Dänemark 2009 · 88 min. Regie: Mads Brügger Drehbuch: Mads Brügger Kamera: René Johannsen Schnitt: René Johannsen Darsteller: Jacob Nossell, Simon Jul Jørgensen, Mads Brügger u.a. |
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Im Herzen des Bösen |
Ob er denn gar keine Skrupel kenne, muss sich Mads Brügger in The Red Chapel einmal von seinem Kollaborateur Jacob Nossell fragen lassen. Das Krasse an dem »Nein«, mit dem Brügger antwortet, ist, dass man es ihm absolut glaubt.
Der Regisseur ist ein kompletter Zyniker und eiskalter Manipulator. Der Vergleich zu Lars von Trier liegt nahe, nicht nur weil dessen Firma Zentropa The Red Chapel produziert hat – doch Brügger scheint auch völlig die masochistische Komponente zu fehlen, die von Triers unleugbaren Sadismus durchaus komplex und interessant macht.
Mit anderen Worten: Mads Brügger ist der ideale Mann für dieses Projekt. Jeder Hauch echte Selbstzweifel, Mitgefühl, Warmherzigkeit hätte gewiss in einem angenehmeren, weniger grenzwertigen Film resultiert. Aber auch einem kleineren.
Brügger nimmt sich nicht weniger vor, denn als erster westlicher Filmemacher ins Herz des Bösen von Kim Jong Ils nordkoreanischem Reich vorzudringen und dieses Böse ins Licht der Leinwand zu zerren. Sein Plan dafür: Ein »Kulturaustausch« mit einer angeblichen Komikertruppe, eben jener »Roten Kapelle«, die aus zwei in (Süd-)Korea geborenen, aber in Dänemark aufgewachsenen jungen Männern besteht – Simon Jul und eben Jacob Nossell. Der Clou des Clous: Jacob ist Spastiker. Und seine Anwesenheit soll in Nordkorea – wo es angeblich keine Behinderten gibt – nicht nur die Reaktionen des Regimes und der Leute ausloten; da sein undeutliches Sprechen für die Gastgeber auch unverständlich ist, ist er der Einzige, der seine wahren Gedanken unzensiert äußern kann. (Was freilich einige ziemlich kreative Übersetzerleistungen seiner Begleiter erfordert.)
Klingt nach einer jener interventionistischen Agitationen à la Michael Moore oder Borat. Aber The Red Chapel ist gefährlicher, unberechenbarer. Denn er ist letztlich der Widerstreit zweier diktatorischer Systeme – des realexistierenden Kulissenreichs von Kim Jong Il und des monomanischen Subversionswillens von Brügger. Brügger ist omnipräsent in dem Film, taucht nicht nur in fast jeder seiner Szenen auf, sondern textet das Ganze auch noch dicht. Sowohl seine Manipulationen vor der Kamera als auch als Interpret sind ein einziger Kontrollversuch. Und das wirklich, wirklich Spannende an The Red Chapel ist, wie dieser Kontrollversuch im Endeffekt fundamental misslingt, ohne dass bei Brügger davon mehr als der Funken einer Ahnung aufzuglimmen scheint.
Denn in der Manipulation dessen, was Sichtbar ist und was nicht, haben die Nordkoreaner nunmal einige Jahrzehnte ruchlose Erfahrung. Und so leicht lassen sie sich da von ein paar Dänen mit Videokamera nicht demontieren.
Alles gedrehte Material muss die landeseigene Zensur passieren – Brügger kann die staatlichen Behörden wohl über die Absicht täuschen, mit der er, nicht aber darüber WAS er dokumentiert. Und so scheitert schonmal erwartungsgemäß sein Versuch, wirklich das verborgene Böse vor die Linse zu zerren. Ihm bleibt da nicht mehr, als über Landschaftsaufnahmen nachträglich von den brutalen Arbeitslagern zu erzählen, von denen man wisse, dass sie da bestimmt irgendwo sein müssen. Auch wenn man an der Existenz dieser Lager wohl nicht zweifeln muss – filmisch gesehen erlebt man da nicht Evidenz, sondern die Suggestion einer vorgefassten Sichtweise.
Und das nordkoreanische Regime versteht sich schon auch darauf, alle mögliche Subversion zu dekontaminieren. Der Kontakt zu den »Insassen« des Landes wird bewusst klein und kontrolliert gehalten, der Aktionsradius der Dänen ziemlich effektiv eingeschränkt. Brügger gelingt es immerhin, beim Pflicht-Huldigungsbesuch am monumentalen Denkmal des Staatsgründers als angebliche, sozialistisch-internationale Hommage das Nonsensegedicht »Love is like a pineapple / sweet and undefineable« zu rezitieren. Aber das findet ohne Zeugen statt, abgesehen von seinen offiziellen Aufpassern. Der einzige Moment, der wenigstens ein bisschen Freiheit und Infiltration atmet, und der nicht ausschließlich dem westlichen Publikum des Films zugute kommt, ist ein Landausflug mit einer Gruppe Schulmädchen, bei dem die beiden Komiker »Wonderwall« klampfen: Wenn es in The Red Chapel Kulturaustausch gibt, dann ist es das Hineinschmuggeln dieser Melodie.
Aber das eigentliche Ziel, vor nordkoreanischem Publikum anarchische, amateurhafte, improvisierte dänische Komik aufzuführen, erreicht das Team nicht. In seinem Warten auf den einen Moment, wo er dem System die Maske herunterreißen kann, lässt Brügger sich zusehends selbst instrumentalisieren. Brav absolviert man das angebotene/aufgezwungene Besucherprogramm (inklusive eines mehrsekündigen Ausflugs nach Südkorea – auf die andere Seite eines Tischs in einer Barracke am Grenzkontrollpunkt). Man lächelt und applaudiert, wann man zu lächeln und applaudieren hat, um die eigene Tarnung nicht auffliegen zu lassen. Und die Hoheit über die eigene Theateraufführung überlasst man immer mehr dem staatlich gestellten Regisseur, der ja viel besser weiß, was das heimische Publikum sehen will (respektive darf).
So liefern Brügger und Co. den totalitären Gastgebern im Krieg der Bilder letztlich genau jene Munition, die die sich wünschen: Salutierende, Propaganda-Sprüche über die koreanische Einheit aufsagende Ausländer. Und Jacob wird auf der Bühne immer mehr zum Requisit gemacht – wenn man den Behinderten schon nicht völlig verbergen kann, dann wird er halt entmündigt.
Für den Film aber bleibt Jacob Nossell die wichtigste Figur. Denn er ist derjenige, der viel genauer als Brügger erkennt, was vor sich geht. Ihn nehmen die Propaganda-Shows mit kleinen Kindern wirklich mit, für ihn ist die Unfreiheit der Menschen in Nordkorea, das Totalitäre des Systems nicht einfach ein kühl zu beobachtendes und denunzierendes Demonstrationsobjekt. Er ist nach ein paar Tagen knapp davor, das gesamte Unterfangen zu schmeißen – und Mads Brügger hat der Erkenntnis, dass er den jungen Mann für seine künstlerischen Zwecke schlichtweg benutzt, nicht viel mehr entgegenzusetzen als den Bericht, dass Jacob sich wieder fängt und es mit seiner Stimmung aufwärtsgeht.
Jacob ist der Einzige, der sich dem Zwang widersetzt, bei der großen Militärparade die Faust zu recken. Brügger kennt da gar nichts, macht eifrig mit, um dafür den Bilder-Triumph zu erringen, dass zwei Dänen, einer davon im Rollstuhl, mit ihrem Trüppchen Dolmetscher und Aufpasser ein Stück weit zwischen den riesigen, organisierten Gleichschritt-Blöcken mitmarschieren. Und es so sogar ins Staatsfernsehen schaffen.
Und Jacob »rettet« die Chef-Aufpasserin Mrs. Pak am Ende vor dem letzten Versuch Brüggers, ihr eine Falle zu stellen: Nossell würde gerne in Nordkorea Menschen treffen, die wie er eine Behinderung hätten, behauptet Brügger. Was die Dame in Verlegenheit bringen muss, da es solche Menschen in ihrem Land ja offiziell nicht gibt. Doch Nossell springt ihr bei und meint, na ja, vielleicht bei seinem nächsten Besuch in Nordkorea. Brügger versteht diese Hilfe nicht – für ihn ist Mrs. Pak nie etwas anderes als eine zwar freundliche, aber willige Repräsentantin des Bösen. Wenn sie beim Sprechen über die nordkoreanische Größe die Tränen überkommen und sie sagt, sie sei gepackt von »National Emotion«, sieht Brügger darin Theater, nichts weiter. Jacob – zu dem Mrs. Pak schnell eine beunruhigend mütterliche Beziehung entwickelt – sieht in ihr den Mensch.
Brügger scheint das Böse als eine Essenz zu betrachten, und wer sie in sich trägt, ist zwangsläufig korrumpiert – während umgekehrt bei den »Guten« der Zweck jedes Mittel heiligt (was Skrupel schlicht überflüssig macht). Jacob Nossell dagegen ist offensichtlich viel mehr bereit, die Menschen an ihren konkreten Taten zu erkennen, und zu akzeptieren, dass ein totalitäres Lebenstheater, wie Kim Jong Ils Staat es für seine Untertanen inszeniert, keine so leichten Unterscheidungen mehr zwischen richtig und falsch erlaubt. So bizarr sie auf unsereins wirkt – die »National Emotion« ist für Mrs. Pak wohl ganz real.
Und genau aus dieser Spannung zwischen Weltsichten und Bilderdiktatoren, zwischen Skrupellosigkeit und Mitgefühl bezieht The Red Chapel seine Größe.