USA 2002 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Burr Steers Drehbuch: Burr Steers Kamera: Wedigo von Schultzendorff Darsteller: Kieran Culkin, Claire Danes, Jeff Goldblum, Jared Harris u.a. |
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Jeff Goldblum gibt Kieran Culkin zweifelhafte Ratschläge |
Zwei Brüder sitzen am Bett ihrer Mutter und sehen dabei zu, wie diese langsam stirbt.
Szenen wie diese gab es schon viele im Kino, doch im Film Igby, der mit einer solchen Situation beginnt, ist der Sachverhalt erheblich komplizierter als sonst. Schließlich haben die beiden Söhne ihre Mutter gerade vergiftet und als dies nicht ausreicht, um sie vom Leben zum Tod zu befördern, ziehen sie ihr kurzerhand eine Plastiktüte über den Kopf, um sie (nun erfolgreich)
zu ersticken. Kein heimtückischer Mord ist diese Tat, sondern aktive Sterbehilfe, die die schwer krebskranke Mutter von ihren Söhnen gefordert hat.
Kann man mit einer solchen Szene eine Komödie, noch dazu eine, die sich um die Irrungen und Wirrungen eines Pubertierenden dreht, beginnen?
Der Regisseur von Igby, Burr Steers, kann es. Er kann es sogar sehr gut und ebenso gelingt es ihm im folgenden Film eine bedrückende Geschichte auf amüsante Weise zu erzählen, ohne etwas von ihrer Intensität zu verlieren. Zudem beschreibt er vor dem Hintergrund einer wunderlich unwirklichen Welt einige zutiefst (un)menschliche Charaktere.
Der Tod der Mutter am Beginn des Films ist eigentlich das Ende der erzählten Geschichte, die damit anfängt, dass der kleine Igby dabei zusehen muss, wie seine New Yorker Oberschichtsfamilie kollabiert. Die schwere Nervenkrankheit seines geliebten Vaters (Bill Pullman) wird allgemein als Exzentrik oder Faulheit missverstanden, was zu ständigem Streit mit der überspannten Mutter (Susan Sarandon) führt. Darunter leidet Igby genau so, wie unter seinem älteren Bruder, dem erfolgreichen aber gefühlskalten Musterschüler, an dem er ständig gemessen wird.
Mit 17 Jahren steht Igby (Kieran Culkin) vor einem Scherbenhaufen. Der Vater in der Nervenheilanstalt, der Bruder ein abweisender Snob und die Mutter eine tablettensüchtige Nervensäge, deren Hauptaktivität darin besteht, mit viel Geld die Aufnahme Igbys an einer Schule, von der er noch nicht geflogen ist, zu erkaufen. Vermeintliche Unterstützung erhält Igby von seinem Patenonkel, dem aalglatten und zynischen Geschäftsmann D.H. Banes (Jeff Goldblum), in dessen Dunstkreis Igby einige schmerzhafte Lektionen über das Leben und die Liebe lernt.
Schnell glaubt man diesen Film festlegen zu können. Der altkluge Igby scheint auf die Figur des Max Fischer in Rushmore zu verweisen, die schrägen New Yorker in einem schrägen New York denkt man aus den Royal Tenenbaums zu kennen und der subversive Kampf Igbys gegen die Autoritäten, unterlegt mit hipper Popmusik, rundet das trügerische Bild vom frechen Feel-Good-Movie ab.
Tatsächlicher aber ist dieser Film näher an Bret Easton Ellis als an Wes Anderson (dem Regisseur der beiden oben genannten Filme), denn der skurrile Humor ist nur das süße Zuckerstückchen, auf dem uns eine sehr bittere Story präsentiert wird. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in den Figuren des Films, die ihre boshaft sadistischen Rundumschläge immer mit einem netten Lächeln und charmanten Witz verteilen.
Das Ausmaß der gegenseitigen Quälereien in diesem Film ist außergewöhnlich und selbst die wenigen Momente des Glücks vergrößern nur die Fallhöhe für den nächsten Niederschlag, wobei diese nicht immer nur rhetorisch sind und vor allem Igby mehrmals unter kräftigen Hieben zu Boden geht (wie es auch im Originaltitel heißt).
Die allgegenwärtige Tendenz, andere (und sich selbst) zu verletzen, ist dabei nur ein negatives Grundmotiv. Im ganzen Film gibt es keine einzige wirklich funktionierende Beziehung (egal welcher Art), gesellschaftlicher Abstieg bzw. Absturz ist jederzeit möglich, Egoismus setzt sich durch, Vertrauen wird nur ausgenutzt, lügen und betrügen ist die Norm, usw. usf.
Um solch herbe Botschaften dem Publikum nahezubringen, gibt es nur wenige Möglichkeiten. Der direkte, schonungslose Weg, wie ihn etwa Darren Aronofsky mit Requiem For A Dream beschritten hat, ist mutig, für Cineasten lohnenswert, aber nur einem sehr kleinen Publikum zu vermitteln.
Bleibt eigentlich nur die Komödie, um unter dem Schutz der Narrenkappe Tabuthemen wie psychische Erkrankung oder Sterbehilfe, die Hollywood sonst nur unter massivem Einsatz von Rührseligkeit und Kitsch an sich heran läßt, zu behandeln.
Leider hat man dabei den Eindruck, dass Burr Steers seine Inszenierung oft nur deshalb ins Absurde überdreht, um sich vom möglichen Vorwurf des Defätismus zu befreien. Der Film erhält dadurch stellenweise eine holprige Beliebigkeit, die zu seinen wenigen Schwächen zählt.
Am offensichtlichsten ist dieses Problem bei den schauspielerischen Leistungen, die grundsätzliche auf ein hervorragendes Ensemble bauen können. Doch den zahlreichen guten Szenen, in denen die Darsteller ihr volles dramatisches und komödiantisches Talent ausspielen, steht immer wieder ein abwegiges Kasperltheater gegenüber, um überdeutlich zu erklären, dass es sich beim Gezeigten wirklich um eine ironisch Überzeichnung handelt.
Dass man das auch eleganter machen kann, zeigt sich etwa im direkten Vergleich mit American Beauty, der auch ohne platte Karikaturen als bitterböse Satire zu erkennen ist.
Ansonsten ist Igby ein erfreulich unprätentiöser, technisch makelloser Film, dessen Hauptaugenmerk auf der Beschreibung der schwierigen und oft unscheinbaren Verbindungen, die zwischen den Menschen bestehen, liegt.
Igbys Vater lebt etwa mit der Illusion, dass der Sommer und einige sonnige Tage seiner Depression ein Ende bereiten können, Igbys Mutter öffnet vor ihrem organisierten Tod noch einmal die Vorhänge und genießt das Sonnenlicht auf ihrem Gesicht und Igby selber hat nur ein Ziel, endlich in den »Sunshine State« abzuhauen (auch wenn er sich von seinem Bruder darüber aufklären lassen muss, dass Florida und nicht Kalifornien als solcher bezeichnet wird). Eine ganze Familie, die unter Lichtmangel leidet.
Am Ende des Film sitzt Igby schließlich im Flugzeug Richtung Westen, ohne dass er auch nur eines seiner zahlreichen Probleme wirklich gelöst hätte und durch das Flugzeugfenster fallen die lange ersehnten Sonnenstrahlen. Kein Happy End somit, aber wenigstens ein Lichtblick.