USA/GB 2008 · 114 min. · FSK: ab 6 Regie: Richard Linklater Drehbuch: Holly Gent Palmo, Vince Palmo Kamera: Dick Pope Darsteller: Zac Efron, Christian McKay, Claire Danes, Ben Chaplin, Eddie Marsan u.a. |
||
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit |
Es muss schon ein großartiges Erlebnis gewesen sein, jene Premiere von »Julius Caesar« im November 1937 im New Yorker Mercury Theatre. Danach waren Shakespeare-Inzenierungen, war das US-Theater überhaupt nicht mehr, was es vorher gewesen ist. Auf der Bühne dominierten die Farben Rot und Schwarz, im Hintergrund strahlten Lichtkegel, die jeden halbwegs informierten Zeitgenossen sofort an Albert Speers Reichsparteitags-Inszenierungen denken ließen, die Römer hatten Uniformen, die
jenen der italienischen Faschisten zum Verwechseln ähnlich sahen, und der römische Führer selbst gestikulierte im Stil Mussolinis. Im Presseheft stand »Tod eines Diktators«.
Vor allem aber hatte Amerika einen neuen Star: Den erst 22-jährigen Orson Welles, der bis dahin als Schauspieler ein paar freundliche Kritiken erhalten, aber sonst nur dadurch auf sich aufmerksam gemacht hatte, dass er auf einer Off-Off-Bühne in Harlem den »Macbeth« nur von Schwarzen hatte spielen lassen. Nun
war er in aller Munde: Als Gründer des Mercury und als Regisseur einer ästhetisch revolutionären, politisch progressiven Inszenierung.
Es ist dieser historische Augenblick und seine Erfahrung, die im Zentrum von Richard Linklaters Ich und Orson Welles stehen. Der eigentliche Anfang der Welles-Legende. Ein Jahr später inszenierte Welles mit dem Mercury Theatre das nicht weniger bahnbrechende Radio-Hörspiel »Krieg der Welten«, drei Jahre danach folgte Citizen Kane.
Im Prinzip ist Linklaters Film einfach ein »Making Off« der Julius-Caesar-Inszenierung, eine Dokufiction, die Theatergeschichte – nebenbei war es auch noch die allererste Shakespeare-Aufführung am Broadway überhaupt – mit einem Welles-Biopic verbindet. Der Regisseur mischt Fiktion und Fakten so geschickt wie stilistisch elegant, verfällt dabei nie in billiges Theaterpathos und Feierei der »Spielfreude«; vor allem aber geht es ihm um das Kino. Nicht das von Welles,
sondern sein eigenes, ganz anders geartetes: Linklater ist kein Kopf- sondern ein Gefühlsregisseur, immer wieder sind seine Films – Slacker, Before Sunrise, Before Sunset – von einem bestimmten
Gefühl durchtränkt, und unter allem liegt eine tiefe Melancholie: Das Wissen um das Vergehen der Zeit; die Erfahrung, dass Erlebnisse erst retrospektiv in der Erinnerung und rückwärts gewandten Sehnsucht ihre wahre Intensität enthüllen, oder überhaupt erst gewinnen. Darum geht es, drittens, in Linklater-Filmen eigentlich immer um die Suche nach der verlorenen Zeit, um ihre Wiedergewinnung, Wiederauferstehung im bewegten Leinwand-Bild. Vielleicht ist das ja die ursprünglichste
Kinoerfahrung überhaupt.
So ist Ich und Orson Welles ein Werk der Nachempfindung höherer Ordnung geworden, also dominiert von Linklaters Liebe für die Post-Depressionsära der 30er-Jahre, in der Kunst und Kultur ein einziger progressiver Aufbruch waren, in der nahezu alles möglich schien. Und dabei ist dies zugleich ein extrem informierter und durch Fakten disziplinierter Film, in dem die Phantasie erst auf der Basis umfangreicher Recherche tätig werden
durfte.
Wie oft bei Linklater, dem jung gebliebenen Biograf amerikanischer Jugendkulturen, der einmal die Stimme der »Generation X« war, ist auch dies eine Coming-of-Age-Story, diesmal sogar eine doppelte. Die eine bildet wirklich nur den ganz äußeren, oberflächlichen Rahmen: Nachwuchsschauspieler Zac Efron spielt den Nachwuchsschauspieler Richard, der völlig unbedarft seinem Idol Welles in die Arme läuft, und aus einer Laune heraus von diesem für eine Nebenrolle verpflichtet wird. Im Lauf des Films, die von der entscheidenden Probenwoche vor der Premiere erzählt, wird er seine Unschuld in so ziemlich jedem Sinn verlieren, die schönsten und die häßlichen Seiten des Theaterlebens kennenlernen – um am Schluss nach der Premiere von diesem wieder in Leben ausgespuckt zu werden.
Die eigentliche Coming-of-Age Story ist jene von Orson Welles, das Portrait des Künstlers als junger Mann. Man erlebt ihn im Film mit brummiger Stimme, und rollenden Augen, ein Narziß und ein Getriebener; Linklaters Welles ist ein zuerst ein Mensch mit Schwächen, er ist verführerisch und unerträglich, charismatisch und eitel, selbstbesoffen und wagemutig – und dass das alles so blendend funktioniert, ist vor allem das Werk des britischen Schauspielers Christian McKay. Ohne je einfach nachzuahmen, ohne in Manierismen zu verfallen, außer in Welles' eigene, gelingt es ihm mit der realen Figur, ihrem Bild in unseren Köpfen, zu verschmelzen.Man sieht Orson Welles, nicht einen Schauspieler, der Welles spielt. So bekommt man heute wieder eine Ahnung davon, wie dieser Mann wohl auf seine Mitarbeiter und Zeitgenossen gewirkt haben muss: Eine schreckliche Bestie, aber unwiderstehlich. Und jedem vermittelte er das Gefühl, Augenzeuge und Teil von etwas ganz Großem, einer künstlerischen Revolution zu sein.
Auf der Bühne übernahm Welles in seiner Inszenierung den Part des Brutus – »er machte aus Brutus einen zeitgenössischen Liberalen« lobte das »Time Magazine« in seiner Premierenkritik –, eine bezeichnende, im Rückblick faszinierende Wahl. Denn auch Welles verrät und manipuliert in dieser Arbeit wie später in seinem Leben alle und jeden, nicht zuletzt sich selbst, um am Ende der Kunst treu zu bleiben. Wenn man Linklaters Film überhaupt etwas vorwerfen kann, dann dies: Dass er ganz naiv am bürgerlichen Mythos des Künstlers als Genie, der Verschlingung von Kunst und Leben strickt. Aber vielleicht ist ja an diesem Mythos etwas dran? Dass er dies vermutet, darf man Linklater zugute halten, und noch mehr, dass sein Film überhaupt solche Gedanken aufwirft. Vor allem aber, dass er uns daran erinnert, wie gut dieser egozentrische, narzisstische Sturkopf der Kunst getan hat, wie gut das Kino so einen heute brauchen könnte. Oder besser gleich drei.