Paradies: Liebe

Österreich/D/F 2012 · 121 min. · FSK: ab 16
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: ,
Kamera: Ed Lachman, Wolfgang Thaler
Darsteller: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat u.a.
Das Kleid spannt ein wenig, die »Neger« auch: Willkommen im Seidl-Universum

Theresa oder: Die Interessen einer blonden Weißen können nicht die Interessen der Afrikaner sein.

Bei gleißendem Sonnen­schein sieht man drei Männer auf exakt gleicher Höhe im gleichen Tempo vorwärt­schreiten. Bis zum Bauch­nabel stehen sie im Wasser, denn sie putzen einen Swim­ming­pool in einem Touris­ten­res­sort in Kenia. Die drei sind Kenianer – und ihre schwarze Haut macht sich im Sonnen­licht vor Swim­ming­pool­blau besonders hübsch. Ein erster Riefen­stahl-Moment, und nicht der letzte in diesem Film. Man täte seinem Regisseur unrecht, wenn man glaubte, dass es ihm in seinem Film Paradies: Liebe nicht auch um Schönheit und um derartige Effekte ginge...

Exploi­ta­tion. Auf Englisch Ausbeu­tung. Im Kino­zu­sam­men­hang nennt man Exploi­ta­tion jenen Typ Film, der seinen Gegen­stand ausstellt, ausschlachtet, der sich der perversen Angstlust am Häss­li­chen und Grotesken, am Abstoßenden und Ekeligen – eine Angstlust, die jeder Betrachter kennt –, bedient, und der sich den Voyeu­rismus, den Blick durchs Schlüs­sel­loch, hinein ins Hinter­zimmer der Intimität, ins Uner­laubte, ja Verbotene, der seit seinen Anfängen ein essen­zi­eller Teil des Kinos ist, einkal­ku­liert und aktiv zunutze macht.
Einst war der Ort solcher Filme der kleine, schmud­de­lige B-Movie, oder jene »Mitter­nachts­filme«, in denen seit jeher das Explizite, auch Porno und Splatter, zu sehen sind – unbedingt legitime Bestand­teile des Kino­ge­nusses, aber doch nur in seltenen Fällen das, was man als Kunst bezeichnen würde.

Längst aber ist inzwi­schen, in Zeiten, in denen es keine B-Movies mehr gibt und mitter­nachts die Kinos längst geschlossen haben, der Kunstfilm zum wahren Exploi­ta­tion-Kino geworden. Zuletzt stellten das die renom­mierten »Cahiers du Cinéma« fest, die Bibel des fran­zö­si­schen Kinos. In ihrer Dezem­ber­aus­gabe fand sich eine Liste der »zehn Todsünden« des Auto­ren­films, und an sechster Stelle steht die »Provo­ka­tion um der Provo­ka­tion willen«. Das Beispiel der Franzosen: Ulrich Seidl.

Ulrich Seidl ist der Houel­l­e­becq des Kinos. Seit jeher gilt der Öster­rei­cher mit harten, bösen, unan­ge­nehmen, oft Ekel­g­renzen über­schrei­tenden, abstoßenden, jeden­falls maximal neuro­ti­schen Filmen wie Tierische Liebe (1995), Hundstage (2001), oder Import Export (2006) als der Schock-Regisseur schlechthin der Auto­ren­film-Szene und auch unter seinen schon ansonsten nicht zimper­li­chen Lands­leuten.
Wir wollen unseren Seidl natürlich nicht missen. Ich gucke mir jeden Seidl an, aber inzwi­schen hat das auch etwas Maso­chis­ti­sches. Man weiß: Man wird jetzt etwas sehen, was man nicht sehen will. Seidl ist der Kulmi­na­ti­ons­punkt eines gewissen Kinos, das zwar unbedingt sehens­wert ist, dass fast alle aber auch ein bisschen fürchten: Elends­filme, deren Regis­seure insgeheim Mensch­heits­feinde sind, Zyniker, die auch ihr Publikum leiden sehen möchten, aber von ihm selbst dafür geliebt werden wollen. Sie stehen absolut unter Misan­thropie-Verdacht.

In seinem neuen Projekt unter­sucht Seidl den univer­salen Dreiklang des Chris­ten­tums: Glaube, Liebe, Hoffnung. Drei Filme, geordnet wie ein Tripty­chon der Religion, bezie­hungs­weise reli­giöser Motive. Nur dass dies alles, wenn man halbwegs bei Sinnen ist, nicht anders, denn als Ironi­sie­rung reli­giöser Motivik verstanden werden kann. Paradies: Glaube, der im September bei der Biennale von Venedig einen Preis gewann, erzählt von einer fana­ti­schen katho­li­schen Funda­men­ta­listin, Paradies: Hoffnung, mit dem das Tripty­chon in wenigen Wochen, im Wett­be­werb der Berliner Film­fest­spiele, seinen Abschluss finden wird, von einem Teenager-Mädchen in einem Diätcamp.

In Paradies: Liebe, dem ersten der Reihe, der jetzt ins Kino kommt, erzählt Seidl sehr nahe an einem Doku­men­tar­film von einer Gruppe älterer Frauen, die Urlaub in Kenia machen – als Sextou­ris­tinnen.

Dies ist nicht der erste Film zum Thema aber der prole­ta­rischste: Die Afrikaner heißen hier »Neger«, und wenn sie auch noch singen wüssten, könnte dieser Film immer wieder eine Revue von Leni Riefen­stahl sein. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn drei Afrikaner in einem Schwimmbad – schön Schwarz auf Blau – bei gleißendem Sonnen­schein auf exakt gleicher Höhe im gleichen Tempo nach vorn schreiten. Wenn sie am Ende rhyth­misch das Rad schlagen. Wenn sie dazwi­schen schwei­gend und bewe­gungslos auf einer Linie stehen und in die gleiche Richtung gucken. Es gibt immer wieder solche Ballett­mo­mente, wo die schönen Männer­körper sehr hübsch ausge­stellt, pardon, ins Bild gesetzt werden.
Und wenn später auch noch die schönen nackten Männer­körper und ihre langen Schwänze ausgiebig gezeigt werden, denkt man spätes­tens an Riefen­stahl und die Nuba. Wohl­ge­merkt: Damit soll Seidl kein poli­ti­scher Faschismus-Vorwurf gemacht werden, das wäre auch Unsinn. Aber man muss fest­stellen, dass es ästhe­ti­sche Anklänge und Nähen gibt, und dass Seidl an manchen Abgründen nur ganz haar­scharf vorbei schrammt.

Der arme Ed Lahman habe ich bei mir gedacht, weil zumindest dieser eine von Seidls zwei Kame­ramän­nern doch mehr anar­chis­tisch veranlagt ist, und wo haben wir hier noch irgend­einen Anar­chismus? Paradies: Liebe ist zual­ler­erst einmal über­ra­schend lang­weilig. So ging’s mir noch nie mit Seidl. Der Film zieht sich ungemein.
Es geht zwar los mit einer tollen Szene und dem ersten echten Seidl-Bild: Eine Gruppe von Mongo­lo­iden fährt Auto­scooter. Dann sieht man deren Betreuerin, sie schleppt Tüten. Verab­schiedet sich von Tochter und Schwester – das werden dann die Haupt­fi­guren der nächsten Filme. Dann Afrika.

In überaus wohl­ge­stylten Halbtotal-Einstel­lungen, typischen Seidl-Bildern, sieht man nun vor allem Haupt­figur Theresa. Sie reinigt ihr Zimmer mit Desin­fi­zier­spray, liegt gut geölt in der gleißenden Sonne und lernt andere allein­rei­sende Frauen ähnlichen Alters kennen, mit denen sie Gespräche über den eigenen, zunehmend unat­trak­tiven Körper führt. »Ich scheiß mi nix mehr. Jetzt nehms' mi so, wie i bin.«
Der Zynismus den diese Frauen sich selbst, ihrem eigenen Körper gegenüber haben, gefällt in seiner Direkt­heit. Da mag Seidl später noch zehnmal sagen, dass er diese Leute alle wahn­sinnig liebt und schön findet, aber er muss doch konsta­tieren, dass sie es selber nicht tun. Inter­es­sant wäre es, den Film vor lauter Frauen zu zeigen, die genau so drauf sind. Deren Reaktion sähe man gern.
Sie reden über den Reiz des Fremden. Was die Afrikaner für die Frauen attraktiv macht, ist dass sich die Frauen wieder begeh­rens­wert fühlen dürfen. über die Einge­bo­renen, die hier ihre Gesell­schaft und ihren Körper mehr oder weniger feil­bieten für die Frauen aus dem Norden, die älter sind und reicher. Theresa wird bald zur richtigen »Suger Mama« werden, die sich ihre »Beach Boys« kauft. Am mäch­tigsten ist am Ende eben die Ökonomie. Die Frauen hier sind Klein­bürger, Unter­schicht. Zu Hause. In Afrika werden sie plötzlich zur Ober­schicht, weil es hier plötzlich Menschen gibt, die sozial noch weit unter ihnen stehen. Die Opfer werden zu Ausbeu­tern. Seidl sagt und zeigt uns, wie schlecht die Menschen sind, welche Abgründe in uns schlum­mern.

Für Seidls Verhält­nisse ist alles recht strai­ght­for­ward erzählt. Main­stream fast. Es geht um Einsam­keit, ja klar. Sagt Seidl auch auf jeder Pres­se­kon­fe­renz selbst. Aber, bitte­schön, um was denn auch sonst? In Seidls Filmen (und in gefühlt 70% der übrigen Auto­ren­filme) geht’s immer um Einsam­keit. Das ist banal, und es ist enttäu­schend banal, was der Regisseur zum Thema zu sagen hat. Nämlich, dass die Frauen auch als Sextou­ris­tinnen immer einsamer werden. Dass sich Afrika entzieht, wie die Affen auf dem Balkon – die Erfahrung wird Theresa machen.

Die Weißen sind ordinär, die Leut' reden, wie sie eben reden. Die Öster­rei­che­rinnen sagen Worte wie »Blun­zen­gröstl«, die Afrikaner rade­bre­chen wie in »Onkel Toms Hütte«: »Keine mehr Liebe«.

Der, der das macht, redet so nicht. Er ist ein Großbürger und Intel­lek­tu­eller, der Filme für seines­glei­chen macht. Was er natürlich darf und andere auch tun. Aber seine Figuren dürfen längst nicht alles. Die Figuren dieses maximalen Regie-Kontroll­freaks tun niemals etwas Uner­war­tetes.

In seinem Blick auf die Menschen nimmt Seidl in Inter­views gern für sich in Anspruch, seine Figuren zu lieben und empa­thisch zu sein. Aber ist er das wirklich? Zumindest sind er und seine Haltung sehr distan­ziert. Gewiß: Es geht um die Afri­ka­er­fah­rung, zu der gehört, dass sich Afrika immer wieder entzieht, fremd bleibt. Es geht, manchmal sehr unter­gründig, auch um die Einsam­keit der Frauen und darum, dass sie auch als Sextou­ris­tinnen immer einsamer werden. Sein Mitleid mit Sextou­ris­tinnen, deren Einsam­keit und Sehn­süchte er ernst nimmt, glaubt man Seidl.

Doch ist es ange­messen, wie Seidl die Afrikaner zeigt? Oder viel­leicht doch ein bisschen rassis­tisch? Sie sind im Film nur aufs Geld der Weißen aus, sind gerissen, dabei doch naiv, und alle prosti­tu­ieren sich. Seidls Afrika-Bild ist ohne Über­ra­schungen und ohne jede erkenn­bare Neugier. Ohne jeden Anar­chismus. Darum passt hier die Rede von der Exploi­ta­tion. Seine Bilder bedienen Voyeu­rismus, nicht zuletzt den der Gebil­deten im Publikum, die sich über die häss­li­chen Prolls erheben können, zeigen aber nichts, was man nicht bereits kennen würde, bewegen sich vielmehr oft stark an der Ober­fläche. Es fehlt jedes Moment des Suchens in einem glatten, mitunter besser­wis­se­ri­schen, aller­dings sehr gut gemachten Film.