The Look of Love

Großbritannien/USA 2013 · 101 min. · FSK: ab 16
Regie: Michael Winterbottom
Drehbuch:
Kamera: Hubert Taczanowski
Darsteller: Imogen Poots, Steve Coogan, Tamsin Egerton u.a.
Nur wer die Norm verläßt, kann glücklich werden.

»Normal life is for normal people«

Easy listening, easy livin' – Michael Winter­bot­toms aufre­gender Pop-Film The Look of Love

»It is such a good night to love...« erklingt ein Easy-Listening-Song aus den süßen sechziger Jahren. Und dies ist nur ein Lied in einem Film mit auffällig gutem Sound­track, einem Film, der trotz seiner zum Teil ernsten Thematik ist, weil er auch in seiner Erzähl­form musi­ka­lisch wirkt. Michael Winter­bot­toms The Look of Love ist zual­ler­erst ein vergnüg­lich perlender Musikfilm.

Der Brite Michael Winter­bottom ist ein Wunder­kind des Kinos. Gerade fünf­zig­jährig hat dieser Viel­filmer schon 25 Filme gedreht. Darunter finden sich hoch­en­ga­gierte Flücht­lings­dramen, wie in the World, für den er 2003 bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann, Science-Fiction-Werke wie Code 46 mit Tim Robbins und Samantha Morton, »Dogma«-realist­sche Bezie­hungs­stücke wie Wonder­land und pathos­ge­la­dene Melo­dramen im Stil von David Lynch wie I Want You, aber auch welt­um­span­nende Doku­men­tars­tücke wie die Miniserie The Shock Doctrine nach Naomi Kleins anti­ka­pi­ta­lis­ti­schem Best­seller. Winter­bottom, der seine Filme auch selbst produ­ziert, und insofern ein klas­si­scher Auto­ren­filmer ist, nicht nur überaus viel­fältig; er ist mit seinen Arbeiten auch Stammgast bei den wich­tigsten Film­fes­ti­vals der Welt, von Cannes bis Venedig.

Ein beson­deres Interesse hatte Winter­bottom schon immer für die Popkultur und ihre Geschichte. In 24 Hour Party People rekon­stru­ierte er vor mehr als einem Jahrzehnt ein Kapitel der Pop-Vergan­gen­heit, in dem er erzählte, wie aus dem Sound of Manchester zwischen Punk und Rave seit den späten 1970er Jahren der Britpop der 90er wurde. Etwas Vergleich­bares unter­nimmt Winter­bottom nun in The Look of Love erneut. Sein neuer Film erzählt gewis­ser­maßen die an der Ober­fläche sichtbare Paral­lel­ge­schichte zur Under­ground-Story von 24 Hour Party People: Die Geschichte des Londoner Nacht­le­bens zwischen den ausge­henden 50er Jahren und den frühen 90er. Das bedeutet zunächst »Swinging London«, später Jazz und frühe Beatles, dann ist es der farbige Rausch der frei­zügigen Siebziger bis zum Sieg der Massen­kon­sum­kultur auch in der Musik, der sich unge­achtet aller Gegen­be­we­gungen in den Achtziger Jahren ereignete.

Im Mittel­punkt des Films steht aber eine Vater-Tochter-Beziehung: Der Vater heißt Paul Raymond und hat wirklich gelebt. 1925 geboren, 2008 gestorben, war er eine so faszi­nie­rende wie facet­ten­reiche Figur der briti­schen Zeit­ge­schichte – einer, der der »Königs von Soho« genannt wurde, weil er alles, was er mit Strip­per­clubs und billigen Pornos begann, bald Nacht­clubs mit Shows für die Schönen und Reichen Londons betrieb, und den neokon­ser­va­tiven Boom und die günstigen Steu­er­ge­setze der Thatcher-Jahre dafür nutzte, zu einem Immo­bi­li­enhai zu mutieren. Alles was er anfasste, schien Raymond zu Gold machen zu können – so ist er keine richtige, schon gar nicht eine moralisch aufge­la­dene Helden­figur, aber ein sympa­thi­sches Schlit­zohr, ein Kämpfer, der nach Rück­schlägen immer wieder aufsteht.
Die Person, die er am meisten liebte, war seine Tochter Debbie (gespielt von der charis­ma­ti­schen Imogen Poots). Sie wurde, wie so manche ihrer Gene­ra­tion der Mitte der 50er Geborenen, in den 70er Jahren, drogen­süchtig, und starb 1992 an einer Überdosis Heroin.

Am Tag ihrer Beer­di­gung setzt Winter­bot­toms Film ein. Er zeigt den Vater wie er trauernd, allein heimfährt und einsam in seiner riesigen Villa sitzt – gerade hat ihn eine Zeitung zum reichsten Mann Großbri­tan­niens erklärt. Nun sieht er im Fernsehen einen Doku­men­tar­film über sein Leben, und blickt selbst auf eben dieses zurück.

Das Muster ist bekannt. Es stammt von Citizen Kane, und auch wenn sich The Look of Love nicht ganz mit Orson Welles' Jahr­hun­dert­film messen kann, ist Winter­bottom doch so etwas wie ein sozio­lo­gi­scher Psycho­thriller geglückt, eine Fahrt durch die Achter­bahn des kollek­tiven Unbe­wussten, die geschickt Nostalgie mit Pop-Theorie mischt. Schwung­voll flaniert der Film durch Zensur­de­batten, Musik­ge­schichte, die langsame, aber unauf­halt­same Libe­ra­li­sie­rung der Nach­kriegs­zeit und der neue Puri­ta­nismus der letzten zwei Jahr­zehnte. Unterlegt wird das mit viel Zeit­ko­lorit: Mode, Design, Sprache, aber auch Material aus Fern­seh­in­ter­views. Im Gegensatz zu Orson Welles ist Winter­bottom einer, der nicht mora­li­siert. Der seine Haupt­figur nicht als kalten Schurken karikiert, als herzloser Kapi­ta­list – sondern Raymond ist ein Mensch wie wir alle.

Das wahre Fundament, auf dem diese Lebens­ge­schichte beruht, ist der Hedo­nismus: Das Streben nach indi­vi­du­ellem Glück. Für alle, im Hier und Jetzt. Es selbst­ver­s­tänd­lich mate­ria­lis­tisch, aber deshalb nicht notwendig sinnfrei. Wie easy-listening Musik eben, die ja auch vor allem die Botschaft trans­por­tiert, dass alles auch unkom­pli­ziert sein könnte. Es ist am Ende immer auch ein bisschen rausch­haft: Ob der Rausch nun durch Kunst entsteht, durch Drogen, durch Sex oder durch Musik: »Das normale Leben ist was für normale Leute« sagt Paul Raymond und das meint er ernst. Nur wer die Norm verlässt, kann glücklich werden.