Lux Æterna

Frankreich 2019 · 51 min. · FSK: ab 16
Regie: Gaspar Noé
Drehbuch:
Kamera: Benoît Debie
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Béatrice Dalle, Clara 3000, Mica Arganaraz, Yannick Bono u.a.
Ironische Zuspitzung oder Wendepunkt des eigenen Werkes?
(Foto: Alamode Film)

Sadistische Blicke

In Lux Æterna rechnet Skandalregisseur Gaspar Noé mit der Filmindustrie ab. Am Ende brennen die Hexen – und die Augen der Zuschauer

Es war eigent­lich nur eine Frage der Zeit, bis Gaspar Noé zu diesem Punkt gelangt. Immer wieder hat der Provo­ka­teur Extreme ausge­lotet – von der Radi­ka­li­sie­rung eines mittel­losen Arbeiters in Menschen­feind, der Schändung Monica Belluccis in Irrever­sibel über die Todes­er­fah­rung in Enter the Void bis zu der meis­ter­haften Tanzhölle von Climax. »Körper­kino« wurde das immer wieder genannt, Grenz­erfah­rung, ein Film­theater der Grau­sam­keit im Artaud'schen Sinne, das blinkt und flackert, dröhnt und pfeift, das physische Ausnah­me­zu­stände glei­cher­maßen vorführt wie beim Publikum hervor­ruft. Dass nun all das in den letzten Minuten von Lux Æterna zur reinsten Qual und erneut zu schwer genieß­barem audio­vi­su­ellem Terror eskaliert, kann man als konse­quente Fort­schrei­bung begreifen.

Von »selbst­par­odis­ti­scher Albern­heit« spottete etwa Peter Bradshaw vom »Guardian«, als Noés neuester Film 2019 in Cannes Premiere feierte. Ein Irrtum! Noé war selten konzen­trierter und diffe­ren­zierter in dem, was er auf der Leinwand versucht und befragt. Lux Æterna ist in seinen 50 Minuten durchaus selbst­re­fe­ren­tiell, aber auch voller Anarchie und Gestal­tungs­freude, gerade dann, wenn er um sich selbst kreist. Am Ende exorziert Noé sein Kino und alle müssen mit ihm leiden.
Aber der Reihe nach: Bis es dazu kommt, gibt es alte Bilder aus dem Mittel­alter zu sehen, wie die Stimme im Off ankündigt. Es sind in Wirk­lich­keit Ausschnitte aus Chris­ten­sens Häxan und Dreyers Dies Irae. Ein Männer­ge­sicht blickt aus vergan­gener Zeit zu uns aus dem Bild heraus in die Gegenwart. Chris­tensen versuchte sich 1922 an einer histo­ri­sie­renden Ratio­na­li­sie­rung der Hexen­ver­fol­gung. Bei Noé wieder­holt sie sich als conditio humana im gegen­wär­tigen Kunst­hand­werk, das an der Idee des bloßen Handwerks scheitert.

Stars bei der Arbeit

Schnitt. An einem Filmset im »König­reich Frank­reich 2019« sitzen Béatrice Dalle und Charlotte Gain­s­bourg, beides ehemalige Hexen-Darstel­le­rinnen, und plaudern über Inqui­si­tion und unbequeme Dreh­erfah­rungen. Die beiden fügen sich bestens in Noés Kleinod ein, weil sie all den Wahnsinn, all die Zusam­men­brüche und Schrei­es­ka­paden über­zeu­gender spielen können als es je einer der Newcomer und Laien vermochte, mit denen der Regisseur zuletzt gear­beitet hat. Und weil es zwei Ikonen wie Dalle und Gain­s­bourg braucht, damit sich Lux Æterna als Metaspiel zusam­men­setzen kann.

Noé borgt sie sich aus, borgt sich die Bilder eines radikalen Autoren­kinos aus, für die die beiden (auch) stehen. Ebenso wie all die Refe­renzen (Pasolinis La ricotta!) und Zitate bekannter Regis­seure, die er in diesem Essay montiert. Natürlich nur mit Vornamen zitiert, schließ­lich sind alle in Noés Welt so etwas wie eine schräge Familie, zusam­men­ge­rauft in der Geste der Rebellion. Jean Luc spricht von heutigen Filme­ma­chern als lebenden Toten, Carl Theodor von der obli­ga­to­ri­schen Hand­schrift des Regis­seurs und Rainer W wird am Set notfalls zum Diktator.

In beengten, schwarz gerahmten Bild­ka­cheln und Split­screens wird nun überall geschimpft und durch­ein­an­der­ge­brüllt, während Béatrice Dalle als Regis­seurin versucht, eine Hexen­ver­bren­nung für ihren Film zu insze­nieren. In dieser profit­ori­en­tierten Industrie voller Missgunst, Egos, Karrie­re­kämpfen und Kontroll­zwängen gibt es kein produk­tives Arbeiten mehr, will uns Noé hier leicht nost­al­gisch verbrämt aufti­schen. Nur dass er keine Mitleids­nummer daraus spinnt, sondern vorführt, wie gerade im Chaos das Wunder­same geschehen kann. Schließ­lich sind seine eigenen Werke das beste Beispiel für Schlupflöcher, Prag­ma­tismus und Impro­vi­sa­tion, allen äußeren Repres­sionen zum Trotz. Er insze­niert das als hyste­ri­sches, schwarz­hu­mo­riges Boule­vard­s­tück voller Stereo­type und Klischees und zugleich als Kahl­schlag, als Racheakt, der in seiner betonten Formen­sprach­lich­keit doch immer wieder zur Faszi­na­tion des eigenen über­for­dernden Mediums zurück­kehrt.

Moden­schau in der Hölle

Noés Expe­ri­men­tal­film könnte lange Zeit als Pamphlet durch­gehen, erwachsen aus der #metoo-Debatte. Als Abrech­nung mit toxischer Männ­lich­keit, Macht­miss­brauch, Ausbeu­tung der Darstel­le­rinnen. Die Kamera mit ihren gaffenden Blicken schraubt sich als mons­tröses Ungetüm ins Bild. Eine zweite nimmt unseren Voyeu­rismus gleich mit ins Visier. Die verstö­rendste Sequenz ist eine der ange­spannten Stille: Da irrt Béatrice, dem Nerven­zu­sam­men­bruch nahe, durch die laby­rin­thi­schen Studio­gänge. Zugleich wird sie von einem Kame­ra­mann heimlich verfolgt, der auf sie angesetzt wurde, um mögliches Fehl­ver­halten zu doku­men­tieren. Zwei vonein­ander getrennte und doch simultane Bilder. Ein hungriges Raubtier links, das sich dem nichts­ah­nenden Opfer rechts nähert. Noé war nie näher an Hitchcock! Zugleich wirft die Szene den Kame­ra­blick bildlich auf uns zurück. Er wird als Waffe auf uns gerichtet. Die Verviel­fäl­ti­gung solcher Beob­ach­tungs­po­si­tionen und das Rätsel­hafte ihrer Verortung ist es, was Lux Æterna so beklem­mend macht.

Im Kern geht es schließ­lich um den Kampf der Bilder und Blicke selbst. Wer darf auf welche Weise zusehen? Wie hat sich der Körper ausstellen und beob­achten zu lassen? Wie verhält es sich mit dem sozialen Opfer­ritus, der den Schei­ter­haufen mit dem Spiel ersetzt? Dass der Film ursprüng­lich als Werbeclip für die Modemarke Yves Saint Laurent begann und in wenigen Tagen (viel­leicht ebenso chaotisch?) impro­vi­siert wurde, ist der skurrile Gipfel. Noé erledigt seinen Job, lässt die einzelnen Kleider brav zur Schau tragen – ausge­rechnet im Moment einer würde­losen Eska­la­tion, bezeugt von einem hetzenden Pöbel.

Gott mischt mit

Irgend­wann – die Schei­ter­haufen brennen, die Hexe Charlotte ist in ihren Desi­gner­kla­motten gefesselt – schlägt der Blitz ein. Gott persön­lich, über den schon zuvor sinniert wurde, scheint in letzter Sekunde einzu­greifen und lässt die Technik verrückt­spielen. Im Finale dreht Noé seinen eigenen Flicker-Film in Rot, Blau und Grün, bis sich die Hexe am Pfahl nur noch kolla­bie­rend in Qualen windet und wir uns mit ihr ob der flackernden Lichter und psyche­de­li­schen Geräusche. Während alles Humane ringsum verschwindet, sind da nur noch die Kamera, ihr Opfer und das titel­ge­bende ewige Licht der Kino­pro­jek­tion, in das uns Noé mitten hinein­bli­cken lässt.

Im Moment der Folter und des Kontroll­ver­lustes, der Auslie­fe­rung entsteht plötzlich Kunst. Im Moment, da wir diese Gewalt akzep­tieren, lässt uns Noé zur Strafe erblinden. Das ist auch ein Einge­ständnis all der vermeint­lich unmo­ra­li­schen Szenen, für die Noé immer wieder kriti­siert wurde. Und eines, das er im selben Moment als provo­kante Frage formu­liert. Weil Lux Æterna in seiner Montage am Fundament einer Film­ge­schichte rüttelt, deren Glanz­stunden viel­leicht allzu oft genau solche Grau­sam­keiten einkal­ku­liert haben.

Die letzten Szenen sind glei­cher­maßen Warnung vor der Bruta­lität des Mediums wie eine Feier seiner tech­ni­schen Reize. In Noés Filmen ging es letztlich immer um die Über­win­dung der Leinwand, die Auflösung dieser verflixten raum­zeit­li­chen Distanz zwischen Gezeigtem und Publikum. Noé hat das auf verschie­denste Weise versucht: mit wirbelnder Kamera, bestia­li­scher Gewalt, mit 3D. Aber ist jenes Unmit­tel­bare denn jemals vollends gelungen? Eigent­lich nicht, weil wir etwa in Enter the Void den Tod doch nur sehen und hören statt fühlen können, oder weil wir in Love doch nicht die nackten 3D-Leiber berühren können. Und dennoch muss diese ulti­ma­tive Gren­zü­ber­schrei­tung und Tran­szen­denz doch irgendwie möglich sein, wenn uns das Kino offenbar, wie in den letzten Minuten von Lux Æterna, eine solche senso­ri­sche Gewalt antun kann, allein mit seinem geringsten Mittel: dem Licht. Das ist die Idee, zu der Noé zurück­kehrt.

Das Kino und seine Wunder

»Ich bin Atheist. Gott sei Dank«, steht zum Schluss wider­sprüch­lich im weiter blin­kenden Abspann. Tatsäch­lich zeigt sich Noé erneut maximal verun­si­chert von dem, was da viel­leicht doch Numinoses auf uns wartet. Jenseits, Wieder­ge­burt, (Un-)Sterb­lich­keit und vor allem der abstrakte Schick­sals­be­griff sind in Noés Filmo­gra­phie von Anfang an als religiöse Systeme instal­liert, auch wenn ihre Annähe­rung nicht immer nur über einen Gott funk­tio­niert. Seine Werke passen bestens in ein post­sä­ku­lares Zeitalter. Die künst­le­ri­sche Über­wäl­ti­gung selbst ist bei ihm heilig oder auch scha­ma­nis­tisch aufge­laden mit allen Ambi­va­lenzen und Abgründen. Lux Æterna zeugt davon stärker denn je.

In einem Prolog namens »The Art of Filmma­king«, den Noé extra für das L’Étrange Festival ange­fer­tigt hat, überzieht er die Jesus-Kreu­zi­gung aus Cecil B. DeMilles König der Könige ebenfalls mit reizü­ber­flu­tendem Stro­bo­skop­ge­witter und macht sie als Reflexion über das Kino somit (viel­leicht erstmals) physisch erfahrbar. Christus verschwindet im Licht – eine etwas alberne, aber konse­quente Paral­le­li­sie­rung zum Martyrium und Kunst-Opfer, das Charlotte Gain­s­bourg in Lux Æterna erbringt. Das erlösende wie erschre­ckende Gefühl einer Unsterb­lich­keit findet hier ein zentrales Bild. Nämlich in der ikono­gra­phi­schen Fixierung der gequälten Charlotte, auf ewig eine lebende Tote, ihr Körper von der Kamera in eine bloße Lich­ter­schei­nung und Hallu­zi­na­tion verwan­delt. Wahr­schein­lich lag darin schon immer der zentrale Reiz von Noés Kino: in der betonten Wieder­ent­de­ckung der Unheim­lich­keit des Mediums per se. Lux Æterna funk­tio­niert in seinem Oeuvre glei­cher­maßen als ironische Zuspit­zung, Scherzo, aber auch als Schlüs­sel­er­eignis, wütender Schluss­strich oder Wende­punkt, der gespannt auf Neues warten lässt. Viel­leicht ja bald eine Komödie? Auch das wäre nach diesem Film denkbar.