Das perfekte Geschenk

Les cadeaux

Frankreich 2024 · 84 min. · FSK: ab 0
Regie: Raphaële Moussafir, Christophe Offenstein
Drehbuch:
Kamera: Christophe Offenstein
Darsteller: Mélanie Doutey, Chantal Lauby, Gérard Darmon, Camille Lellouche, Vanessa Guide u.a.
Das perfekte Geschenk
Ende gut, nichts gut...
(Foto: Neue Visionen)

Wenn das Chaos die Familie rettet

Raphaële Moussafir und Christophe Offenstein inszenieren eine wunderbar unkonventionelle französische Familienkomödie, in der falsche Präsente, jüdischer Witz und dysfunktionale Beziehungen zu einem menschlichen Fest der Unvollkommenheit amalgamieren

Es gibt Filme, die mit ihrem Titel lügen, und andere, die genau das Gegenteil tun. Das perfekte Geschenk gehört zur zweiten Sorte – eine fran­zö­si­sche Komödie, die, während sie von falschen Geschenken erzählt, selbst eines ist: uner­wartet, unor­dent­lich, ehrlich, politisch alles andere als korrekt und von einer Leich­tig­keit, die aus genauer Beob­ach­tung und großer Zärt­lich­keit entsteht.

Raphaële Moussafir, bekannt vor allem als Schrift­stel­lerin und Dreh­buch­au­torin (etwa vor kurzem mit Agnès Feuvre und Carine Tardieu das Drehbuch für Was uns verbindet), führt in Das perfekte Geschenk gemeinsam mit Chris­tophe Offen­stein Regie und bringt in diesem Film all das zusammen, was ihr Werk auszeichnet: die unbe­stech­liche Ironie eines weib­li­chen Blicks, das Wissen um die Neurosen der Familie und den Schmerz der Liebe, der im Lachen leichter wird. Nach Du vent dans mes mollets und Et pendant ce temps-là les araignées tricotent… – beides lite­ra­ri­sche, poetische Minia­turen über das Erwach­sen­werden – wendet sich Moussafir nun den Kata­stro­phen des Alltäg­li­chen zu, die, wenn man sie nur scharf genug betrachtet, die ganze Welt enthalten.

Charlotte, gespielt mit einer wunderbar brüchigen Mischung aus Stolz und Verletz­lich­keit von Camille Lellouche, ist die Anti­heldin dieses Chaos. Eine Frau, die keine Geschenke mehr sehen kann, weil sie in jedem ein Urteil erkennt: über ihre Einsam­keit, ihre Entschei­dungen, ihr Alter, ihren Körper. Die Bett­wä­sche, die Vibra­toren, der Stripper – sie alle sind der Zerr­spiegel, in denen sich nicht nur Char­lottes Liebes­leben, sondern auch der gesell­schaft­liche Druck auf die Frau zwischen dreißig und vierzig abbildet: Begeh­rens­wert, aber bitte nicht bedürftig. Unab­hängig, aber nicht allein.

Und so geschieht das Unerhörte: Der Stripper Dan, Tom Leeb in einer über­zeu­gend gebro­chenen Schön­lings­rolle, wird kurzer­hand zum Part­ner­er­satz und Begleiter auf die nächste Fami­li­en­feier mitge­schleppt – als Insze­nie­rung des Glücks, als Schutz­schild gegen Mitleid. Doch was folgt, ist kein mora­li­sches Fami­li­en­drama, sondern ein furioser Reigen aus Miss­ver­s­tänd­nissen, Eitel­keiten und kleinen Wahr­heiten. Moussafir liebt ihre Figuren, selbst wenn sie sich lächer­lich machen. Und sie weiß, dass jede Lächer­lich­keit eine andere Form von Sehnsucht ist.

Chantal Lauby als exzen­tri­sche Mutter der jüdischen Familie Stein ist der fragile Anker in der Fami­li­en­kon­stel­la­tion. Ihre Figur, halb Über­mutter, halb selbst­er­mäch­tigte Femi­nistin der zweiten Gene­ra­tion erzeugt die groteske Alltags­nor­ma­lität, die zusammen mit Char­lottes Alltag die boule­var­desken Momente der grellen Komödie auffängt. Etwa die groß­ar­tige Szene, in der der scheinbar gefes­tigte Bruder von Charlotte mit seiner auf Tiktok abge­fei­erten Sängerin-Freundin Océane (Vanessa Guide) die Bühne der Lächer­lich­keit betritt, die vor der Groß­mutter mit KZ-Hinter­grund ein vollendet geschmack­loses Lied über eine KZ-Über­le­bende anstimmt – ein Moment, der im deutschen Kino so nicht möglich wäre. Hier wird der jüdische Humor in seiner ganzen Ambi­va­lenz spürbar: Tragik und Komik als untrenn­bare Zwillinge, das Lachen als Form des Über­le­bens.

Die Dialoge – pointiert, schnell, oft messer­scharf – erinnern an Mous­sa­firs lite­ra­ri­sche Wurzeln und den filmi­schen Humor des alten Frank­reichs. Man spürt die Schule von Goscinny, den Wortwitz aus Petit Nicolas, die Absur­dität von Queneaus Zazie dans le métro und der filmi­schen Adaption von Louis Malle. Doch wo jene in surrealer Über­stei­ge­rung mündeten, bleibt Moussafir beim Intimen, beim Körper­li­chen, beim realen Desaster. Das perfekte Geschenk ist keine Idea­li­sie­rung der Familie, sondern eine Feier ihrer Dysfunk­tio­na­lität. Es gibt Ehestreits, die klingen wie Kammer­musik – präzise getaktet, rhyth­misch, brutal ehrlich.

Besonders in den Szenen zwischen Char­lottes Geschwis­tern erreicht der Film eine seltene Balance: Die Trennung von Schwester Julie (herrlich nervös: Mélanie Doutey) wird durch ein falsch verstan­denes Mitbringsel ausgelöst – und der Film nutzt diese kleine Kata­strophe, um über die Fragi­lität jeder Beziehung zu sprechen. Bruder Jérôme und sein Popstern­chen Océane mit ihrer ahnungs­losen Naivität liefern dazu das perfekte Gegen­ge­wicht zur ironi­schen Selbst­be­wusst­heit der Familie. Denn Océane stolpert von einem Fett­näpf­chen ins nächste – und genau darin liegt ein Teil der Wahrheit: Die, die nichts versteht, spürt am meisten.

Formal ist der Film klas­si­sche Screwball Comedy, elegant und unauf­fällig insze­niert. Offen­steins Kamera liebt Gesichter und Gesten, hält inne, wenn die Worte zu scharf werden, und lacht mit, wenn die Körper sich im Chaos verhed­dern.

Am Ende, wenn die Familie zwischen leeren Wein­glä­sern und zerknülltem Geschenk­pa­pier sitzt, hat niemand das perfekte Geschenk gefunden. Aber sie haben einander gesehen – und das ist, was Moussafir mit lako­ni­schem Witz auch behauptet: Das perfekte Geschenk ist die Unvoll­kom­men­heit selbst.

Ein Film, der nicht vom Versöhnen erzählt, sondern vom Aushalten. Der Liebe nicht verklärt, sondern als ständige Verhand­lung zeigt. Und der mit jedem Gag, von denen es natürlich auch uner­heb­liche und banale gibt, daran erinnert, dass Komödie die ernsteste Form des Erzählens ist, wenn sie von Schmerz und Hoffnung zugleich handelt.

Das perfekte Geschenk ist, wie der Titel verspricht, ein Geschenk – eines, das sich nicht sofort öffnen lässt, das kratzt und duftet und nach­klingt. Es ist auch, das habe ich fast vergessen zu erwähnen, ein Weih­nachts­film, aber einer, den man auf alle Fälle auch im Herbst, Sommer und Frühling sehen kann.