The Place Beyond the Pines

USA 2012 · 146 min. · FSK: ab 12
Regie: Derek Cianfrance
Drehbuch: , ,
Kamera: Sean Bobbitt
Darsteller: Ryan Gosling, Bradley Cooper, Eva Mendes, Mahershalalhashbaz Ali, Ben Mendelsohn u.a.
Wie der Vater so der Sohn

Von Vätern und Söhnen

Der Platz hinter den Pinien ist, neben der india­ni­schen Über­set­zung für den Ort der Handlung Schenec­tady, so etwas wie ein arka­di­scher Sehn­suchtsort, alles andere eben als die ameri­ka­ni­sche Klein­stadt, die tatsäch­lich zu sehen ist. Wie schon in Blue Valentine erzählt Cian­france eine Fami­li­en­ge­schichte. War es dort das Ende einer Liebe (mit Ryan Gosling und Michelle Williams), als roman­ti­sche Vorstel­lung die an der Realität scheitert, so ist es bei The Place Beyond the Pines eine doppelte Vater-Sohn-Geschichte, die in drei Kapiteln – von den Vätern zu den Söhnen –, mitein­ander verknüpfte Geschichten erzählt.

Der eine Vater ist der Motorrad-Stuntman Luke, gespielt von Ryan Gosling, der tatsäch­lich – da kann man den Plakat­auf­schriften einmal glauben – elek­tri­siert. Ähnlich wie schon bei Blue Valentine scheitert er, weil er Dinge mit Methoden fest­halten will, die diese nicht vertragen. Beide Male ist es die Liebe und die Familie die gehen, weil er viel zu stark versucht sie zu halten. Luke in The Place Beyond the Pines ist nur ein wenig härter und wirkt, zumindest ober­fläch­lich, weniger verlet­z­lich als Dean in Blue Valentine. Solche Nuancen sind es, die Goslings Spiel so faszi­nie­rend machen. Ein zweiter Film bietet sich zum Vergleich an: Drive in dem auch Gosling die Haupt­rolle spielt. Luke zieht von einem Rummel­platz zum anderen und rotiert mit seinem Motorrad in einer metal­lenen Kugel. Wie schon bei Drive ist es die Geschwin­dig­keit als Zeichen unserer Zeit aber mit einem klar kalku­lierten Risiko die hier die Haupt­rolle spielt. In beiden Filmen gerät sie durch Gefühle aus dem Lot. Alles verändert sich nämlich als Luke seine flüchtige Affäre Romina (Eva Mendes) wieder trifft und er, zusammen mit einem Blick auf die roten Autos auf dem Pulli des Kindes, in ihrem Haus erfährt, dass es seines ist. Er beschließt zu bleiben, einfach so, und Verant­wor­tung zu über­nehmen, obwohl der Junge längst einen Stief­vater hat. Luke weiß sich nicht anders zu helfen als damit zu beginnen Banken auszu­rauben.

Der andere Vater ist der Polizist Avery Cross. Bradley Cooper spielt ihn und beweist damit einmal mehr, dass er, neben irrem und voraus­seh­barem Testo­steron-Klamauk wie in The Hangover, auch ganz anders kann. In Silver Linings konnte man das dieses Jahr bereits über­ra­schend und schön sehen. Avery ist Polizist aus Idea­lismus, das nimmt man ihm ab, zuerst, denn damit ist es nicht weit her und fast schon naiv stolpert er aus Unsi­cher­heit in die Korrup­tion und – als folge es auto­ma­tisch – aus Macht­willen und auch Fata­lismus in die Politik, wie schon sein Vater. Averys Geschichte bekommt keine Geschwin­dig­keit wie die von Luke, keine Atmo­s­phäre die fast schon melan­cho­lisch Romantik sugge­riert. Avery ist in der Realität ange­kommen und er bewegt sich sicher in einem System, in einem gesell­schaft­li­chen Umfeld, an dem Luke nur aus Notwen­dig­keit und Verzweif­lung vorbei­schrappt und schließ­lich daran scheitert. Aber auch Avery scheitert, damit muss – eine Gene­ra­tion später, der Sohn, gelang­weilt und ohne Liebe aufge­wachsen – kämpfen.

Zwei Seiten sind das, die im selben Umfeld agieren, simpel gesagt: Ein Mal die Seite des Geset­z­losen, das andere Mal die Seite des Gesetzes. Nach einer Weile versteht man, sehr anschau­lich an Ray Liottas Deluca zu sehen, einem Poli­zisten aus Averys Poliz­ei­de­part­ment, dass das kein echter Gegensatz ist. Liottas Charakter handelt wie schon 1990 in Scorseses Good­fellas, nur dass er sich dieses Mal nicht auf der Seite der Mafia sondern eben auf der Seite des Gesetzes befindet: Er spielt mit der Macht, erpresst und berei­chert sich.

15 Jahre später: Die beiden Söhne, der verwöhnte und skru­pel­lose Poli­ti­ker­spross und der verzwei­felt nach seiner Identität suchende Kiffer, treffen sich in der Schule. Beide tragen sie ihre Väter und deren Vergan­gen­heit mit sich herum, aber auch das Umfeld, den gesell­schaft­li­chen Kontext in dem sie aufge­wachsen sind und aus dem sie sich nicht gelöst haben. Sie kolli­dieren mitein­ander, wie schon ihre Väter und müssen lernen, sich zu sich selber und zu ihrer Vergan­gen­heit zu verhalten. Natürlich ist am Ende wieder ein Motorrad da und der Kreis schließt sich. Ein bisschen zu einfach viel­leicht, die Kette von Ursache und Wirkung.

Der Film beginnt kraftvoll und melan­cho­lisch, insbe­son­dere das Zusam­men­treffen der beiden Väter, der Zufall und die Macht von Entschei­dungen die in Sekunden fallen müssen, das ist schon eine ganz große Geschichte. Leider zieht sich zum Schluss der Abschnitt mit den beiden Söhnen in die Länge. Cian­france erzählt viel­leicht ein wenig zu episch. Man mag auch nicht recht an die Schick­sal­haf­tig­keit glauben, an die unüber­wind­bare Fest­le­gung eines Lebens­weges durch den Geburtsort und das Leben der Eltern. Ebenso fällt es schwer, die Entwick­lung des einen Sohnes nach­zu­voll­ziehen. Die sensiblen Beob­ach­tungen von Blue Valentine, die der Film zu Beginn hat, gehen nach einer Zeit in einem zu großen Anderen unter, das ist schade.

Was mit den Vätern einst begann…

Zwischen­mensch­liche Bindungen scheinen eine faszi­nie­rende Wirkung auf Derek Cian­france auszuüben. So richtete der früher vor allem im Doku­men­tar­film behei­ma­tete Regisseur in Blue Valentine (2010) einen scho­nungs­losen Blick auf das Entstehen und Ausein­an­der­bre­chen der Liebe eines jungen Paares. Auch sein aktuelles Werk The Place Beyond the Pines handelt von Bezie­hungen und fami­liären Abgründen, proji­ziert diese aller­dings auf ein episches Tableau. Die mythische Qualität des Films spiegelt sich bereits im geheim­nis­vollen Titel wider, wenn­gleich dieser eine ebenso handfeste Bedeutung bereit­hält: „Ort jenseits der Pinien“ ist die Über­set­zung des iroke­si­schen Wortes Schenec­tady – eine Stadt im Osten des Bundes­staates New York, die als Schau­platz der Ereig­nisse dient.

Im Mittel­punkt des wuchtigen Krimi­dramas stehen die großen Fragen nach Verant­wor­tung, Schuld und Sühne. Und damit verbunden ein Thema, das das ameri­ka­ni­sche Kino seit jeher beschäf­tigt hat: das Verhältnis von Vätern und Söhnen. So klassisch der Stoff auch sein mag, Cian­france gießt ihn zusammen mit seinen Co-Autoren Ben Coccio und Darius Marder in eine unkon­ven­tio­nell erzählte Geschichte.

Aufge­glie­dert ist der Film in drei vonein­ander abge­grenzte Einheiten, die durch einen schick­sal­haften roten Faden verwoben sind: Luke ist ein Motorrad-Stunt­fahrer, der von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zieht, ein Unter­hal­tungs­künstler, ständig auf der Durch­reise. Als er wieder einmal in Schenec­tady weilt, trifft er auf seine frühere Eroberung Romina und muss erfahren, dass er Vater eines kleinen Jungen ist. Obwohl Romina nun mit einem anderen Mann zusammen lebt, beschließt Luke, dem unsteten Dasein abzu­schwören und für seine „Familie“ zu sorgen. Kurz darauf lernt er einen windigen Werk­statt­be­sitzer kennen und lässt sich von ihm zu Bankenüber­fällen überreden. Mit dem erbeu­teten Geld will Luke seinem Sohn ein anstän­diges Leben ermög­li­chen. Im Zuge der krimi­nellen Akti­vitäten kommt es schließ­lich zu einer drama­ti­schen Begegnung mit dem Strei­fen­po­li­zisten Avery, die Jahre später auch die Söhne der beiden unter­schied­li­chen Männer gegen­ein­ander aufbringen wird.

Schon der Einstieg in den Film zieht den Betrachter sogartig in das Geschehen hinein. In einer Plan­se­quenz durch­schreitet Luke, die Kamera nah an seinen Rücken geheftet, den lärmenden und bunten Jahrmarkt. Der Mann hat ein Ziel vor Augen und ist hoch­kon­z­en­triert, ganz fokus­siert auf seinen baldigen Auftritt. Die späteren Szenen, in denen Luke nach den Banküber­fällen zur hals­bre­che­ri­schen Flucht auf dem Motorrad ansetzt, entfalten eine ähnlich gelagerte filmische Wucht. Durch die von Sean Bobbitt geschickt einge­setzte Hand­ka­mera und eine intensive Tonge­stal­tung entsteht ein atem­be­rau­bendes Gefühl von Dynamik.

Zusam­men­ge­halten wird die Geschichte aller­dings erst durch das beein­dru­ckende Spiel Ryan Goslings, der die Rolle des charis­ma­ti­schen, aber ebenso uner­gründ­li­chen, harten Mannes aus Drive weiter­zu­spinnen scheint. Wortkarg und ohne große Regungen gelingt es ihm, die Verlet­z­lich­keit des jungen Stunt­fah­rers offen zu legen. Die aufrich­tige Liebe zu seinem Baby lässt ein bislang unge­ahntes Verant­wor­tungs­be­wusst­sein entstehen, dem Luke letztlich jedoch nicht gerecht werden kann. Sein früheres, von Rast­lo­sig­keit und Krimi­na­lität bestimmtes Leben, das sich in Form mannig­fal­tiger Tattoos in seinen Körper einge­brannt hat, nimmt ihn noch immer gefangen. Den Kreislauf falscher Entschei­dungen kann er, egal, wie gut seine Absichten auch sind, nicht durch­bre­chen.

Nach dem eindring­lich insz­e­nierten Anfangs­ka­pitel wechselt Cian­france abrupt den erzäh­le­ri­schen Fokus und rückt den ehrgei­zigen Strei­fen­po­li­zisten Avery ins Zentrum des filmi­schen Blicks. Der von Selbst­zwei­feln getrie­bene Beamte hat, anders als Luke, eine intakte Familie, findet in ihr aber nicht den Halt, nach dem er sich sehnt. Mehr und mehr versucht er, seine innere Zerris­sen­heit durch beruf­liche Profi­lie­rung zu zerstreuen, und gerät dabei zwischen die Fronten korrupter Kollegen.

Dem Fami­li­en­drama mit Krimi-Einschlägen werden hier Versat­zs­tücke des Polizei-Thrillers beige­mischt. Neben die psycho­lo­gi­sche Ausleuch­tung Averys, der von Bradley Cooper erfreu­lich diffe­ren­ziert verkör­pert wird, treten gezielt gesetzte Span­nungs­mo­mente. In diesen Szenen sticht vor allem Ray Liotta als abgrün­diger und ebenso bedroh­li­cher Gegen­spieler hervor. Die Rolle des zwie­lich­tigen Cops ist dem oft unter­schät­zten Darsteller auf den Leib geschrieben und wirkt zudem wie ein Meta-Kommentar auf seine bisherige Lein­wand­kar­riere. Ob als skru­pel­loser Mafia-Aufsteiger in Martin Scorseses Gangs­ter­drama Good­fellas (1990), als stal­kender Polizist in Jonathan Kaplans Fatale Begierde (1992) oder als undurch­schau­barer Mörder in James Mangolds Thriller Identität (2003), Liottas Film­auf­tritte laufen immer wieder im Bild des unbe­re­chen­baren, nicht selten am Rande des Wahnsinns agie­renden Geset­zes­bre­chers zusammen.

Der finale Akt, nach Regisseur Cian­france das Herz des Films, in dem Lukes und Averys Söhne aufein­ander treffen, präsen­tiert sich dann aller­dings etwas schwach auf der Brust. Die Schick­sal­haf­tig­keit, die der Begegnung der beiden Jugend­li­chen zu Grunde liegt, wirkt manches Mal arg konstru­iert. Im Gegensatz zur diffe­ren­zierten Erzähl­weise der voran­ge­gan­genen Kapitel brechen Schuld und Sühne nun eher will­kür­lich über die Figuren herein. Hand­lungen und Wendungen geraten deutlich ober­fläch­li­cher und offen­baren vor allem eins: Der große Bogen, den Cian­france mit seinem Epos schlagen will, hätte gleich mehrere Filme füllen können.

Ein Makel, der den Gesamt­ein­druck gleich­wohl nicht zu trüben vermag. The Place Beyond the Pines bietet kraft­volles und erfreu­lich unan­ge­passtes US-Kino, das gerade heute, in Zeiten über­mäßiger Franchise- und Block­buster-Fixierung, zu selten auf der großen Leinwand zu sehen ist.