Deutschland 2018 · 83 min. · FSK: ab 12 Regie: Henrika Kull Drehbuch: Henrika Kull Kamera: Carolina Steinbrecher Darsteller: Susanna Abdulmajid, Malik Adan, Doua Rahal, Emna El-Aouni, Gina Schulte am Hülse u.a. |
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Gitterstäbe der Sehnsucht |
Wie reizvoll es doch immer wieder ist, sich mit Langfilmdebüts talentierter Filmemacherinnen und Filmemacher zu beschäftigen, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie ihre eigene Sprache finden. Einige Debütfilme, die hierzulande in der letzten Zeit den Weg auf die Festivals und in die Kinos gefunden haben, sind für Skeptiker des deutschen Films ein regelrechter kinematografischer Tritt in den Allerwertesten. Etwa Nora Fingscheidts auf der Berlinale gefeierter, filmischer D-Zug Systemsprenger, der gleich den Sprung in den internationalen Wettbewerb geschafft hat und mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet wurde. Oder Anatol Schusters herrlich entrückte Liebesgeschichte Luft. Oder Tilman Singers Vintage-Horror Luz. An jungen Talenten mangelt es uns aktuell wahrlich nicht.
Mit Henrika Kull von der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf betritt eine weitere junge Filmemacherin das Parkett. Ihr Debüt Jibril feierte auf diesjährigen Berlinale in der Sektion Panorama Premiere und erzählt ebenfalls von einer Liebe. Anders als Schuster allerdings, der sich auf verträumte, märchenhafte Poesie versteht, strotzt Kulls Film vor Naturalismus. In Jibril transformiert sich die authentische Lebenswirklichkeit in eine eigentlich unmögliche Romanze, als die dreifache Mutter Maryam (Susana Abdulmajid) dem im Knast sitzenden Jibril (Malik Adan) im Auftrag einer Freundin ein Paket bringt, und es zwischen den beiden funkt. Wieder funkt, muss man präzisieren, denn erste verheißungsvolle Blicke tauschen die Beiden Jahre zuvor, auf jener Hochzeit, mit der Jibril beginnt.
Über die Jahreszeiten hinweg, die als Kapitel fungieren, rollt Krull ihre Geschichte auf: Im Frühling lernen wir Maryam kennen. Carolina Steinbrechers Kamera klebt an ihr, ganz nah, tastet über ihr Gesicht, umkreist sie, macht die junge Frau mit irakischen Wurzeln, über deren Vergangenheit wir wenig erfahren werden, zum Anker der Geschichte. Im Sommer dann, nach der Begegnung mit Jibril, wird die Frau im gleißenden Licht mit den Gitterstäben tanzen, werden die beiden ihre körperliche Lust auf den anderen noch selbst befriedigen müssen. Der Herbst ist das retardierende Moment, es wird gestritten, eine Zitterpartie. Im Winter kommen die Beiden sich näher, in einer gesonderten Zelle schließlich auch körperlich.
So sehr das nach Filmromanze par Excellence klingt: Kull erzählt ihren Film ehrlich und völlig unverkitscht, macht die unmögliche Liebe zu einer möglichen Wirklichkeit. Gespiegelt wird das Geschehen durch die Telenovela »Die Augen des Herzens«, die sich Maryam im Fernsehen anschaut oder durch Szenen wie jener beim Gefängnispastor, in der die Insassen als Selbsthilfegruppe über zerbrechende Beziehungen während ihrer Gefangenschaft sprechen. Da Kull allerdings ohnehin sehr treffende Bilder findet, hätte es Deutlichkeiten wie diese gar nicht unbedingt gebraucht.
Am stärksten ist Jibril, wenn er nicht Problemfilm sein will, sondern nach und nach den Ballast über Bord wirft und sich auf das Wesentliche konzentriert: auf Maryam und Jibril. Auf das, was die beiden sich sagen oder eben nicht sagen. Was wir ahnen, was wir spüren können in den Momenten, in denen Kull das Kino Kino sein lässt und ihren Bildern vertraut. Eben wenn Maryam tanzt, wenn sie ihr Gesicht und ihre Brüste im Spiegel betrachtet, wenn Jibril rastlos in seiner Zelle ist, wenn die beiden sich mit Blicken und zarten Küssen während der Besuchszeit sondieren. Glatt geschliffen werden die beiden Hauptfiguren nicht, sie fluchen, bauen Mist, dürfen Menschen sein.
Jibril ist ein leiser Film, ein bodenständiges Debüt voller Leben, das von einem gesellschaftlich tabuisierten Beziehungsgeflecht erzählt, von den Irrungen und Wirrungen der Liebe und unerwarteten Sehnsüchten, von der Diskrepanz zwischen erträumtem und gelebtem Begehren und auch von weiblicher Selbstermächtigung. Denn Maryam alleine entscheidet, ob sie Jibril besuchen will oder eben nicht, er kann nur hoffen. Die Hoffnung stirbt natürlich zuletzt, auch wenn es am Ende keine Gewissheiten geben wird.