Deutschland 2025 · 86 min. Regie: Christian Petzold Drehbuch: Christian Petzold Kamera: Hans Fromm Schnitt: Bettina Böhler Darsteller: Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt, Enno Trebs u.a. |
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Leichtes Schmunzeln für dieses Bild: zwei wunderbare Schauspielerinnen auf dem Fahrrad | ||
(Foto: Filmfest München | Piffl) |
Eine junge Frau spielt Klavier für eine Familie. Auf dem Sofa sitzen Mutter und Vater, im Türrahmen steht ihr Sohn. Ein sehnsuchtsvoller Blick der Mutter aus dem Fenster sowie die mit Tränen gefüllten Augen der beiden Männer teilen eine nicht verarbeitete Trauer mit. Chopin untermalt die emotionale Stimmung, die sich auf den Gesichtern der Figuren abzeichnet. Inmitten von ihnen ist Laura (Paula Beer), die Klavier spielt. Ihr Blick ist eindringlich auf die Partitur gerichtet, begleitet von einem sanften Lächeln. Sonnenlicht fällt durch das Fenster hinein in den Raum, durchstrahlt diese traurige und zugleich versöhnliche Szene.
Das Klavierstück »Une barque sur l’océan« (»Ein Boot auf dem Ozean«) von Maurice Ravel verbirgt sich hinter dem Titel des neuen Films Miroirs No. 3 von Christian Petzold, mit dem er seine Elementetrilogie zusammen mit Undine (2020) und Roter Himmel (2023) nun vollendet. Die Luft ist das Element, das sich in diesen Film einschreibt, erzählt Christian Petzold im Interview mit »artechock«. Auch das Element, das in seinem ersten Teil die Handlung in Gang brachte, hat er sich über den Titel behalten: Die Barke steht für die Rettung vor den Untiefen des Meeres, sie bildet den metaphorischen Rahmen der erzählten Geschichte. Wie in vielen von Petzolds bisherigen Filmen agieren auch hier Figuren, die nicht untergehen wollen. Bisweilen auch ganz buchstäblich.
Die Klavierstudentin Laura wird als suizidal eingeführt. Zu Beginn des Films steht sie verwahrlost unter einer Brücke. Entfremdet von sich selbst und ihrer Umgebung verharrt sie an diesem Nicht-Ort des Übergangs. Als sie nach Hause kommt, zeichnet sich in der Leere ihres Blicks existentielle Verlorenheit ab. Doch dann geschieht etwas. Auf einer einsamen Landstraße in der Uckermark ein Autofall: ihr Freund ist tot, Laura überlebt. Die in einem Haus am Straßenrand lebende Betty (Barbara Auer) bemerkt den Unfall und nimmt Laura bei sich auf, nur ihre Vornamen nennen sie sich. Schnell wird die Konstellation zwischen den Frauen klar: Betty ist eine verlassene Mutterfigur, einmal nennt sie Laura beim Namen ihrer verstorbenen Tochter, Laura nimmt deren Platz ein. Schon bald kehren auch Mann Richard (Matthias Brandt) und Sohn Max (Enno Trebs) ins Haus zurück. Es ist wieder Leben im Haus, die Familie wieder vollständig. Sie gehen einen unausgesprochenen Vertrag ein, der für beide Seiten reparativ ist: die Familie kann durch Lauras Anwesenheit verlorene Zeit aufholen, sie selbst findet die Freude am Leben wieder.
Die Filme der Berliner Schule, denen Petzolds Werk angehört, zeichnen sich über die Klarheit der erzählten Orte aus. So auch hier: Ein Haus, ein Garten, ein Zaun, inmitten von sonnendurchstrahlten Feldern. Die Gestaltung der Wohnräume und der Fassade ist minimalistisch, und doch wird alles daran interessant. Jedes Detail erzählt die Gefühle der Figuren mit: Ganz symbolisch streichen Laura und Betty den schwarzen Zaun weiß, sie übertönen gemeinsam die dunkle Vergangenheit. Einmal sagt Betty, als Laura sie auf den tropfenden Wasserhahn, die kaputte Spülmaschine, die gebrochene Fahrradstange anspricht: »Hier ist vieles kaputt. Ich weiß.« Zum Glück sind »die Männer«, wie Betty Mann und Sohn nennt, zurück und beginnen mit den Reparaturen im Haus.
Szenen wie diese sind offensichtlich, und können offensichtlich metaphorisch gelesen werden. Das Schöne daran: alles teilt sich potenziell mit, nichts drängt sich auf. Bereits bekannte Motive aus Petzolds filmischer Handschrift kehren in Miroirs No. 3 wieder, setzen sich nun in einem neuen Erzählrahmen zusammen – und machen diesen zugleich überhaupt erst erzählbar. Die Symboliken ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Filme und eignen sich durch ihre jeweilige Einbettung immer wieder, um eine völlig andere Geschichte zu erzählen. Oftmals ist dabei ein Schmunzeln nicht zu vermeiden, wenn beispielsweise jetzt nicht nur mehr eine, sondern gleich zwei Frauen auf einem Fahrrad über die Feldlandschaft fahren.
Auch motivisch lässt sich der Film leicht lesen. Die familiäre Idylle bleibt in jedem Moment illusionär, geht aber in dem Spiel der geborgenen Tochteridentität vollkommen auf. Das funktioniert bis zu dem Moment, in dem die Fiktion, und der Glaube an sie, aufrechterhalten wird. Als Max Laura verbal damit konfrontiert, dass sie der Ersatz für seine verstorbene Schwester ist, rebelliert sie. Sie tritt aus dem familiären Raum aus, befreit sich, weil sie nicht eine andere Identität – die einer Verstorbenen – tragen will: Ihre Todessehnsucht hat sie überwunden, sie will nun zurück zu sich selbst finden.
Erinnert man sich an Petzolds Gespensterreihe, so stehen die Filme Gespenster (2005) und Yella (2007) in Relation zu Miroirs No. 3. Ausgehend von dem Autounfall in Yella träumt die Titelfigur ihr Leben nach dem Tod weiter. Laura hingegen überlebt den Autounfall, wird von ihm gewissermaßen erst wieder zurück ins Leben geholt. Auch die thematische Verknüpfung zu Gespenster ist auffällig: eine verlassene Mutter, die ihre Tochter sucht, diese dann aber zurücklässt. In Miroirs No. 3 ist von Anfang an klar, dass Laura eben nicht die Tochter ist. Mehr als mit einem ohnehin offenen Geheimnis zu spielen, interessiert Petzold, wie über die Rolle der Platzhalterfigur die Familie wieder vereint wird, und wie Laura durch den Ausbruch aus dieser Rolle zurück in ihr eigenes Leben findet.
Im Schlussbild von Miroirs No. 3 gelingt es Christian Petzold, den gesamten Film nochmals aufscheinen zu lassen. Damit wird das filmische Bild selbst zu einem Spiegel, der auf seinen Anfang zurückreflektiert. Diese poetische Erfahrung der Geschlossenheit der Erzählbewegung tritt in Beziehung zu dem titelgebenden Klavierzyklus »Miroirs« (Spiegelbilder). Der Moment, in dem Klavier im Haus von Betty gespielt wird, verdichtet auf sinnlicher Ebene, wie die Figuren wieder zu sich finden. Petzolds künstlerische Ader beweist sich einmal mehr: Er übersetzt Ravels Stück in genau den Moment, in dem die gebrochenen Figuren wieder zusammengesetzt werden.