The Hate U Give

USA 2018 · 133 min. · FSK: ab 12
Regie: George Tillman jr.
Drehbuch:
Kamera: Mihai Malaimare jr.
Darsteller: Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby, Anthony Mackie, Issa Rae u.a.
Es muss etwas passieren...

Der ewige Schwarze

»A climate of fear and suspicion pervades everyday life, and many residents live with daily concern that the autho­ri­ties will seize them and take them away ... Still, neigh­borhood residents are carving out a meaningful life for them­selves betwixt and between the police stops and probation meetings.«Alice Goffman, On the run – Fugitive Life in an American City (2014)

Sieht man sich Arthur Jafas 7-minütige Video-Instal­la­tion »Love Is The Message, The Message Is Death« im Museum of Contem­porary Art in Chicago an, in der Jafa Video-Clips aus Jahr­zehnten normalen afro-ameri­ka­ni­schen Alltags gegen Szenen von außer­ge­wöhn­li­cher Gewalt gegenüber afro-ameri­ka­ni­schen Körpern schneidet, liest man dann noch Alice Goffmans zermür­bende Feld­for­schung »On the run« über afro-ameri­ka­ni­sches Leben in Phil­adel­phia, hat man dann viel­leicht auch noch das dies­jäh­rige Sundance-Film­fes­tival besucht, bei dem eine Doku­men­ta­tion wie Always In Season von Jacque­line Olive über eine bis in die Gegenwart reichende Lynch­justiz gegenüber Afro-Ameri­ka­nern und die Welt­pre­miere von Rashid Johnsons Native Son einen Diskurs darüber auslösten, wie man denn nun am besten über alltäg­li­chen Rassismus sprechen, schreiben und Filme machen soll, so kann man sich nur an den Kopf fassen. Und gleich­zeitig hoffen, dass die gegen­wär­tige Welle von Filmen, die afro-ameri­ka­ni­sche Selbst­er­mäch­ti­gung thema­ti­sieren, sich kritisch mit Geschichte und Gegenwart von Rassismus in Amerika ausein­an­der­setzen und inzwi­schen so gut wie alle »Film­genres« abdecken, tatsäch­lich etwas verändert. Denn von Moonlight über Black Panther, I Am Not Your Negro, Get Out, BlacKkKlansman, Green Book oder If Beale Street Could Talk ist die Reihe nicht nur faszi­nie­rend viel­seitig bestückt, sondern inzwi­schen so illuster, dass man sich schon zu fragen beginnt, wo eigent­lich die europäi­schen Filme sind, die sich mit einem ähnlich persis­tenten Problem, dem ewigen und gerade wieder so in Mode kommenden Anti­se­mi­tismus, beschäf­tigen.

Mit George Tillman Jrs The Hate U Give erscheint nun ein weiterer Film zum alltäg­li­chen Rassismus in den USA, der sich aller­dings an ein Ziel­pu­blikum richtet, das zwar in den letzten Jahren von Streaming-Diensten mit dichten, aktuellen Stoffen bedient wurde (13 Reasons Why, The Rain, The End of the F***ing World), aber von der (Kino-)Film­in­dus­trie gerade bezüglich poli­ti­scher Inhalte sträflich vernach­läs­sigt wurde – die Jugend.

The Hate U Give ist ein geradezu idealer Stoff, um zu poli­ti­sieren, das zeigte bereits die 2017 erschie­nene lite­ra­ri­sche Vorlage, der gleich­na­mige Jugend­roman von Angie Thomas, der es über einen furiosen Einsatz von Slang und ein viel­leicht etwas zu sche­ma­tisch und pädago­gisch ausge­rich­tetes Narrativ geschafft hat, sich weit über ein jugend­li­ches Ziel­pu­blikum hinaus über 50 Wochen lang auf der Best­seller-Liste der New York Times zu halten.

Tillmans hält sich dicht an die lite­ra­ri­sche Vorlage, die ja beides ist, einer­seits klas­si­scher Post-Blackness Roman, andrer­seits klas­si­sche Coming-of-Age-Literatur. Auch im Film sehen wir beide Narrative eng mitein­ander verwoben, folgen wir dem akribisch genau geschil­derten Alltag der 16-jährigen Afro-Ameri­ka­nerin Starr Carter (Amandla Stenberg), die sich trotz ihrer Vaters Maverick (Russell Hornsby), der sie seit ihrer frühesten Kindheit mit den Ideen und Regu­la­rien der Black-Panther-Bewegung konfron­tiert und drillt, jugend­liche Leich­tig­keit bewahrt hat. Ihr Vater hat sich von seiner Gang-Vergan­gen­heit zwar eman­zi­piert und hat einen kleinen Laden im »schwarzen« Viertel und will – obwohl finan­ziell eigent­lich zu einem Umzug in eine bessere Gegend prädes­ti­niert – dort auch wohnen bleiben, auch wenn Starrs Mutter Lisa (Regina Hall) sich immer wieder dagegen ausspricht. Dafür darf Starr eine »bessere«, also »weiße« Schule besuchen, um im späteren Leben alle Chancen zu haben. Ähnlich wie im Roman benutzt auch Tilman die Sprache, um aufzu­zeigen, wie verfahren die Lage ist, wie schwer die Grenz­gänge zwischen den Paral­lel­welten sich gestalten. Wechselt Starr in ihrer Familie und zwischen Freunden fließend von normalem Hocheng­lisch zum Hood-Slang, bewegt sie sich in ihrer Schule auf schwie­ri­gerem Terrain. Hier sprechen zwar alle (weißen) Schüler Hood-Slang, um cool zu sein, Starr jedoch muss gerade hier penibel auf ihr Hocheng­lisch achten, um nicht an Achtung zu verlieren. Diese tragische Groteske – in der Sprache zu einem verdrehten Ghetto wird – zeigt sich auch in anderen basalen Alltäg­lich­keiten wie dem Essen. Hier müssen Starr und ihr Bruder Starrs weißem Freund Chris (K. J. Apa) vor einem ersten Besuch bei Starrs Vater genau erklären, was in afro-ameri­ka­ni­schem Kontext Beilage und was Haupt­speise ist.

Diese genauen ethno­gra­fi­schen Beob­ach­tungen gehören zu den stärksten Szenen von The Hate U Give, weil sie gerade in ihrer Alltäg­lich­keit zeigen, wie unvor­stellbar groß der Graben zwischen weiß-ameri­ka­ni­scher und afro-ameri­ka­ni­scher Kultur ausein­an­der­klafft. Die eigent­liche Drama­ti­sie­rung der Handlung und Poli­ti­sie­rung Starrs geschieht dann über schon fast stereotyp zu nennende und dann doch nur allzu wahre Muster, als Starr miter­leben muss, wie ihr alter Jugend­freund Khalil (Algee Smith) bei einer »Routi­ne­kon­trolle« der Polizei neben ihr erschossen wird. Erst jetzt begreift Starr nicht nur die 10 »Gebote« der Black Panther, sondern auch die von ihrem Vater streng vorge­tra­genen Verhal­tens­re­geln für ein Überleben als Mensch mit schwarzer Hautfarbe, sondern versteht vor allem, dass man als Schwarzer von Weißen nicht nach inneren Werten erkannt wird, sondern stets nach dem Äußeren, der Hautfarbe, die sich nun mal beim besten Willen nicht »akkul­turieren« lässt.

Starrs persön­li­ches und poli­ti­sches Coming-of-Age verlaufen drama­tisch und in paral­lelem Einklang und wirken gerade in ihrer eska­lie­renden und zwin­genden Wucht immer wieder auch wie ein manchmal allzu gut gemeinter und etwas holpriger pädago­gi­scher Leitfaden für inneren und äußeren Wider­stand. Das ist zwar auch im Buch nicht anders, ist aber wie im Roman schon einen Moment später verziehen und vergessen, denn sowohl die schau­spie­le­ri­sche Kraft von Tillmans Ensemble als auch die histo­ri­sche Notwen­dig­keit, dieser Unge­rech­tig­keit irgendwie Herr zu werden, sollten selbst einen zurück­hal­tenden Betrachter aus seiner kontem­pla­tiven Reflexion reißen und ihm statt­dessen das eupho­ri­sche Gefühl geben, dass hier etwas Wichtiges passiert, dass Wider­stand jede Sprache und jedes Genre sprechen darf und muss, damit endlich etwas passiert.