Guilty of Romance

Koi no tsumi

Japan 2011 · 150 min. · FSK: ab 18
Regie: Sion Sono
Drehbuch:
Kamera: Sohei Tanikawa
Darsteller: Megumi Kagurazaka, Miki Mizuno, Makoto Togashi, Kanji Tsuda, Ryo Iwamatsu u.a.
Vielfältig, spannend, hoch ästhetisch

Im roten Licht der Nacht

Auf Fass­bin­ders Spuren: Sono Sions Frau­en­bal­lade

Drei Frauen: Yoshida, eine Poli­zei­de­tek­tivin, die Literatur-Profes­sorin Mitsuko und Izumi, der Prototyp einer »Desperate Housewive«. Ihnen gemeinsam ist die Aufspal­tung ihres Daseins in zwei fast völlig vonein­ander getrennte Bereiche; einen »bürger­li­chen«, also ein für eine Frau in Japan immer auch den mehr­heits­ge­sell­schaft­li­chen Normen ange­passtes Lebens, sowie einer abgrün­digen »Nacht­exis­tenz«, die sie in Grenz­be­reiche der Sexua­lität und Gewalt führt. Alle drei stehen, wenn auch mit sehr verschie­dener Gewich­tung, im Zentrum des Films – und einer Geschichte, die ihre Schick­sale verbinden wird.

Bevor die eigent­liche Handlung einsetzt, hat Regisseur Sono Sion zwei einlei­tende Schrift­ta­feln gesetzt, die Hinweise auf den Code liefern, mit dem dieser Film zu dechif­frieren ist. Der erste beschreibt einen wesent­li­chen Ort der Handlung: »Love Hotels« und das Rotlicht­viertel »Maruyama-sho« im Tokioter Stadtteil Shibuya. Der zweite ist ein ähnlich direkter Verweis auf Franz Kafkas »Das Schloss«.

Da hat die eigent­liche Handlung bereits einge­setzt: Gerade trifft sich die Kommis­sarin Yoshida mit ihrem Liebhaber zum Sadomaso-Spiel im Hotel, da wird sie zu einem Tatort gerufen: Entdeckt wurde eine Frau­en­leiche, der Kopf und Geschlechts­teile fehlen. Die übrigen Glied­maßen wurden zerteilt und mit Einzel­teilen von Schau­fens­ter­puppen und Frau­en­klei­dern zu einer bizarr-scho­ckie­renden Konstel­la­tion drapiert: Zwei voll­s­tän­dige Frau­en­puppen, die halb aus weib­li­chen Leichen­teilen, halb aus Kunst­stoff bestehen. Die eine trägt eine Schul­uni­form, die andere ein verfüh­re­ri­sches rotes Kleid.

Bald darauf setzt jene Rück­blende ein, die die lange Vorge­schichte des Falls erzählt, unter­bro­chen von Einbli­cken in den Ermitt­lungs­fort­schritt und Yoshidas Privat­leben zwischen Ehemann, Tochter und Liebhaber. Im Rückblick lernt man zunächst Izumi kennen, Gattin eines Schrift­stel­lers, der schlüpf­rige Popu­lär­storys schreibt, und seine Frau zuhause zur unter­wür­figen Haus­an­ge­stellten degra­diert hat. Allmäh­lich kommt es zur Selbst­be­freiung der ange­passten, intel­lek­tuell wie sexuell frus­trierten Frau. Sie beginnt im Super­markt zu arbeiten, und wird dort bald von einer Agentin ange­spro­chen: Der Teilzeit-Job als Model entpuppt sich kaum über­ra­schend als Pornodreh. Schnell gewinnt die Schüch­terne Selbst­be­wusst­sein und Spaß am Ausbruch aus der Eherou­tine und ihrem zweiten Leben, beginnt fremd­zu­gehen, dafür Geld zu nehmen und bekommt Kontakt zu einem Prosti­tu­ti­ons­ring. Da lernt sie Mitsuko kennen, die tagsüber an der Uni lehrt, und nachts als Callgirl arbeitet. Die charis­ma­ti­sche Literatur-Profes­sorin wird zum Mentor bei Izumis Weg zur Selbst­ver­wirk­li­chung. Dabei erteilt sie ihr auch Lektionen über die Bedeutung der Worte, und darüber, dass jedes Wort einen Körper habe, Fleisch werden müsse, um seine Bedeutung auch einzu­holen.

Diese Passagen einer Schule der Frauen, die auch auf de Sades »Philo­so­phie des Boudoir« anspielen, sind zwar vergleichs­weise unspek­ta­kulär, gehören aber zu den eindrucks­vollsten des Films. Zunehmend steigert und beschleu­nigt sich die Handlung: Erster Höhepunkt ist eine ebenso grandios geschrie­bene wie gespielte Essens­szene bei Mitsukos tradi­tio­neller, gegenüber der liber­tären Tochter hasser­füllten Mutter, bei dem sich hinter Höflich­keits­flos­keln nackte Gewalt zunächst verbirgt, schließ­lich in Wort und Tat ausbricht. Es folgt eine Nacht, in der Izumi gemeinsam mit Mitsuko einen Freier besucht – der sich als Izumis Gatte entpuppt. Schließ­lich der rasante Showdown, der alle Figuren zusam­men­führt und Aufklä­rung über den Mordfall des Anfangs bietet.

Seit einem knappen Jahrzehnt ist Sono Sion, geboren 1961, zusammen mit dem ein Jahr älteren Miike Takashi und Kore-eda Hirokatsu der wich­tigste Vertreter seiner Gene­ra­tion und des aktuellen japa­ni­schen Auto­ren­kinos. Sonos Filme sind extrem in Ästhetik wie Inhalt. Sein gene­relles Interesse gilt dem virtuos-ironi­schen Spiel mit Tradi­tionen und sozialen Zwängen, und dem Ausloten der Möglich­keiten eines Kinos der Trans­gres­sion. Wie kann ein Filme­ma­cher die Üblich­keiten in Darstel­lung und Narration, das geschmack­lich Erlaubte über­schreiten, ohne in die Falle billiger und leerer Provo­ka­tion zu tappen?

Guilty of Romance (i.O.: »Koi no Tsumi«) ist als abschließender Teil (nach Love Exposure und Cold Fish) einer »Hass«-Trilogie annon­ciert. Tref­fender wäre, von einer Trilogie der Leiden­schaften zu sprechen. Denn nicht allein um Hass geht es hier, sondern ebenso um Liebe in ihren Facetten, um Passionen und Obses­sionen. Der bereits im Titel gegebene Anschluss an die Romantik erscheint daher ange­messen: Zusam­men­ge­nommen entfaltet Guilty of Romance Stadien und Varianten eines erotisch-philo­so­phi­schen Bildungs­ro­mans, einer vor allem weib­li­chen »Education Senti­men­tale«, deren Ziel die Befreiung aus der Diktatur des Patri­ar­chats ist, die »Über­schrei­tung« im Sinne Batailles per sexuellem Abenteuer und dem Auskosten einer Lust am Verbo­tenen. Nicht ein »épater le bourgois« ist dabei Sonos Absicht, sondern eine zärtliche, sehr humane Annähe­rung an weibliche Befind­lich­keiten. Daher denkt man trotz aller offen­kun­digen Nähen in diesem Fall nicht in erster Linie an Godards Huren­bal­lade Vivre sa vie und Bunuels abgrün­dige Ehephan­tasie Belle de jour, sondern an die Frau­en­fi­guren Rainer Werner Fass­bin­ders. Wie dieser versucht auch Sono, mit den Stil­mit­teln des Melodrams und des Psycho­thril­lers, zwischen theo­re­ti­schem Essay und Trash-Exploi­ta­tion in seinem sehr eigen­sin­nigen, so schrillen wie hoch­ge­bil­deten Stil immer wieder, die geheim­nis­vollen Seiten der Frauen heraus­zu­ar­beiten.

Nach­teilig ins Gewicht fällt zwar das Ungleich­ge­wicht zwischen den drei Figuren zu Lasten der Detek­tivin Yoshida. Auch hat Guilty of Romance kleinere Längen. Insgesamt aber ist dies ein ungemein viel­fäl­tiges span­nendes und hoch­äs­t­he­ti­sches Kino-Werk, das keine einfache Deutung zulässt, einge­hen­dere Betrach­tung aber lohnt. Ein Film, dem es jederzeit Ernst ist, auch wenn er Spaß macht.