The Homesman

USA 2014 · 123 min. · FSK: ab 16
Regie: Tommy Lee Jones
Drehbuch: , ,
Kamera: Rodrigo Prieto
Darsteller: Tommy Lee Jones, Hilary Swank, Miranda Otto, Grace Gummer, Sonja Richter u.a.
Minimalistisch, aber exakt komponiert

Das Wehgeheul der Frauen

Western und Wahnsinn: Tommy Lee Jones' zweite Regie­ar­beit The Homesman

Eine Abfolge aus Tableaus menschen­leerer Land­schaften eröffnet den Film. Melan­cho­li­sche Country-Musik erklingt. Wir wissen sofort: Wir sind im Western-Country, irgend­wann spätes­tens in den frühen 20er Jahren, eher noch eine Menge Jahr­zehnte zuvor, und schon verkündet ein Insert: »Nebraska, 1855«.
Dann sieht man Hilary Swank, ihr knochiges Gesicht in Groß­auf­nahme, das sofort ganz aus der Epoche zu stammen scheint, was natürlich eine doppelte Illusion ist, weil man sich das Gesicht genauso gut auch auf einer Photo­gra­phie aus der Großen Depres­sion vorstellen könnte, und weil im Kino fast alle sowieso wissen, dass es sich um Hilary Swank handelt. Ich konnte mit dieser Darstel­lerin noch nie richtig viel anfangen, irgend­etwas stößt mich an ihr – nicht nur ihren Rollen – ab, und spätes­tens seit Million Dollar Baby trägt Swank auch eine Meryl-Streep-hafte Bedeut­sam­keit vor sich her, einen Heili­gen­schein der eigenen großen Darstel­lungs­kunst, von der Swank selbst offenbar unbedingt überzeugt ist – und die bei Streep übrigens schon längst ironisch gebrochen ist, aber dazu kommen wir später.

Swank also bei der Feld­ar­beit, und das sieht dann natürlich echter und glaub­wür­diger aus, als wenn da jetzt Joan Crawford oder Lana Turner hacken und jäten würden, aber trotzdem eben wie eine Hollywood-Schau­spie­lerin, die hackt und jätet. Natürlich ist sie (anders als Crawford oder Turner) so geschminkt, dass sie unge­schminkt aussieht, natürlich ist der Dreck im Gesicht besonders dreckig, der Wind sehr windig, und der Gaul vorm Pflug bockig, von fern erinnert es an Bela Tarrs »Turiner Pferd«. Und die Klamotten sehen aus, als würden sie am Leib richtig kratzen. Wir sehen also Swank eine ganze Weile herumpf­lügen, und dann den stör­ri­schen Gaul in den Stall bringen.
Der Film hat also ganz offen­sicht­lich schon mal sehr die Ruhe weg. Dann kommt ein Nachbar vorbei, man redet, worüber Menschen von heute glauben, dass man so geredet hat an den langen Abenden an der Frontier, ohne Fernsehen und Telefon, vom Internet ganz zu schweigen, man redet über den Pie – »its a really good pie« –, und was man so gemacht hat »in the East«. Irgend­wann gibt es Hausmusik. Pech nur, dass es kein Instru­ment gibt. Also »spielt« Swanks Figur auf einer Decke, in die eine Klavier­tas­tatur eingehäkelt ist, und singt dazu. Sie offen­kundig einen an der Waffel.
Der junge Mann, der ihr Gast ist, schläft dabei ein – nicht die erste Enttäu­schung für die Frau, und nicht die letzte: Denn als sie wieder am Tisch sitzt, redet sie nicht lange um ihr Anliegen herum: »Marry me!« Sie kann gute prak­ti­sche Gründe vorbringen, aber der Nachbar winkt ab, ebenso mit guten prak­ti­schen Gründen: »You are very judge­mental«. Und verlässt flucht­artig das Haus.

Da wissen wir schon, dass Swanks Figur Mary Bee Cuddy heißt, dass sie mit 31 noch (!) unver­hei­ratet ist, und das nicht ganz ohne eigenes Zutun, und zu alldem Sperrigen, auch Unsym­pa­thi­schen, Verrückten, trotzdem Inter­es­santen, passt diese Darstel­lerin schon mal wieder ganz gut.

Der Wahnsinn trifft den Western in The Homesman, einer Lite­ra­tur­ver­fil­mung, die in Nebraska zur Zeit der India­ner­kriege ange­sie­delt ist. Denn die nächsten rasch aufein­an­der­fol­genden Bilder und Szenen sind apoka­lyp­tisch: Wir sehen eine kleine Farm, in der alle Tiere durch eine Seuche gestorben sind. Dann später trägt die Frau ihr jüngstes Kind, einen Knaben, apathisch im Arm zum Plumpsklo und wirft es in der Sicker­grube. Eine zweite Frau beschimpft ihren Mann, dass er die Leiche der eben gestor­benen Mutter nicht im Haus lässt. Wir sehen, dass der Mann die Frau verge­wal­tigt, wir sehen ihr gefühl­loses, brutales Zusam­men­leben ihre Verwahr­lo­sung gepaart mit Aggres­sionen. Dann sehen wir eine dritte junge Frau, die völlig wegge­treten scheint.

Die Dorf­ge­mein­schaft des kleinen Sied­ler­städt­chens will diese drei Frauen, die selbst zur Arbeit nicht mehr taugen, und dem harten Leben nicht mehr gewachsen sind, entsorgen. Und Swanks unver­hei­ra­tete Mary Bee, bekommt den schwie­rigen, gefähr­li­chen Auftrag, die drei psychisch kranken Weibs­bilder aus der Fron­tier­re­gion zurück in zivi­li­sier­tere Gegenden und in die Obhut eines kirch­li­chen Irren­asyls zu bringen – in einer zum Gefäng­nis­wagen mit vergit­terten Fenstern umge­bauten Kutsche, in ein er wochen­langen Reise durchs India­ner­ge­biet und Wüsten. Zu ihrem einzigen Helfer wird der Drifter Georges, ein Tauge­nichts und Einz­el­gänger zwangs­ver­pflichtet.

Dies ist die zweite Regie­ar­beit von Tommy Lee Jones, der bekannt­lich eigent­lich ein Hollywood-Schau­spieler ist und als solcher auf die harten Stoiker spezia­li­siert, die lako­ni­schen »No Nonsense«-Typen. So einen spielt er auch hier, denn außer der Regie übernahm Jones auch gleich die Haupt­rolle des Drifters Georges, des Mannes, der die vier Frauen sicher durch alle Gefahren bringen soll.

Im Film geht es im Schritt­tempo voran: Die Pferde heißen Grace und Redemp­tion, aus der Kutsche erklingt während der Fahrt das Wehge­heuel der Frauen. Sie reprä­sen­tieren drei Typen von Verrückt­heit: Die Apathi­sche. Die Melan­cho­lisch-Depres­sive. Die Manisch-Exal­tierte. Bei allen Dreien hat der Wahnsinn etwas mit Kindern und Mütter­lich­keit zu tun: Die eine hat drei Kinder verloren, die Zweite eines umge­bracht, die dritte keines bekommen.

Der Film beginnt so, dass ich mich sehr lang­weilte und am liebsten schnell wieder das Kino verlassen wollte. Ich blieb aber drin, und er wurde besser und besser und entfal­tete nach etwa einer halben Stunde einen seltsamen Sog. Es geht hier um das, worum es im Western immer auch geht: um Zivi­li­sa­tion und Barbarei, auch die innere, die die Zivi­li­sa­tion infiziert. Um das Barba­ri­sche der Regeln und Gesetze. Es geht auch um reli­giösen Fana­tismus, denn es sind hier vor allem die Wahn­sin­nigen, die von Gott reden: »God will strike you down«.

Genauso wahn­sinnig wie die drei Frauen stellt sich Mary Bee heraus. Wer es nicht schon ahnte, als sie auf einer Häkel­decke Klavier spielte, dem wurde es klar, als sie zurück­bleibt, um ein unbe­kanntes Grab wieder zuzu­schau­feln, dann die Schaufel vergisst und tagelang braucht, um die Kutsche wieder einzu­holen. So wird man im Western nicht lange überleben. Sie bittet auch George um die Heirat, und als er sich verwei­gert, zwingt sie ihn geradezu zum Beischlaf. Als er am nächsten Morgen aufwacht, hat sie sich aufgehängt.
Auch sonst sind eigent­lich alle Frauen in diesem Film wahn­sinnig: Am Schluss, als die Kutsche glücklich über einen großen Fluss in Iowa ange­kommen ist, hat Meryl Streep einen kurzen Auftritt als frömm­le­ri­sche Leiterin des Irren­sayls – nur an einer anderen Form von Wahn leidend. Die einzig Normale ist eine 16-Jährige, die Jones' George am Ende im Hotel bedient, und der er von seinem letzten Geld das erste Paar Schuhe schenkt. Es gibt atem­be­rau­bende Momente – etwa eine Stadt, die nur in Form abge­steckter Grund­s­tücke existiert. Ein Inves­to­ren­pro­jekt. Das einzige Haus vor Ort ist ein luxu­riöses Hotel, das auf poten­ti­elle Käufer wartet. Als der Hotel­be­sitzer, das ist ein weiterer sehr starker Moment, der Frau­en­kut­sche die Hilfe verwei­gert, rächt sich Jones' George, indem er nachts zurück­kommt und das Hotel nieder­brennt – und die Insassen gleich mit.

Wahnsinn und Western also, mit einem Hauch von Cormac McCarthy-Apoka­lypse. The Homesman ist ein origi­neller Western, der dessen Klischees aufgreift, sie so originell wie schlüssig abwandelt und gele­gent­lich ad absurdum führt – zugleich ein stre­cken­weise kluger Beitrag zum Thema Geschlech­ter­be­zie­hungen. Was uns Tommy Lee Jones damit aber sagen will, ist mir nicht klar. Was ist die Botschaft am Ende? Das Amerika immer schon wahn­sinnig war? Oder möchte er uns nur eine gute Geschichte erzählen?

No Country for Young Women

In einer Schlüs­sel­szene des Coen-Brother-Meis­ter­werks No Country for Old Men trifft Tommy Lee Jones als der alternde desil­lu­sio­nierte Sheriff Ed Tom Bell den noch älteren ehema­ligen Deputy Ellis, der nachdem er ange­schossen wurde, im Rollstuhl sitzt. Ellis erzählt Ed eine heftige Geschichte aus »der alten Zeit«. Er schließt mit den Worten: »What you got ain’t nothing new. This country is hard to people.« Sie beide sind alte Männer, die nicht mehr mit der harten Realität ihres Landes zurecht­kommen.

The Homesman, der zweite Kinofilm nach Three Burials – Die drei Begräb­nisse des Melquiades Estrada (2005), in dem Tommy Lee Jones nicht nur selbst mitspielt, sondern auch Regie führt, schildert eine Geschichte aus »der alten Zeit«. Sie zeigt, dass die Neue Welt zur Zeit der Pioniere auch kein Land für junge Frauen war. Jeden­falls nicht die Welt der »frontier«, die um 1850 noch bei Nebraska lag.

In dieser unbarm­her­zigen Welt am äußersten Rand der west­li­chen Zivi­li­sa­tion lebt und arbeitet Mary Bee Cuddy (Hilary Swank) als allein­ste­hende Frau auf ihrer Farm. Obwohl sie selbst­be­wusst ist, macht ihr die Einsam­keit inmitten des unwirt­li­chen Landes und der winzigen Gemeinde schwer zu schaffen. Aber Mary Bee Cuddy steht trotz allem ihren Mann. Drei junge Farmers­frauen (Grace Gummer, Miranda Otto, Sonja Richter) sind hingegen weniger stark. Sie hat das harte Leben in den Wahnsinn getrieben. Da deren Männer sich über­for­dert sehen bzw. selbst am Zustand ihrer Frauen mitschuldig sind, müssen diese jetzt von einem »Homesman« zurück in den Osten des Landes, in die zivi­li­sierte Welt zurück­ge­bracht werden. Da die Männer kneifen, übernimmt Mary Bee Cuddy diese undank­bare und zudem lebens­ge­fähr­liche Aufgabe...

Der klas­si­sche Western zeigt die Eroberung des zuvor nur von Indianern bewohnten Landes als eine roman­ti­sche Epoche voller kerniger Natur­bur­schen und ritter­li­cher Helden. Dem stellten der Italo­wes­tern eines Sergio Leone (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) und der ameri­ka­ni­sche Spät­wes­tern à la Peckinpah (The Wild Bunch, 1969) eine nihi­lis­ti­sche Welt voller amora­li­scher Gesetz­loser gegenüber. Aber sowohl der naive Frühwes­tern als auch der düstere Spät­wes­tern präsen­tieren diese Phase der ameri­ka­ni­schen Geschichte als eine aufre­gende Zeit voller Abenteuer. In The Homesman hat Mary Bee Cuddy zunächst nur zwei gravie­rende Probleme. Zum einen hat sie keinen Mann; zum anderen vermisst sie ein Klavier.

Der Kame­ra­mann Rodrigo Prieto (Brokeback Mountain, 2005) fängt in mini­ma­lis­ti­schen, aber exakt kompo­nierten Bildern eine Land­schaft ein, deren Weite zwar beein­dru­ckend, aber zugleich sehr erdrü­ckend ist. Statt den aus klas­si­schen Western bekannten majes­tä­ti­schen Land­schafts­pan­oramen zeigt The Homesman windige und unwirt­liche Ebenen, deren knochen­tro­ckener Boden so hart ist, dass man hier noch nicht einmal einen Toten anständig begraben kann.

Letzteres war im Übrigen die bittere Pointe der eingangs erwähnten Erzählung des alten Deputies in No Country for Old Men. Nicht nur, dass ein Mann einfach so wie ein Hund abge­knallt wurde. Seine Frau musste zudem die Leiche am nächsten Morgen in der harten Erde begraben. In dieser kleinen Neben­er­zäh­lung verdichtet sich der ganze Nihi­lismus des auf dem gleich­na­migen Roman von Cormac McCarthy grün­denden Films.
Auch The Homesman ist eine Lite­ra­tur­ad­ap­tion, wobei die Buch­vor­lage in diesem Falle jedoch von Glendon Swarthout stammt. Der schrieb ebenfalls die Vorlage zu Don Siegels Spät­wes­tern The Shootist (1976), in dem John Wayne seine letzte Haupt­rolle spielt.

In The Shootist gelingt John Wayne, dem Ingegriff des integren Western­helden, immerhin ein ehren­werter, wenn auch bitterer Abgang. In The Homesman erscheint der Tod hingegen ebenso sinnlos, wie das Weiter­leben. Bezeich­nen­der­weise wird am Ende ein frisches hölzernes Grab­schild ganz beiläufig und unin­ter­es­siert ins Wasser gekickt.