F/E/D/P 2022 · 165 min. · FSK: ab 6 Regie: Albert Serra Drehbuch: Albert Serra Kamera: Artur Tort Darsteller: Benoît Magimel, Sergi López, Pahoa Mahagafanau, Lluís Serrat, Montse Triola u.a. |
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Fast ein Sequel von Querelle | ||
(Foto: Filmgalerie 451) |
Schwül und schummrig ist es in der Bar »Paradise Night«. Die Bedienungen tragen äußerst knappe, auf der braunen Haut schimmernde Badebekleidung, die bunten Cocktails werden mit Blümchen und Schirmchen serviert. Die Musik, die aus den Boxen drängt, verströmt Südsee und Aloha, wabert langsam durch die Bar, schaukelt die schönen Menschen in schläfriger Sicherheit wie auf einer Barke.
Dieses nächtliche Paradies ist eine feste Institution auf der Südseeinsel, auf der die Südseefantasie Pacifiction des Katalanen Albert Serra spielt. Morton betreibt die wichtigste Bar auf der Insel, er hält sich unauffällig im Hintergrund, kontrolliert alles, Sergi Lopez kann als Patron seine ganze Unaufdringlichkeit ausspielen. In seinen Club zu kommen, ist keine leichte Sache. Einer seiner Stammgäste ist Präfekt De Roller, wunderbar halbseiden verkörpert von Benoît Magimel, er ist der wichtigste Mann auf Tahiti, wie er selbst findet. In seinem weißen Anzug würde er am liebsten nur überprüfen, ob alle einen Drink in der Hand halten, und der Nacht nur dann ein Ende setzen, wenn sich eine schöne Frau gefunden hat.
Er muss sich dann aber, verkatert und mit dunklen Brillengläsern, am nächsten Tag einer Delegation von Inselbewohnern als Repräsentant des französischen Staates vorstellen, der »alle und jeden« kennt, der den Ermöglicher spielt. »Wenn du was brauchst, melde dich bei mir, zögere nicht«, ist eine seiner Standardformeln. Der Korruption öffnet er Tür und Tor, nicht der Politik. Die Polynesier aber gehen nicht darauf ein, und langsam verschieben sich die Kräfteverhältnisse.
Überbracht haben sie ihm das beunruhigende Gerücht über Atomtests, ein U-Boot soll gesichtet worden sein, jetzt kündigen sie vehemente Proteste gegen die französische Verwaltung an, in denen sie nicht mehr klein beigeben wollen wie noch in den Neunzigerjahren, so lange testeten die Franzosen ihre Atomraketen auf dem Atoll. Eigentlich könnte und müsste das De Roller aufscheuchen, er aber versinkt immer mehr in der schläfrigen Lethargie der Insel. Serra inszeniert dies als schleichenden Selbstwiderspruch zwischen den Behauptungen und Reden der Figuren und dem, was man auf der Leinwand sieht: eine Gesellschaft, die in der Lethargie zerfällt, die vor Langeweile vergeht, die sich in Repräsentation, Selbstdarstellung, Posertum und leeren Phrasen verliert. Dabeisein ist alles, jeden zu kennen, ist wichtig, doch nur: Wofür? Und gibt es noch etwas, was noch nicht gesagt wurde?
Die pseudo-philosophischen Gespräche nachts in der Bar oder beim Flug übers Atoll wiederholen nur die immer gleichen Floskeln von der Schönheit der Inseln, dass man sich nie daran gewöhnen könne, dass man das Leben genießen solle. Es sind die Tiefgänge und Tiefpunkte einer im Paradies exilierten Pariser Bourgeoisie, die zwischen Sonnenuntergang und -aufgang neuen Lebenssinn sucht. Das ist auch Post-Kolonialismus zwischen Hahnenkämpfen und Blumenmädchen, eine Reinform von domestizierter Ethnologie, die nur noch fürs Amüsement der Kolonialherren und Touristen, meist Sex-Touristen, herhalten kann.
Zunehmend zersetzt sich die Situation, verliert der Präfekt die Kontrolle über die Situation, und über sich selbst. Mit dem Glas in der Hand ergeben sich zweideutige Blicke und Gespräche, mit Dialogpausen und dem Schwarz der Nacht. In Pacifiction versinkt die Insel unaufhaltsam in die Fiktion als wäre sie selbst der wellentosende Pazifik. Nichts hier ist Handlung, alles ist Zustand, gelähmter, untätiger. Die Dialoge mäandern, Gesagtes wird wiederholt, hinterfragt, stehen und offen gelassen in der Schwüle der Nacht, niemand fasst einen echten Gedanken. »Handeln bedeutet tätig zu sein«, schwört der Admiral die Leute in der Bar ein, während De Roller sich Notizen macht, um nicht die Orientierung zu verlieren, wie er sagt, aber im Reden schon wieder abschweift.
Dieses Nichtfassbare, die Atmosphäre eines sich schleichend zersetzenden Zustands macht die große Faszination von Pacifiction aus. Keiner könne mehr zusammenfassen, was De Roller in den letzten langen Gesprächen eigentlich sagt, offenbart Albert Serra im Gespräch auf dem Filmfestival von Rotterdam. Die Desorientierung, die Lücken, das unaufhörliche Abdriften in den Zustand der Illusion, das sind die Charakteristika und die große Bewegung des Films. Die Stagnation teilt sich mit in den erstarrten Figuren und in der Kamera, die Albert Serra bis auf wenige Einstellungen fix hält. Ihn interessiert die Bewegung durch den Schnitt, sagt er, und das, was vor der Kamera passiert, nicht, wenn die Kamera auf sich aufmerksam macht. Gedreht hat er auf Analogfilm, mit dem Digitalen könne er nichts anfangen, mit einer 16mm-Linse, später aufgeblasen auf 35mm. Dann kam das Colourgrading, bisweilen sehen die saftig-grünen Palmenblätter vor gelblichem Himmel aus wie eine überaus stereotype Südsee-Fototapete – oder wie Folgedrehs aus Fassbinders letztem Film Querelle (1982), während die sich im Kreis drehenden Gespräche an Warnung vor einer heiligen Nutte (1971) erinnern. Es ist schwierig und kann auch misstrauisch stimmen, wenn Albert Serra selbst von sich behauptet, ein direkter Nachfolger von Fassbinder zu sein. Hier aber, mit den Gesprächen an der Bar, mit der Society, der Schwulheit und Transsexualität, den schönen Frauen, den Sonnenuntergängen, der Schmierigkeit des Präfekten findet sich die Genealogie, und auch Genialität des Filmemachers, wieder.
Pacifiction, der in Cannes im Wettbewerb seine große Premiere hatte, ist nach dem Ein-Personen-Kammerspiel Der Tod von Ludwig XIV. (2016, mit Jean-Pierre Léaud) und der Stricher-Fantasie im Bois de Boulogne zur Zeit des Absolutismus, Liberté (2019), sicherlich Albert Serras bislang zugänglichster Film, gedreht mit Stars des französischen Kinos und polynesischen Laiendarstellern, denen Serra viel Kraft zugesteht: »Non professional actors are powerful!« In aller Beiläufigkeit und Nichtausgesprochenheit seziert Serra das Herrschaftsgebaren des für Frankreich immer noch unverrückbaren Postkolonialismus fernab jeder Diskurse: als zunehmendes Delirium einer in Trance gefallenen Nacht.