher möglicherweise mit seinem nächsten Film erneut zu Höchstform auflaufen wird. – Sollte dies Wirklichkeit werden, wird schon bald endgültig kein Filmfreund mehr an dem Namen Alejandro Amenábar vorbeikommen!