Das Leben der Anderen

Deutschland 2006 · 137 min. · FSK: ab 12
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Drehbuch:
Kamera: Hagen Bogdanski
Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme u.a.

Ohne Leben

Es gibt einen Moment, so ungefähr in der Mitte von Das Leben der Anderen, da weint Gerd Wiesler. Es ist nur eine einzige lange Träne, die stumm und kalt am Nasen­flügel dieses harten Mannes hinunter fließt, dessen übriges Gesicht dabei nahezu unbewegt bleibt. Weinen scheint auf den ersten Blick so gar nicht zu diesem verschlos­senen, auch innerlich verhär­teten Stasi-Hauptmann zu passen, der gerade mit dem »OV Laszlo« beschäf­tigt, auf einem Dachboden am Berliner Prenz­lauer Berg hockt, und einen Künstler bespit­zelt. »OV« heißt nämlich im Stasi-Jargon »opera­tiver Vorgang«, und »Laszlo« ist der Name unter dem die Stasi den Schrift­steller Georg Dreymann in ihren Büchern führt.

Wiesler weint nicht aus Trauer, obwohl er soeben über eine der rund zwei Dutzend Wanzen, die von seiner Orga­ni­sa­tion kürzlich in der Wohnung des Autors verteilt wurden, vom Selbst­mord eines anderen Künstlers erfahren hat. Schon eher weint er vermut­lich ein wenig aus Rührung, weil ihn die Musik bewegt, die Dreymann, noch ganz im Schock der Nachricht, halb besin­nungslos am Wohn­zim­mer­flügel spielt.

Doch am wahr­schein­lichsten ist, dass Wiesler über sich selber weint. Er weint, weil er gerade einen entschei­denden Moment der Selbst­er­kenntnis erlebt, und begreift, an was er da eigent­lich beteiligt ist, was das für ein Staat ist, für den er seine schmut­zige Arbeit tut. Und wie fern er selbst dem ist, was eigent­lich das Leben ausmacht: Anstand, Loyalität, Vertraut­heit, Intimität, Gefühle, Mut. Dieses Leben, das leben die anderen, doch erst durch den »OV Laszlo« erfährt Wiesler, was ihm fehlt. Er wird von nun an sein Leben ändern. Es ist keine Entschei­dung, die auf einen Schlag kommt, sie hatte sich schon zuvor bei einem Thea­ter­be­such ange­kün­digt, und noch lange wird er mit sich ringen, wird Gutes tun, und dann wieder das, was seine Orga­ni­sa­tion von ihm verlangt.

Später sieht man Wiesler, wie er Brecht-Gedichte liest, und dann wie er ein Lied hört mit Wolfgang Bocherts Zeile »und versuche gut zu sein.« Wiesler versucht es. Es ist die Kunst, die ihn zum guten Menschen macht, und Das Leben der Anderen erzählt davon, wie das geschieht. Es ist ganz erstaun­lich und stimmt froh, wie stark der Regisseur Florian Henckel von Donners­marck offenbar an die Kunst glaubt, zugleich aller­dings fragt man sich skeptisch, ob denn das nicht eine sehr altba­ckene, bieder­meis­ter­liche Vorstel­lung von Kunst ist, die hier dominiert: Kunst als das Schöne, Trost­spen­dende, als das, was das Leben besser macht.

Der Film könnte auch »Die Sonate vom Guten Menschen« heißen, wie das Musik­stück, dass im Film vorkommt, denn sein eigent­li­ches Thema ist nicht, wie es jetzt immer heißt, die DDR, oder die Stasi, sondern die Frage, was es heißt, gut zu sein. »Sie sind ein guter Mensch.« sagt Christa-Maria Sieland eines Tages zu Wiesler, als sich beide zufällig in einer Kneipe begegnen, die Schau­spie­lerin, Lebens­ge­fährtin des Schrift­stel­lers, und ihr Stasi-Schatten, der ihr, weil er um ihre Probleme noch besser weiß, als ihr Lebens­ge­fährte, ein paar aufmun­ternde Worte sagt.

Gewiß handelt Das Leben der Anderen auch von der DDR. Es erzählt von ein paar Monaten in deren Endphase, Ende 1984 bis Frühjahr 1985. Sieland ist erfolg­reiche Bühnen­dar­stel­lerin, aber labil, denn sie ist medi­ka­men­ten­süchtig. Vor allem hat sie sich auf ein Verhältnis mit dem DDR-Kultur­mi­nister einge­lassen, der seine Macht schamlos ausnutzt, und sie erpresst. Auch Dreymanns Über­wa­chung geht auf den zurück, er will »etwas finden«, notfalls konstru­ieren, um den Neben­buhler auszu­schalten. Das ist das Kuriose an diesem Film: Die Über­wa­chung, von der er erzählt, und mit dem er die wahre Natur des Über­wa­chungs­staats bloßlegen will, ist gar keine poli­ti­sche – denn Dreymann ist zunächst gegenüber dem Regime loyaler, als viele –, sondern rein persön­lich durch Eifer­sucht motiviert. Und erst, als Dreymann von den heim­li­chen Treffen seiner Freundin erfährt, fasst er den Mut, heimlich einen regime­kri­ti­schen Text zu schreiben. Auch hier also Eifer­sucht, Liebe, nicht in erster Linie poli­ti­sches Enga­ge­ment. Dreymanns Über­wa­cher Wiesler ist da längst sein verbor­gener Schutz­engel geworden, und deckt den Text, wider­stre­bend, aber irgendwie doch überzeugt. Als dieser dann anonym im Westen publi­ziert wird, setzt die ganze Härte der Stasi ein. Doch auch hier über­rascht es eher, dass die Diktatur immer noch Beweise für das will, was sie doch längst weiß. Zumindest den Anschein der Rechts­staat­lich­keit wollte die Diktatur also wahren. Aber warum eigent­lich? Trotzdem endet alles nicht gut; es kommt zum Verrat aller an allen, mit folge­richtig tragi­schem Ausgang. »Ich war zu schwach. Ich kann nie wieder gutmachen, was sie getan haben.« sagt Sieland zu ihrem Über­wa­cher, als sie sterbend auf dem Pflaster liegt, und endlich begriffen hat, was er getan hat.

Mit dieser Handlung fügt sich Das Leben der Anderen den klas­si­schen Gesetzen des Melodrams. Das bleibt immer spannend und ist oft bewegend. Zwar ist auch dies nicht »die Wahrheit« über die DDR, wie der Regisseur und manche Nachbeter jetzt behaupten, sondern nur eine andere Wahrheit als jene, von der Sonnen­allee und Good Bye, Lenin! erzählten. Aber der Film gibt einem ein Gefühl für das, was Über­wa­chungs­staat bedeutet. Aller­dings werden fast alle Menschen in diesem Film, auch die niederen Chargen der Stasi, in erster Linie Opfer und sind »gute Menschen«. »Böse« im tieferen Sinn ist nur der Minister und Wieslers Führungs­of­fi­zier. Dabei bestand das Geheimnis des langen Bestehens der DDR, wie auch anderer Dikta­turen, doch wohl eher darin, dass es viele, auch »kleine« Täter gab, das fast jeder auch zum Täter wurde.

Getragen wird alles von glän­zenden Darstel­ler­leis­tungen. Ulrich Mühe verkör­pert als Wiesler die Verwand­lung und Aufwei­chung seiner Figur überaus glaub­würdig. Noch besser ist der abgrün­dige Ulrich Tukur als sein Vorge­setzter. Sebastian Koch war noch nie so nuanciert, wie hier als Dreymann, während Martina Gedeck demge­genüber in der Rolle der Sieland etwas blass bleibt.

Trotzdem ist man am Ende mit alldem nicht wirklich glücklich, ist da ein Gefühl der Unzu­frie­den­heit. Das rührt daher, dass der ganze Film ein wenig arg glatt daher­kommt. Wie bei den TV-Movies »Luft­brücke« oder »Dresden« ist hier alles lehr­buch­ge­treu umgesetzt und politisch korrekt unan­greifbar verteilt. Gerade das ist das Problem. Eine wirklich persön­liche filmische Hand­schrift lässt Regisseur Florian Henckel von Donners­marck nicht erkennen. Für ein Debüt ist das fast ein zu reifer Film, überaus kühl kalku­liertes Indus­trie­kino, aber jenseits des fraglosen mora­li­schen Enga­ge­ments und des Inter­esses am Thema, ist ein ästhe­ti­sches Interesse, irgend­eine Lust, ein indi­vi­du­eller Ausdruck, eine Haltung, gar ein Risiko, eigent­lich nicht spürbar. Das genau aber ist es, was exzel­lente Filme von guten unter­scheidet.

Dominik Grafs Film Der rote Kakadu, man muss ihn hier nennen, hat, was immer man womöglich dagegen aussetzen möchte, in seiner so ganz anderen Form von der DDR zu erzählen, jeden­falls eine Version der Vergan­gen­heit präsen­tiert, die etwas zur Gegenwart zu sagen hat, die die Vergan­gen­heit als Heraus­for­de­rung, als Forderung auch offen hält. Das Leben der Anderen ist hingegen so einer dieser Filme, wie er Kultur­staats­mi­nis­tern gefällt. Er macht die DDR genau so einfach und klar und eindeutig, das man nicht mehr viel nach­denken muss, dass man weiß, wo man steht. Er zerteilt die Vergan­gen­heit in kleine, mund­ge­recht konsu­mier­bare Stücke, in Unter­richts­ein­heiten. Man wird ihn den Schul­klassen zeigen, bis man ihn nicht mehr sehen kann. Schon jetzt ist man eigent­lich, wenn man etwas gegen diesen Film sagt, nicht nur anderer Meinung, sondern ein schlechter Mensch. Es nutzt dem Regisseur aber gar nichts, wenn man sich jetzt über solche Seiten und über die großen ästhe­ti­schen Defizite hinweg­täuscht, wenn man so tut, als mache ein gutes Thema und eine moralisch korrekte Haltung schon einen guten Film, als merke man nicht eben doch auch, dass dies ein Erst­lings­film ist.

Klar: Das Leben der Anderen wird ein Erfolg werden. Er wird es aus vielen Gründen werden, auch, aber längst nicht nur, weil dies ein gut gemachter Film ist. Aber er bringt das Kino nicht weiter. Und wenn man ihn jetzt mancher­ort­sauch dort, wo dies nicht durch offen­kun­dige Inter­essen erklärbar ist – als »großes Kino« feiert, wenn man so tut, als wäre dies eine cine­ma­to­gra­phi­sche Offen­ba­rung, dann hat dies auch viel mit den Defiziten unserer Film­kultur zu tun, damit dass es eine ästhe­ti­sche Film­er­zie­hung in Deutsch­land eigent­lich gar nicht gibt.

Und dass in der DDR noch die Kinder nur über Stasi und Politik geredet haben, glaubt sowieso kein Mensch. Das Leben der Anderen hat bei aller hand­werk­li­chen Könner­schaft auch den faden Geschmack eines Thesen­films, und lässt letztlich kalt.