Der Grinch

The Grinch

USA/China 2018 · 90 min. · FSK: ab 0
Regie: Yarrow Cheney, Scott Mosier
Drehbuch: ,
Musik: Danny Elfman
Schnitt: Chris Cartagena
Gelungene Kontras­tie­rungen

Weih­nachten als Therapie

Dürfte ich mir wünschen, wer anders zu sein, ich würde gern ein Grinch sein. Denn wer darf das schon: grün leuchten wie meine Lieb­lings­farbe und dann auch noch Weih­nachten hassen dürfen. Und bei all dem Hass auf Weih­nachten auch noch den freien Kopf und die tolle Idee zu haben, den Menschen Weih­nachten stehlen zu wollen, damit man nicht mehr diesen schreck­li­chen Kitsch, dieses blöde Rumge­singe, diesen üblen Konsum­rausch, diese ganze aufge­setzte Scheiße ertragen muss, die einen in ihrer zykli­schen Perfi­dität dann auch noch daran erinnert, dass man irgend­wann sterben muss.

Nein, es ist wirklich gut, ein Grinch zu sein. Weshalb ich auch jede Neuver­fil­mung dieses ameri­ka­ni­schen Kinder­buch­klas­si­kers von Theodor »Dr. Seuss« Geisel, der erstmals 1957 erschien, gutheiße – auch wenn ich mich ehrlich gesagt nur an Ron Howards filmische Grinch-Umsetzung des Stoffs aus dem Jahre 2000 erinnere, damals mit Jim Carrey als wirklich tollem »Grinch«. Da Carrey die Rolle sichtlich in vollen Zügen auskos­tete, wäre eine Neuver­fil­mung als Realfilm vergebene Hassmüh. Aber eine animierte Version? Zwar gab es den »Grinch« bereits animiert, doch damals, 1966, nur fürs Fernsehen und nur für 26 Minuten, dafür immerhin von Cartoon-Legende Chuck Jones in Szene gesetzt und von Boris »Fran­ken­stein« Karloff einge­spro­chen. Aber einen Grinch-Zeichen­trick­film in voller Kinolänge? Gab’s noch nicht.

Und deshalb gibt es ihn natürlich jetzt und – wie auch sonst – als gemein plat­ziertes Bonmot zur Vorweih­nachts­zeit. Und weil jeder ja von Geschenken nicht genug kriegen kann, wird noch einmal drauf­ge­packt: denn weil sich dieses Stoffes niemand anderes als die »Illu­mi­na­tion«- Studios ange­nommen haben, die in den letzten Jahren vor allem mit ihrem Minions-Franchise Geld wie Heu geschef­felt haben, gibt es zum Grinch den Minion-Vorfilm »Yellow Is The New Black« als Dreingabe, der zum ersten Mal seit langem wieder zeigt, was etwa der letzte Minion-Ableger vermissen ließ: dass man das Figu­ren­per­sonal der Minions vor allem mit ihrem wunderbar subver­siven Potential ausreizen sollte, auch wenn man hier nebenbei auch noch ganz dreist Netflix para­phra­siert.

Aus der Gefängnis-Welt der Minions in die des Grinch geworfen zu werden, ist dann aller­dings ein ziemlich kathar­ti­scher Schock, denn die Welt der normalen Menschen, die bei Dr. Seuss als »Whos« bezeichnet werden, ist so knall­bon­bon­bunt, so triefend voller Kitsch und gruse­liger, vorweih­nacht­li­cher Rühr­se­lig­keit animiert, dass man »Whoville« mit seinen »Whos« am liebsten einem Massaker aussetzen möchte. Für das ist dann natürlich der Grinch zuständig, der in der deutschen Fassung mit Otto Walkes synchro­ni­siert wird, im engli­schen Original ein wenig diabo­li­scher mit Benedict Cumber­batch. Aber egal: Otto mag die Düsternis des Grinch ein wenig zu verlaust trans­por­tieren, für seine thera­peu­ti­sche Höllen­fahrt in die eigene Kindheit, die Dialoge mit seinem Hund Max und Cindy Lou ist das Ottosche Marken­zei­chen der verschleppt-verblö­delten Wort­füh­rung dann genau das Richtige. Und auch des Grinch erster Besuch in Whoville – sicher­lich wegen seiner gelun­genen Kontras­tie­rung zwischen Sehnsucht nach Harmonie auf der einen und Abscheu vor derglei­chen auf der anderen Seite einer der Höhe­punkte dieser Verfil­mung – bleibt mit Ottos Stimm­ge­bung die notwendig perplexe Grundlage für die kommenden Ereig­nisse.

Die Regie von Scott Mosier und Yarrow Cheney folgt hier zwar mit liebe­vollen Ergän­zungen und Gedan­ken­spielen Geisels Buch, doch die eigent­liche Intention von Geisel, auch eine vorsich­tige Kritik am unsäg­li­chen Mate­ria­lismus des Weih­nachts­festes zu formu­lieren, kommt in der Verfil­mung zu kurz, hätte bösar­tiger und subver­siver gesetzt werden können. Statt­dessen bleibt die Gier nach Geschenken eine Rander­schei­nung, wird mehr am Grinch und seiner trau­ma­ti­sierten Kindheit gehobelt als am kollek­tiven Irrsinn unserer Gesell­schaft. Damit folgt der Grinch – so wie im Buch – seiner lite­ra­ri­schen Blaupause, Charles Dickens' Weih­nachts­ge­schichte (1) und Scrooges »Mensch­wer­dung«, aber Spaß macht das einem über­zeugten Grinch nicht wirklich.

Deshalb sei jedem Grinch geraten, dem es mit seinem Grinch­sein wirklich ernst ist, sich für die letzten zehn Grinch-Minuten die Popcorn­reste ins Süßge­tränk zu kippen, um dann mit den sowohl gehör­gang­kon­form gerun­deten als auch augen­tel­ler­platt formbaren »Popcorn­po­peln« sowohl die Ohren zuzu­stopfen als auch die Augen zuzu­kle­is­tern. Denn das, was dann kommt, ist nun wirklich keine Therapie mehr, sondern aggres­sivste Trau­ma­ti­sie­rung.

1. Für die lite­ra­risch Inter­es­sierten, aber auch alle Fans von Mario­net­ten­theater ist ein Abgleich in diesen Tagen per Double-Feature möglich, denn eine recht text­ge­naue Inter­pre­ta­tion von Dickens' Geschichte läuft diese Weih­nachten zeit­gleich mit dem Grinch an – als Geister der Weihnacht, einer filmi­schen Auskop­pe­lung der Augs­burger Puppen­kiste.