Green Book – Eine besondere Freundschaft

Green Book

USA 2018 · 131 min. · FSK: ab 6
Regie: Peter Farrelly
Drehbuch: , ,
Kamera: Sean Porter
Darsteller: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini, Dimiter D. Marinov, Mike Hatton u.a.
Subtile Auseinandersetzung mit weißen Selbstermächtigungsstrategien

Ziemlich schlechte Freunde

»What a blessed relief is laughter. It flies in the face of manners, values, political correct­ness and decorum. It exposes us for what we are, the only animal with a sense of humor.«Roger Ebert, »There’s Something About Mary«, Chicago Sun-Times, 15. Juli 1998

Wie allge­gen­wärtig das Thema Rassismus in den USA ist, zeigt sich wie fast jedes Jahr auch auf dem dies­jäh­rigen Sundance Film­fes­tival, das kommenden Sonntag zu Ende geht. Eine Doku­men­ta­tion wie Always In Season von Jacque­line Olive über eine bis in die Gegenwart reichende Lynch­justiz gegenüber Afro-Ameri­ka­nern ist dort ebenso präsent und heftig disku­tiert wie die Welt­pre­miere von Rashid Johnsons Native Son. Theater- und Dreh­buch­au­torin Suzan-Lori Parks, die Richard Wrights Roman über das Leben eines Afro­ame­ri­ka­ners in den 1930er Jahren in unsere heutige Zeit trans­for­miert hat, recht­fer­tigt die inzwi­schen dritte Verfil­mung dieses Klas­si­kers auch damit, dass der Rassismus in Amerika nicht nur nicht über­wunden sei, sondern man ja weiterhin nicht mal wisse, wie man darüber sprechen und schreiben soll.

Dementspre­chend facet­ten­reich sehen sich die Filme, die gerade entstehen und die Teil einer afro-ameri­ka­ni­schen Selbst­er­mäch­ti­gungs­welle sind, die im letzten Jahr mit Black Panther auch erstmals eine Super­helden-Block­buster-Produk­tion angespült hat. Die eigent­liche Ausein­an­der­set­zung mit dem alltäg­li­chen und histo­ri­schen Rassismus ist jedoch wie in diesem Jahr in Sundance weitaus komplexer und erinnert tatsäch­lich an die von Suzan-Lori Parks in den Raum gestellte kreative Suche nach Ausdrucks­mög­lich­keiten, um Rassismus am wirkungs­vollsten zu begegnen. Haben wir in den letzten zwei Jahren Filme wie Raoul Pecks I Am Not Your Negro oder Jordan Peeles Get Out gesehen, die unter­schied­li­cher nicht hätten sein können, so beginnt auch dieses Jahr mit kreativen Ausnah­me­er­schei­nungen, läuft doch nur zwei Wochen vor Barry Jenkins' Verfil­mung eines James Baldwin-Romans – If Beale Street Could Talk – der auch ins Oscar-Rennen gehende Green Book von Peter Farrelly an.

Anders als der bitter-ernste und subtil-schöne Film von Jenkins, der eine fast schon ikono­gra­fi­sche »Blackness« der 1970er mani­fes­tiert, geht Farrelly den Weg über die Komödie, um eine ebenso bittere Geschichte wie die von Jenkins zu erzählen. Dass Humor durchaus ein adäquates Mittel sein kann, Rassismus im Film zu entlarven, hat Jordan Peele mit Get Out erfolg­reich gezeigt. Farrelly wirft jedoch eine völlig andere komö­di­an­ti­sche Tradition mit ins Rennen. Einige der Filme, die Farrelly mit seinem Bruder Bobby gedreht hat – Dumm und Dümmer (1994) oder Verrückt nach Mary (1998) –, gelten inzwi­schen als moderne Meilen­steine der ameri­ka­ni­schen (Slapstick-)Komödie, und selbst komö­di­an­ti­sche Grenz­gänge wie Die Stooges – Drei Voll­pfosten drehen ab (2012) mit ihren radikalen Rund­um­schlägen gegen alles und jeden mögen nicht jedem gefallen, sind aber bis in die kleinste Slap­stick­nummer perfekt und auf den Punkt choreo­gra­phiert.

Ohne Slapstick auch nur im Entfern­testen anzu­deuten, ist Farrellys ideales Timing und über­ra­gende Dialog­a­kro­batik auch in Green Book omni­prä­sent. Was umso wichtiger ist, als Farrelly eine Geschichte erzählt, die dieses Timing braucht, um auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Humor nicht zu stolpern. Ein Grat, der umso schmaler ist, als Green Book gleich mehrere Geschichten erzählt. Da ist die des Italo-Ameri­ka­ners Frank »Tony Lip« Vallo­langa (Viggo Mortensen, zuletzt in Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück), der in den frühen 1960ern sein Leben mit Frau und Kindern als Türsteher finan­ziert, und da ist die des Afro-Ameri­ka­ners »Doc« Don Shirley (Mahers­hala Ali, zuletzt in Moonlight), einer der erfolg­reichsten Jazz-Pianisten seiner Zeit, der endlich auch einmal eine Konzert­reise in den Süden der USA wagen will – ohne weißen Body Guard, weißen Fahrer und einen weißen Tour-Operator ein Ding der Unmög­lich­keit. Damit ist auch die dritte Erzäh­le­bene etabliert, die der alltäg­li­chen Apartheid im Süden der USA. Und natürlich sind das alles, wie in diesen nach »Wahrheit« dürs­tenden Zeiten üblich, »wahre« Geschichten, setzt das Drehbuch von Farrelly, Brian Currie und Tony Lips Sohn Nick Valle­longa auf den Inter­views auf, die Nick Valle­longa mit seinem Vater und Shirley geführt hat, und den Briefen, die Tony Lip während der zwei­mo­na­tigen Tournee mit Shirley an seine Mutter geschrieben hat. Aber wie das so ist mit der »Wahrheit« in diesen Tagen, werden auch im Fall Shirley bereits Zweifel an der vermeint­li­chen Authen­ti­zität erhoben, wehren sich Shirleys Nach­kommen gegen die Darstel­lung von Shirley und Tony in Farrellys Film.

Mit dem Start der Tournee werden die drei narra­tiven Haupt­stränge – wahr oder nicht wahr – mehr und mehr verwoben. Und sie erzeugen mit jeder weiteren erzäh­le­ri­schen Windung die tragi­ko­mi­sche Reibung, die den eigent­li­chen Reiz von Green Book ausmacht und ihn für mich zu einem der besten Filme der letzten Monate macht. Denn auf jedes tragisch-drama­ti­sche Ereignis – vorrangig Konfron­ta­tionen mit rassis­ti­schem Kontext – folgen in Road-Movie-Abschnitte einge­bet­tete schwarz-und-weiß-humorige Dialog­pas­sagen zwischen Shirley und Tony, die zum einen zeigen, wie groß der Graben zwischen dem hoch­ge­bil­deten, wohl­ha­benden Jazz-Pianisten und dem bildungs­fernen, aus ärmlichen Verhält­nissen stam­menden Italo-Ameri­kaner ist. Gleich­zeitig aber dekon­stru­ieren sie auf über­ra­schende Weise das rassis­ti­sche Narrativ, zeigen sie doch genau das, was im Rassis­mus­dis­kurs tabu ist, nämlich anzu­er­kennen, wie gleich der Mensch in seiner Ungleich­heit ist.

Doch nicht nur auf dieser Ebene verwehrt sich Farrelly stereo­typen Erwar­tungs­hal­tungen. Denn Green Book begeht vor allem nicht den Fehler, den ein personell ähnlich dispo­nierter Film wie Ziemlich beste Freunde macht, in dem bei ober­fläch­li­cher Rassismus-Kritik subkutan dann doch nur die alten weißen Selbst­er­mäch­ti­gungs­stra­te­gien fort­ge­schrieben werden. In Green Book ist der Schwarze nicht der Natur­bur­sche, der tanzen kann und die Emotio­na­lität für sich gepachtet hat; nein, hier ist der Schwarze der Intel­lek­tu­elle, der Steife, der Erfolg­reiche, der mit klas­si­scher Musik sozia­li­siert wurde. Dafür hört der Weiße »schwarze« Musik und ist bereit, Leute zusam­men­zu­schlagen und zu lügen. Und selbst diese im Ansatz ja auch schon wieder zu hinter­fra­gende verkappt rassis­ti­sche Attitüde – der Weiße kehre zu seiner Hoch­kultur zurück, der Schwarze zu seinen Blues-Wurzeln – wird durch charak­ter­liche Hart­nä­ckig­keit und ironi­sches Finetu­ning auch gleich wieder entmachtet.

Doch selbst mit dieser expli­ziten Gegen­schrei­bung gibt sich Farrelly nicht zufrieden, sondern mischt die Karten noch einmal neu, und das immer wieder, mit jeder weiteren Station, mit der sich die Tournee in den Süden der USA hinein­windet, stets mit dem legen­dären »Negro Motorist Green Book« im Hand­schuh­fach, das dem Film seinen Namen gibt und uner­läss­lich dafür war, um die wenigen Motels, Restau­rants und Tank­stellen zu finden, die schwarze Gäste akzep­tierten.

Green Book ist aber nicht nur ein schau­spie­le­risch über­ra­gender, span­nender, humor­voller, düsterer und hoff­nungs­voller Film über das Überleben in Apart­heids-Struk­turen und ihrer Dekon­struk­tion, ein Film über Freund­schaft und ihre Grenzen, über Armut und Reichtum, sondern auch ein kluges Statement über Musik, die wie ein eigen­s­tän­diger Dialog die vierte Geschichte im Film erzählt und die wichtige Frage stellt, inwieweit Musik Identität überhaupt stiften – und am Ende auch: retten kann.

Schwarzweiße Tastenschläge

Den ganzen Winter lang mit Hot-Dog-Wett­be­werben das restliche Geld für die Familie auftreiben und hin und wieder Geschäfte für die Jungs von der Mafia erledigen? Der Raus­schmeißer Tony Valle­longa, in seinem Viertel in der New Yorker Bronx auch als Tony »Lip« bekannt, steht blöd da, als der Nachtclub, in dem er arbeitet, wegen Reno­vie­rung schließt. Doch es fährt ein viel lukra­ti­veres Angebot vor: mit einem blau-glän­zenden Cadillac soll er ein paar Wochen lang für gutes Geld seinen Auftrag­geber von Auftritt zu Auftritt chauf­fieren. Was nach einem geschenkten Deal aussieht, konfron­tiert den einfachen Arbeiter italie­ni­scher Einwan­derer mit seinen eigenen Grenzen, denn der teure Schlitten gehört einem Afro­ame­ri­kaner aus sehr gutem Hause. Und in den 60er Jahren war es immer noch ein gesell­schaft­li­ches Tabu, für einen Schwarzen zu arbeiten.

Der verfres­sene Tony, gespielt von einem wohl genährten Viggo Mortensen, lässt sich dann doch überreden, als Fahrer für den talen­tierten Pianisten Dr. Don Shirley (Mahers­hala Ali) zu arbeiten, der eine Tour durch die Südstaaten der USA geben will. Während Tony in den Nacht­clubs der New Yorker High-Society Probleme gerne mit Schlägen gelöst hat, schlägt Dr. Don Shirley ener­ge­tisch in die Klavier­tasten seines Steinway und füllt mit Stücken von Chopin die Konzertsäle des Landes. Auch wenn die Töne vom Kompo­nisten des Filmes, Kris Bower, stammen, sieht man Darsteller Mahers­hala Ali an, wie er all die ange­staute Wut und Enttäu­schung des schwarzen Pianisten durch seinen Körper strömen und – wenigs­tens für einen Moment – jedes Vorurteil im Keim ersticken lässt: dieser Mann kann Klavier spielen. So porträ­tiert der Film, der auf wahren Bege­ben­heiten beruht, eine der wenigen Persön­lich­keiten, die zu Beginn der 60er Jahre als Afro-Ameri­kaner von den Bildungs­eliten des Landes Aner­ken­nung genossen.

Im Stil eines Road­mo­vies, jedoch auf den edel gepols­terten Sesseln des Cadillacs, zwischen Kentucky-Fried-Chicken, Diskus­sionen über »schwarze« Musik und schnul­zigen Liebes­briefen an Tonys Ehefrau, entsteht eine uner­war­tete Freund­schaft à la Ziemlich beste Freunde. Die Gewalt­be­reit­schaft des Schlä­ger­typs ist auch hier der Schutz des sensiblen Virtuosen, denn als Afro-Ameri­kaner muss sich der Pianist trotz seines Erfolges mit den rassis­ti­schen Vorur­teilen und Spiel­re­geln der Segre­ga­tion abfinden, an denen in den 1960er Jahren offen und schamlos fest­ge­halten wird. So ist auch der Titel eine Anspie­lung auf den »Green Book« genannten Reise­führer, der sich zwischen 1936 und 1966 speziell an Schwarze richtete und für sie »rassen­freund­liche« und sichere Motels und Restau­rants auflis­tete.

Durch die Mischung aus Drama, das sich an wahren Bege­ben­heiten orien­tiert, und Komödie, in der die Unter­schiede der beiden Haupt­fi­guren gegen­ein­ander ausge­spielt werden und mit der es sich bekannt­lich leichter über schwie­rige Themen wie Rassismus und Ausgren­zung sprechen lässt, reiht sich Green Book ein in ein Hollywood-Kino in Zeiten von Trump, Poli­zei­ge­walt gegen Schwarze und einem politisch und sozial tief gespal­tenen Amerika. Doch wie die Spiel­stätten auf der Südstaa­ten­tour abge­klap­pert werden, so werden auch die Szenen abge­ar­beitet. Über lange Strecken hinweg hält ein Damm an guten Manieren und eloquentem Reden an, der der bedrü­ckenden und rassen­feind­li­chen Stimmung stand­halten muss, ohne dass es zu einer wirk­li­chen Eska­la­tion kommt. Und am Ende schaffen es Tony und Shirley doch noch aus den Fängen der Lokal­po­lizei ins traute Heim der italie­ni­schen Familie und somit zu einem versöhn­li­chen Ende zu gelangen. Ja, der Film erzählt eine einzig­ar­tige Geschichte. Ja, er zeigt die Situation der Schwarzen in den Südstaaten der 60er-Jahre. Aber am Schluss bleibt ein mulmiges Gefühl. Hat sich seitdem etwas verändert?

Anekdoten-Rassismus

Das Einzige was ich im voraus über Green Book gehört hatte, war in der Schlange zur Kinokasse: Hier unter­hielten sich mehrere Leute lautstark darüber, dass Green Book wohl auch einer der Oscar-Favoriten werden könnte und dass man sich auf den Film freuen sollte. Sie wussten auch schon um das zentrale Thema des Filmes, Rassismus, und dass hierdurch schon öfters »Oscar-Filme« zustande gekommen wären. So viel also zum unvor­ein­ge­nom­menen Film­schauen.

Nachdem ich nun Green Book gesehen habe, muss ich aller­dings ernüch­tert sagen, dass der Rassismus, den der Film aufwirft, reines Beiwerk bleibt. Bei Green Book handelt es sich um eine Komödie mit drama­ti­schen Elementen von Peter Farrelly, den man als Regisseur von eher platten Komödien wie z.B. Dumm und Dümmehr (2014) kennt.

Für Green Book hat er die wahre Geschichte einer Konzert­tournee des schwarzen Pianisten Don Shirley in den 1960er Jahren in die Südstaaten der USA verar­beitet: Damals herrschten dort noch die Jim-Crow-Gesetze, welche die Segre­ga­tion der weißen und schwarzen Bevöl­ke­rung vorschrieben und in diesem unver­brauchten Schau­platz reisen die zwei Prot­ago­nisten Richtung Süden. Frank »Tony Lip« Valle­longa (Viggo Mortensen) ist hier der Chauffeur des berühmten Pianisten Don Shirley, gespielt von Mahers­hala Ali, bekannt für seine Oscar-Rolle in Moonlight (2016), und die zwei haben einige amüsante Inter­ak­tionen und drama­ti­sche Szenen und werden auf ihrer Tour langsam »ziemlich beste Freunde«. Aber gerade hierin liegt die Krux des Filmes: sein Umgang mit Rassismus.

Diskri­mi­nie­rung wird durch die sich auf der Fahrt chro­no­lo­gisch anein­an­der­rei­henden kurzen Szenen anek­do­tisch gezeigt: Mal wird Don Shirley nicht die normale Toilette gestattet, und er reagiert entspre­chend, mal anders werden die zwei Prot­ago­nisten blöde ange­gangen, weil der Schwarze der Chef des Weißen ist und nicht umgekehrt, was die damalige gesell­schaft­liche Norm wäre. Was in den Szenen an Diskri­mi­nie­rung passiert, scho­ckiert – zumindest die Zuschauer – anfangs schon. Die Szenen bleiben jedoch völlig konse­quenzlos für die Figu­ren­ent­wick­lung. Die Figuren entwi­ckeln sich zwar, aber nicht wegen besagten rassis­ti­schen Schock-Momenten, sondern einfach nur, weil die zwei Haupt­fi­guren mitein­ander inter­agieren, der Rassismus ist hier weder Kata­ly­sator noch Grund für die Verän­de­rung, er ist lediglich Beiwerk der Situation.

Durch die Folgen­lo­sig­keit verblasst der Diskri­mi­nie­rungs-Schock immer mehr: spätes­tens bei der dritten derar­tigen Szene hat man sich als Zuschauer an den gezeigten Alltags­ras­sismus gewöhnt. Ironi­scher­weise stellt der Film so den Rassismus der 60er Jahre korrekt dar, denn der Status quo bedeutete, dass Diskri­mi­nie­rungen in der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft akzep­tiert waren und als normal angesehen wurden. Ganz und gar unfrei­willig jedoch erwirkt der Film diesen Norma­li­sie­rungs-Effekt auch beim Zuschauer, der für all das nur noch ein Achsel­zu­cken übrig hat.

Dieser Gewöh­nungs­ef­fekt ist aber letztlich nur eine Folge der Strategie des Regis­seurs, denn er will einfach nur verhin­dern, dass der Film zu ernst und drama­tisch wird. Der Rassismus ist für ihn zwar der Motor der Komödie, aber Stör­geräu­sche darf dieser keine verur­sa­chen. Und als reine Komödie klappt der Streifen hervor­ra­gend, der Humor funk­tio­niert wunderbar und gerade Morten­sens perfekt antrai­nierter italo­ame­ri­ka­ni­scher Brooklyn-Dialekt setzt hier Höhe­punkte. Wenn Tony Lip Shirley zum ersten Mal frit­tiertes Hähnchen aufdrängt und dieser daraufhin erst ange­wi­dert reagiert, aber dann mit dem ersten Bissen begeis­tert ist und Tony dies mit einem im perfekten Brooklyn-Slang gespro­chenen »told you so« quittiert, kann man schon mal lachen.

Doch als Oscar-Bait kann man diesen Film nun wirklich nicht verhan­deln, denn genau die intrin­sisch wichtige Thematik um Rassismus verkommt einfach zum Beiwerk und Hinter­grund für diese Roadmovie-Komödie. Wie viel besser hätte Green Book doch werden können, hätte sich der Film ernsthaft mit der Rassismus-Proble­matik ausein­ander gesetzt. Andere hoch­ge­prie­sene Komödien mit drama­ti­schen Elementen schaffen es deutlich besser, sich mit ihrem ernsten Hinter­grund zu arran­gieren und ihn zu proble­ma­ti­sieren, z.B. schafft es Forrest Gump (1994) sich hervor­ra­gend mit der Tragödie des Viet­nam­krieges ausein­an­der­zu­setzen ohne ihn zu verharm­losen. Dass Green Book neben dem verdienten Golden-Globe für die Beste Komödie jetzt auch noch den Golden-Globe für das beste Drehbuch gewinnen konnte, lässt mich ernsthaft an der Jury des Preises zweifeln. Oder war das mal wieder eine poli­ti­sche Geste aus Hollywood?

Nirgends richtig?!

USA, Südstaaten, 1962. Ein blaues Auto fährt durch die unend­li­chen Weiten des ameri­ka­ni­schen Südens. In ihm sitzen zwei Männer unter­schied­li­cher Hautfarbe. Während der Fahrer ohne Punkt und Komma redet, sitzt Dr. Shirley, ein Afro­ame­ri­kaner elegant, aber ange­spannt auf dem Rücksitz, eine Decke über seinem Schoß. Ein Bild, das in dem neuen Film Green Book von Peter Farrelly immer wieder auftaucht und das Bild eines American-60s-Road-Movie vermit­telt.

Green Book erzählt die auf einer wahren Bege­ben­heit beruhende Geschichte von Tony Valle­longa, einem Italo-Ameri­kaner, der auf der Suche nach einem neuen Job auf Dr. Shirley trifft. Dieser ist ein begna­deter Pianist von schwarzer Hautfarbe, der mit seinem Trio die nächste Tournee in den Südstaaten Amerikas spielen möchte. Für die Tour sucht er einen Fahrer und findet ihn in Tony Valle­longa. Ein Problem der Tournee und damit auch eine der zentralen Thema­tiken des Filmes ist dabei, dass die beiden ihre Reise nach dem »Negro Motorist Green Book« führen müssen, einem Wegweiser für afro­ame­ri­ka­ni­sche Auto­fahrer, der die wenigen Unter­künfte und Restau­rants für Schwarze auflistet, die es im Süden Amerikas zu finden gibt.

Doch warum wählt der Regisseur ein solches Thema? Weil sich die Zeit der 1960er Jahre heute in Amerika zu wieder­holen droht? Viel­leicht. Der Film ist jedoch viel mehr als nur eine Geschichte über die Rassen­dis­kri­mi­nie­rung. Denn Peter Farrelly gelingt es, innerhalb einer kurzen Zeit­spanne weit mehr Themen aufzu­greifen als die Rassen­tren­nung. Es geht vielmehr auch um Freund­schaft, Gewalt, Homo­se­xua­lität und um die Selbsti­den­tität von Dr. Shirley in einer Welt, in der er glaubt, nirgends richtig zu sein. Kurz und gut: Es geht um nichts weniger als ums Mensch­sein. Darge­stellt an zwei Menschen, die unter­schied­li­cher nicht sein können. Doch schaffen es genau diese beiden im Verlaufe des Filmes eine Freund­schaft aufzu­bauen, die zu Beginn schlichtweg unmöglich schien. Die Gegen­sätze zwischen dem unglei­chen Figu­ren­paar sind es jedoch, die die Komödie befeuern. Denn oder auch gerade deshalb, bieten die allzu mensch­li­chen Figuren ein hervor­ra­gendes Inden­ti­fi­ka­ti­ons­an­gebot. Allzu gerne taucht man ganz in die Geschichte ein.

Definiert wird der Film vor allem durch seine Figuren, darstel­le­risch weiß vor allem Mahers­hala Ali als Dr. Shirley zu über­zeugen. Peter Farelly stellt die Klischees auf den Kopf, die rassen­tren­nend das Denken in zwei Hälften teilt. Dr. Shirley ist homo­se­xuell und schwarz, lebt aller­dings in bester Wohnlage und ist, bedingt durch seine Kunst, zu großem Reichtum gelangt. Er hält sich an Regeln und die Rassen­ge­setze, aber viel wichtiger, folgt er seinen eigenen Moral­vor­stel­lungen. Tony ist weiß und zu Beginn des Filmes durchaus rassis­tisch. Als zwei schwarze Arbeiter in seinem Haus den Abfluss repa­rieren, schmeißt er kurzer­hand die Gläser, aus denen sie getrunken haben, in den Müll (anstatt sie abzu­spülen). Tony ist eher als der stereo­type »Schwarze« gezeichnet, folgt man den Rassen­kli­schees. Er ist ein Mann, der sich seine eigenen Gesetze macht. Er steht kurz vor dem Bankrott und lebt in einem gefähr­li­chen Viertel, ist Türsteher in einem Club und ist sich auch nicht zu fein, den einen oder anderen Gast mit sanfter und nicht so sanfter Gewalt aus dem Lokal zu entfernen. Eine Umkehrung von Klischees, mit denen es sich der Film in dieser Hinsicht ein bisschen zu leicht macht, da es allzu durch­schaubar ist. Denn wo nur die Klischees vertauscht werden, passiert noch lange kein zu thema­ti­sie­render Aufprall oder gar eine gesell­schafts­kri­ti­sche Proble­ma­ti­sie­rung der Rassen­tren­nung. Die Folge ist, dass daraus nur ein Feelgood-Movie entsteht, welches zwar versucht eine perma­nente Message zu vermit­teln, sich aber zwischen­durch selbst verliert. Denn es ist nicht voll­kommen klar, worauf der Film wirklich hinaus will. Durch die doch häufig vorkom­mende Komik, bedingt durch den Gegensatz der Figuren, verliert die Schwere der Rassen­the­matik ihre Wirkung und hinter­lässt ein Gefühl der komö­di­an­ti­schen Verwir­rung.

Die Gegen­sätze der beiden Figuren Dr. Shirley und Tony »Lip« (ein Spitzname, den er sich aufgrund seines losen Mund­werkes ange­eignet hat), ziehen sich drama­tur­gisch durch den gesamten Film und machen in zugleich ehrlich, witzig, leicht und skurril. Hier erscheint aller­dings auch eine Schwach­stelle des Filmes. Ein Film, der so sehr darauf ausgelegt ist, mithilfe der Figuren eine Geschichte zu erzählen, braucht Charak­tere, die an manchen Stellen facet­ten­rei­cher gebaut sind. Vor allem Tonys Charak­ter­ent­wick­lung fehlt und macht ihn als Figur schlicht zu glatt. Schwer ist es nämlich zu glauben, dass ein Macho wie Tony bei einer acht­wöchigen Abwe­sen­heit von seiner Frau nicht ein einziges Mal in Versu­chung kommt und keiner anderen Frau hinter­her­guckt. Erneut wurde hier wieder zu sehr auf ein Feelgood-Movie gebaut, denn Tony ist von Beginn der Tournee bis zum Ende der perfekte Fahrer für Dr. Shirley und holt ihn aus den brenz­ligsten Situa­tionen heraus. Die Thema­ti­sie­rung, ob Tony sich dabei auch Problemen konfron­tiert sieht, kommt zu kurz und nimmt dadurch sowohl dem Film als auch dem Charakter die nötige Tiefe.

Doch ist das schlicht viel­leicht einfach nicht das Thema des Filmes. Green Book ist ein Film, der nicht nur inhalt­lich, sondern auch ästhe­tisch besonders viel mit dem Schwarz­weiß-Gegensatz spielt. Dr. Shirley ist ein schwarzer Pianist, der auf einem Klavier spielt, bei dem der Klang ohne die schwarzen Tasten nicht funk­tio­nieren würde. Er ist umringt von weißen Menschen in den Südstaaten Amerikas. Doch nicht nur die Menschen sind weiß. Nicht untypisch für Amerika sind viele Bilder durch­zogen von weißen Villen, wie man sie aus dem Süden Amerikas kennt. Weiße Villen von weißen Menschen in weißen Anzügen – die Bilder stoßen einen geradezu darauf hin, dass Dr. Shirley nicht in diese Welt gehört.

Doch in welche Welt gehört er? Außer­ge­wöhn­lich ist dieser Film, weil er beim Thema Zugehö­rig­keit einen anderen Bogen einschlägt. Dr. Shirley, der als Schwarzer nicht einmal die Musik der schwarzen Soul-Ikone Aretha Franklin hört, glaubt nirgendwo hinzu­passen. Er ist schwarz, gehört aber nicht zu seines­glei­chen. Er spielt jeden Abend vor weißen, reichen Ameri­ka­nerin, darf aber weder auf deren Toilette gehen noch im gleichen Restau­rant zu Abend­essen. Denn selbst Tonys Freunde und zu Beginn auch Tony selbst, sind davon überzeugt, dass Schwarze nichts wert sind. Wo gehört Dr. Shirley dann aber hin?

Er gehört genau dazwi­schen, nämlich sowohl zu den Schwarzen als auch zu den Weißen. Soweit, dass er am Ende sogar Weih­nachten zusammen mit Tony und seiner Familie verbringt. Ein Ende, das allein dem ameri­ka­ni­schen Bedürfnis nach Harmonie und großem finalen Hollywood-Fest genüge tut, es aber ansonsten gar nicht braucht. Denn dem Film gelingt es, auch ohne am Ende auf die Tränen­drüse zu drücken, nach­denk­lich zu machen. Und auch wenn der Film bedingt durch seinen Inhalt auch ein bisschen traurig sein darf, hat es über weite Strecken aber vor allem eins gemacht: Spaß beim Zugucken. Den Schau­spie­lern und den Dialogen sei Dank.

Playlist des Rassismus

Tony und Doktor Shirley sitzen im Auto, fahren durch die Verei­nigten Staaten von Amerika und essen einen Eimer voll mit Hähn­chen­flügel des Fast-Food-Restau­rants Kentucky Fried Chicken. Zu Beginn traut sich Shirley, der gewöhn­lich nur hoch­wer­tige Speisen zu sich nimmt und dieses »Gericht« zum ersten Mal isst, noch nicht, die Flügel anzu­fassen, was sich jedoch dank Tony schnell ändert. Schließ­lich schmecken ihm die frit­tierten Flügel richtig gut. Man kann die Freude und Leich­tig­keit, die in sein Gesicht kommen, erkennen.

Eine Szene, die einem ein Schmun­zeln ins Gesicht zaubert und gleich­zeitig berührt. Eine entste­hende Freund­schaft zweier grund­ver­schie­dener Männer, die einen zum Lachen bringt und das Herz erwärmt. Und genau das möchte Regisseur Peter Farrelly erreichen: »Ich glaube an diesen Film. Ich denke, dass er die Herzen und Gedanken schritt­weise ändern wird.«

Der Film spielt in den 1960er Jahren über­wie­gend in den Südstaaten, welche zu dieser Zeit vom Rassismus dominiert wurden. Im Zentrum des Films stehen der Pianist Don Shirley und sein ameri­ka­nisch-italie­ni­scher, anfangs rassis­ti­scher, Fahrer Tony »Lip« Valle­longa. Gemeinsam begeben sie sich in den auf eine Konzert-Tournee von New York bis in die Südstaaten der USA. Es ist die Zeit vor der Bürger­rechts­be­we­gung Martin Luther Kings. Ihre Tournee müssen sie daher mit dem titel­ge­benden Negro Motorist Green Book planen. »Green Book« ist ein Reise­führer für schwarze Auto­fahrer, der die wenigen Unter­künfte, Restau­rants und Tank­stellen beinhaltet, die auch afro­ame­ri­ka­ni­sche Gäste bedienen. Trotz der anfäng­li­chen Skepsis des aus einfachen Verhält­nissen stam­menden Tony Lip (gespielt von Viggo Mortensen) gegenüber seines gebil­deten, schwarzen Vorge­setzten, (gespielt von Mahers­hala Ali), freunden sich die beiden im Laufe des Films, nach gemeinsam erlebten Höhen und Tiefen, an. Hierbei lernen sie das gegen­sätz­liche Leben des jeweils anderen kennen und sich zu respek­tieren.

Auffällig sind die vertauschten Rollen der Haupt­fi­guren, wodurch mit Rassen­kli­schees gespielt wird. Das Ganze wird als vergnüg­liche Komödie der Gegen­sätze insze­niert, vermischt mit tragi­schen Ereig­nissen, welche den damaligen Rassismus wider­spie­geln und den Film somit zu einer Tragi­komödie werden lassen. Der weiße Tony wird als leiden­schaft­li­cher Fami­li­en­mann und liebens­werter, ehren­hafter, jedoch unge­bil­deter Prolet (diese Eigen­schaften werden klischee­haft eher der schwarzen Bevöl­ke­rung zuge­schrieben) mit großem Mundwerk darge­stellt. Doktor Shirley kommt die Rolle des Gebil­deten zu, der sich gewählt ausdrückt und in seinen Maßan­zügen stets vornehm gekleidet ist, diese Eigen­schaften werden wiederum den weißen Bürgern zuge­ordnet. Inter­es­sant ist hier, dass es sich um eine Film­bio­grafie, welche auf einer wahren Bege­ben­heit basiert, handelt – die Figuren also wirklich in dieser Konstel­la­tion und mit diesen Eigen­schaften exis­tierten.

Szene auf Szene folgt in diesem geradeaus verlau­fenden Roadmovie, das die Südstaaten-Land­schaft durch­fährt.
Immer wieder werden im Laufe der Fahrt Aufnahmen Südstaaten-Land­schaften im Stile der 60er Jahre gezeigt, beispiels­weise ein aus der damaligen Zeit stam­mendes Kentucky Fried Chicken Restau­rant in dem US-Bundes­staat Kentucky. Dies lässt den Film sehr authen­tisch und realis­tisch wirken und der Zuschauer kann sich dadurch sehr gut in die Szenarien hinein­ver­setzen. Außerdem trennt der Film durch das Spielen mit Schärfe im Vorder­grund und Unschärfe im Hinter­grund das Wichtige (Vorder­grund) vom Unwich­tigen (Hinter­grund).

Begleitet wird der Film von der einer­seits klas­si­schen Piano-Musik, welche von Don Shirley bei seinen Auftritten gespielt wird und die ziemlich streng und ernst wirkt. Ande­rer­seits werden jedoch auch lockere Rock’n’Roll Songs wiebei­spiels­weise von Little Richard, welche Tony anmachen, im Auto während der Fahrt
gespielt. Diese Songs erzeugen eine lustige und erfri­schende Stimmung im Film. Die Musik unter­streicht ebenfalls die unter­schied­li­chen Lebens­weisen der beiden Haupt­dar­steller und verstärkt die vertauschten Rollen, da Don Shirley nicht einmal die Musik »seiner Leute« (der Schwarzen) kennt, diese jedoch von Tony gehört wird.

Das Haupt­thema des Films, Rassismus, wird in der Tragi­komödie ernst behandelt. Tragische Szenen, die den damaligen Rassismus im Süden der Verei­nigten Staaten von Amerika aufzeigen und an diese Zeit zurü­cker­in­nern, werden von lustigen und rührenden Szenarien abgelöst, welche die entste­hende, ungleiche Freund­schaft der beiden Haupt­dar­steller wider­spie­geln. Es gelingt dem Film, Heiter­keit zu verbreiten und dennoch den Rassismus der 1960er Jahre deutlich zu machen. Rassismus ist auch heute noch ein präsentes Thema, welches jedoch durch die Abschaf­fung der Rassen­ge­setze nicht mehr eine derart große Tragweite hat, jedoch nicht in Verges­sen­heit geraten sollte. Daran erinnert der Film. Green Book wird von großar­tigem Humor und sehr guten Schau­spie­lern, nicht nur den Haupt­dar­stel­lern, sondern auch der Neben­dar­stel­lerin Linda Cardel­lini als Tonys Frau, begleitet. Nicht umsonst gewann Mahers­hala Ali für seine Rolle des Don Shirley einen Golden Globe Award als bester Neben­dar­steller. Einneh­mend ist, dass die Figuren im Laufe des Films gegen­seitig vonein­ander lernen und die gemein­samen Erleb­nisse die Einstel­lungen der beiden unter­schied­li­chen Männer verändert. Das emotio­nale Ende wurde perfekt von Regisseur Peter Farrelly umgesetzt und beendet diese berührend-humor­volle und sehr sehens­werte Geschichte.
Der Film ist daher unter anderem für den Oscar nominiert und hat in der Nacht zum Montag bei der Verlei­hung der 76. Golden Globes in Los Angeles den Preis als »Beste Komödie« gewonnen.

Trip durch die Südstaaten

Zwei Männer, zwei Welt­an­schau­ungen, ein Auto. Aus verschie­denen Verhält­nissen, mit verschie­denen Ansichten und Werten sowie unter­schied­li­chen Inter­essen begeben sich der italie­nisch-stämmige Tony 'Lip' Valle­longa und der schwarze Pianist Dr. Don Shirley auf eine Reise durch den tiefsten Süden der USA, bei der diverse Hinder­nisse über­wunden werden müssen. Die Prot­ago­nisten lernen im Laufe des Films die Werte des anderen zuschätzen und entwi­ckeln eine Freund­schaft.

In Peter Farrellys Green Book sind die zu Beginn gegen­sätz­li­chen Charak­tere der prole­ta­ri­sche und, ja, rassis­ti­sche Türsteher Tony Valle­longa, der Gewalt nicht scheut, und der berühmte, schwarze Pianist Dr. Don Shirley, der auf Grund seines typisch »weißen« Reper­toires (klas­si­sche Klavier­musik) von seines­glei­chen nicht anerkannt wird, jedoch auch vom »White Man« der 1960er nicht akzep­tiert ist. Er beschließt eine Tournee durch die Südstaaten zu machen und engagiert dafür ausge­rechnet Tony Valle­longa als Fahrer.

Bei dem neuen Job für den gebil­deten Pianisten orien­tiert sich Tony Valle­longa an dem soge­nannten »Green Book«, einem Reise­führer, der den Aufent­halt für Farbige im Süden erleich­tern soll. Nichts­des­to­trotz wird die acht­wöchige Tour stets von Problemen durch­zogen, die von stereo­ty­pi­schen Vorur­teilen seitens Tony, über die Auffor­de­rung, das Plumpsklo für Schwarze im Garten zu benutzen bis hin zu gewalt­tä­tigen Über­griffen in einer Bar führen. Zu Beginn lässt sich der Musiker einiges bieten. Er folgt den Auffor­de­rungen, sich abseits der weißen Gäste aufzu­halten und lässt sich abschät­zige Kommen­tare gefallen. Je mehr Tony jedoch lernt, ihn wert­zu­schätzen und zu respek­tieren, desto mehr setzt er sich für seinen Arbeit­geber ein und hilft diesem, sich zu vertei­digen und auch mal 'nein' zu sagen, zum Beispiel, als er gebeten wird, in einer Besen­kammer zu essen, statt im Restau­rant, in dem er im Anschluss sein Konzert geben sollte. Dieses Mal beugt er sich den Weisungen nicht, verlässt das Luxus-Lokal und begibt sich in eine Jazzbar, in welcher er zum ersten Mal Aner­ken­nung bekommt und seinen Spaß an 'farbiger' Musik findet.

Peter Farrelly behandelt die Probleme des rassis­ti­schen Südens in einer idealen Balance zwischen Ernst und Spaß. Das zeigt sich zum Beispiel in einer Szene gegen Anfang des Films, als Tony Dr. Shirley »Fried chicken« anbietet, da laut ihm ja alle Farbigen »Fried chicken« mögen. Diese rassis­ti­sche Bemerkung wird im späteren Verlauf wieder­holt, jedoch kommt sie diesmal von einer ebenfalls dunkel­häu­tigen Köchin, die den Auftrag hatte, etwas zu kochen, das dem Pianisten mit Sicher­heit schmeckt. Diese beiden Szenen zeigen, dass bestimmte Vorur­teile vor allem dann als rassis­tisch angesehen werden, sobald sie von einer anderen ethni­schen Gruppe kundgetan werden.

Farrelly insze­niert den Film mit Happy-End leicht, lustig und unter­haltsam, ohne die Situation ins Lächer­liche zu ziehen, indem Alltags­si­tua­tionen mit erzie­he­ri­schen Elementen durch­zogen werden.

Ohne drama­ti­sche Wendung oder uner­war­tetem Twist ist dies ein Film, der den Zuschauer dennoch in seinen Bann zu ziehen vermag. Denn genau diese Unauf­ge­regt­heit bringt die Stärken des Films zum Vorschein: die Geschichte kann ungestört ihren Lauf nehmen und die Schau­spieler zeigen sich in ihrer Höchst­form. Die Chemie zwischen Viggo Mortensen (Tony Lip Valle­longa) und Mahers­hala Ali (Dr. Don Shirley) verändert sich mit der Geschichte: Wurden zu Beginn noch die gravie­renden Unter­schiede und Anti­pa­thie betont, so ergibt sich im Laufe des Films Sympathie und Freund­schaft, was in einem gemein­samen Weih­nachtsd­inner seinen Höhepunkt findet. Dafür erhielt der Film auch direkt mehrere Golden Globes als Beste Komödie, für das Beste Drehbuch und den Besten Neben­dar­steller, Mahers­hala Ali, der Dr. Don Shirley spielt.

Das Grund­schema und die grobe Thematik des Films sind zwar keine Novität, jedoch ist die Wahl der gegen­sätz­li­chen Figu­ren­paa­rung extra­or­dinär und verleiht der Umsetzung durch Alltags­witz und einem inter­es­sant einge­setzten stereo­typen Humor, der dem Zuschauer die klas­si­schen Gegen­sätze der Figuren, sowie die Aufklä­rung 'rassen­be­dingter' Vorur­teile vor Augen führen soll, etwas erfri­schendes, was Green Book durchaus sehens­wert macht.

Musikalisches Wohlfühlkino

Die wahre Geschichte einer wahren Freund­schaft. Der Italo-Ameri­kaner Tony »Lip« Valle­longa nimmt einen Job als Chauffeur und Beschützer für den Pianisten Dr. Don Shirley während seiner Konzert-Tournee in den frühen 1960er Jahren durch die Südstaaten der USA an. Tony, wunderbar lässig darge­stellt von Viggo Mortensen, ist ein Kerl aus der Bronx, der physi­schen Ausein­an­der­set­zungen nicht abgeneigt ist und der kulti­vierte, etwas eitle Doktor der Musik müssen auf ihrer Reise dem »Negro Motorist Green Book«, dem Reise­führer für dunkel­häu­tige Auto­fahrer folgen, der die Restau­rants und Hotels auflistet, in denen auch afro­ame­ri­ka­ni­sche Besucher bedient werden. Denn Dr. Don Shirley ist schwarz.

Auf der Reise bekommt Shirley, obwohl man sich streng an die Empfeh­lungen des Green Book hält, den Rassismus der Südstaaten zu spüren, von Hotel­be­sit­zern ebenso wie von Poli­zisten. Diesen begegnen die beiden mehr als einmal, doch aus der Willkür der Polizei können sie sich jedes Mal befreien. Tony selbst hat zu Beginn ebenfalls rassis­ti­sche Vorur­teile, ändert seine Meinung jedoch nach kurzer Zeit. Etwas zu schnell für jemanden, der zwei Gläser in den Müll wirft, weil dunkel­häu­tige Klempner daraus getrunken haben.

Doch so verschieden die beiden auch sein mögen, sechs Wochen lang permanent Zeit mitein­ander zu verbringen, schweißt zusammen. Auch wenn Tony gerne und viel quatscht, am besten noch mit vollem Mund, ganz das Gegenteil von Shirley und sehr zur dessen Missgunst, wird auch der irgend­wann aufge­schlos­sener und lässt sich von Tony sogar dazu überreden, Fast Food – »Kentucky Fried Chicken in Kentucky, das darf man sich auf keinen Fall entgehen lassen!« – zu essen. Und siehe da, es schmeckt ihm. So unter­schied­lich können die beiden Männer dann ja wohl gar nicht sein, oder? Aber Tony ist nicht derjenige, der verprü­gelt wird, als er in eine Bar geht. Und er ist auch nicht derjenige, der von seinem Gast- und Auftrag­geber auf das Plumpsklo im Garten geschickt wird. Oder der, der am letzten Abend seiner Tournee nicht in dem Saal speisen darf, in dem er später noch ein Konzert geben soll. Doch hier gibt Shirley zum ersten Mal nicht sofort nach. Es scheint, als hätte Tony, der nicht versteht, wie sein Chef diese Diskri­mi­nie­rung erdulden kann, mit seiner Meinung nun doch Eindruck hinter­lassen. Shirley lässt ihn nun entscheiden, ob er nachgeben oder sein Konzert ausfallen lassen soll. Dass die Beiden kurz darauf in einer anderen Kneipe sitzen, ist keine Über­ra­schung. Auch keine Über­ra­schung ist der Ausgang der Geschichte. Denn wenn Tony und Shirley nach einer langen Fahrt durch schönstes Schnee­ge­stöber zu Hause ankommen, »Have yourself a merry little christmas« ertönt und Tonys Familie schon zum Weih­nachts­essen um den Tisch versam­melt ist, will man nur noch, dass der einsame Musiker in den Kreis aufge­nommen wird. Doch nicht ohne eine kleine Verzö­ge­rung.

Dies und die klaren Bilder von »Green Book«, die in warmen Herbst­farben gehalten sind, untermalt von authen­ti­schen Hinter­grund­geräu­schen, sind wunder­schön anzusehen. Die Geräusche und die Musik des Films fallen immer wieder auf. Das Thema der Musik, das sich mit dem Prot­ago­nisten zwangs­läufig ergibt, nimmt der Film nämlich wörtlich. Ob Rock 'n' Roll im Radio, R&B im Restau­rant oder die klas­si­sche Musik bei den Konzerten des Doctor, fast unun­ter­bro­chen ist Source-Musik zu hören.

Der Film war nominiert für fünf Golden Globes und gewann am Ende drei. Mahers­hala Ali als bester Neben­dar­steller für seine Darbie­tung des Don Shirley, das Drehbuch aus der Feder von Regisseur Peter Farrelly, Brian Currie und Nick Valle­longa, dem Sohn des echten Tony Lip. Der Golden Globe für den besten Film ging ebenfalls an Green Book. Jetzt bleibt abzu­warten, was die Oscars bringen…

Eine bunte Mischung

»Es braucht Mut, um die Herzen der Menschen zu ändern.« Ein bedeu­tungs­voller Satz, der von einer Welt spricht, die auf einen Helden wartet. Das Herz der Menschen verändert sich, wenn es berührt wird, zum Beispiel mit Musik oder einem emotio­nalen und guten Film. Auch wenn es bei den Themen Rassismus und Diskri­mi­nie­rung schwer ist, dass ein Mensch sich wandelt, so ist es doch nicht unmöglich. Das zumindest sugge­riert jetzt Green Book, die neue Tragi­komödie von Peter Farrelly.

In den 1960er Jahren muss Dr. Don Shirley wegen seiner dunklen Hautfarbe mit vielen Vorur­teilen zurecht­kommen. Dennoch macht er es sich zur Aufgabe, mit Hilfe seiner klas­si­schen Klavier­musik für ein gerechtes und schönes Mitein­ander der Menschen zu kämpfen. Mit dem Italo-Ameri­kaner Tony Lip wird die Kehrseite der Medaille darge­stellt, denn er hat, wie so viele in den 60er Jahren, eine Vorein­ge­nom­men­heit gegen Schwarze und zeigt diese Abneigung offen. Seine engstir­nige Meinung tut er kund, als er die Trink­gläser von schwarzen Hand­wer­kern einfach wegschmeißt, anstatt sie zu spülen. Eine gemein­same Reise der zwei Prot­ago­nisten, die auf der Basis des »Green Book«, ein Reise­führer für afro­ame­ri­ka­ni­sche Auto­fahrer, geplant wurde, beginnt als Band­tournee und endet mit positiven charak­ter­li­chen Verän­de­rungen bei Dr. Don Shirley und Tony Lip. Beide verbindet eine »beson­deren Freund­schaft«, wie der deutsche Titel sugge­riert, nicht ohne Anspie­lung auf Ziemlich beste Freunde. Auf ihrer Fahrt durch die Südstaaten lassen sie sich nach und nach immer mehr auf den anderen ein. Bis sie schließ­lich ihre Vorur­teile ablegen.

Peter Farrelly verleiht der auf Wahrheit beru­henden Geschichte Humor und zugleich eine gewisse Ernst­haf­tig­keit. Dadurch gestaltet er einen Film, der nicht nur gute Laune hinter­lässt, sondern auch zum Nach­denken anregt. Es ist im wahrsten Sinne keine Geschichte, die nur die weiße oder schwarze Seite skizziert. Es handelt sich um einen Film, der Schwarz und Weiß vermischt und dessen Resultat nicht grau, sondern bunt ist. Die Prot­ago­nisten, die durch ihre Herkunft und Vergan­gen­heit nicht unter­schied­li­cher sein könnten, finden Gemein­sam­keiten und machen die Stärken des anderen zu ihren Vorbil­dern.

Die klas­si­sche Konzert­musik, dazu Jazz und der melan­cho­li­sche Score von Kris Bowers lassen den Wandel von Shirley und Tony Lip spürbar werden. Die Musik wird hier deutlich in Szene gesetzt und klaut der Handlung die Show.

Dennoch: Irgend­etwas fehlt. Alle bekannten Faktoren und Stereo­typen zum Thema Rassismus werden brav abge­klap­pert und kaum ergeben sich Über­ra­schungen. Die dadurch entwi­ckelte Vorher­seh­bar­keit ist der Unver­än­der­bar­keit unserer Welt geschuldet: Es gibt keine neuen positiven Entwick­lungen in Sachen Rassismus und Diskri­mi­nie­rung, die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Viele sind sogar in alte Muster verfallen und hegen strikte Vorur­teile gegen Menschen, die nicht ihres­glei­chen sind. Auch der Verkauf des popu­lis­ti­schen, gar rechten Gedan­ken­guts unter dem bürger­li­chem Deck­mantel wird weiterhin gepflegt. Insofern erweist sich Green Book auch als ein Film der Ära Trump.

Dies macht den Film von Peter Farrelly zu einem sehr bedeu­tenden Teil unserer Film­ge­schichte, weil er ein Thema anspricht, das uns alle angeht. Bei der beson­deren Freund­schaft zwischen Tony und Don bekommt der eine oder andere ein Glitzern in den Augen. So lässt sich wohl die Meinung des Herzens verändern, man muss es nur zulassen können und offen sein für neue Abenteuer. Wenn man in seinem Leben einen einzigen Menschen zum Umdenken anregen kann, hat man schon gewonnen.

Der Pianist und der Bullshitter

Wenn man sich vergan­gene Academy Awards anschaut, könnte man meine, dass die Gewinner sich immer wieder mit Themen des Zeit­geistes beschäf­tigten oder mit Geschichten, die eine Proble­matik in der Vergan­gen­heit aufgreifen, da sie nun langsam wieder relevant werden.

Auch ein einfach guter Film wie Green Book stellt sich so in den Schatten eines banalen Stereo­typs: Dem Ideal, dass die Musik auch Menschen, die in dieser Zeit typi­scher­weise eher gegen­ein­ander waren, verbrü­dern kann. Kunst hebt sich von der Bosheit ab, die in diesem Film durch Rassismus ausge­drückt wird. Ein Thema, das leider immer noch aktuell ist. Green Book wurde dieses Jahr für vier Kate­go­rien vorge­schlagen: Bester Film, bester Haupt­dar­steller, bester Neben­dar­steller und Bester Schnitt. Green Book basiert auf einer wahren Geschichte, was auch schon zum guten Ton von Hollywood zu gehören scheint.

Der Regisseur Peter Farrelly, der mit Komödien wie Dumm und Dümmehr und Verrückt nach Mary bekannt wurde, versucht nun seine Formel mit einem ernsteren Thema zu kombi­nieren: Rassismus.

Im Jahr 1962 in New York arbeitet Tony »Lip« Valle­longa (Viggo Mortensen) als Türsteher und Security im Nachtclub »Copaca­bana«. Der italie­nisch-ameri­ka­ni­sche Lip, auch bekannt als »Bull­s­hitter«, wird unter Protest – denn er ist Rassist, wie zu jener Zeit viele Menschen – der Fahrer des Afro-Ameri­ka­ni­schen Pianisten Dr. Don Shirley (Mahers­hala Ali), der zudem Psycho­loge ist. Valle­longa wird für den Job genommen, weil Dr. Shirley einen Mann benötigt, der ihn nicht nur chauf­fiert, sondern auch für seinen persön­li­chen Schutz sorgt, denn Shirley weiß, dass er in den südlichen Staaten ein leichtes Ziel für Rassismus ist. Er fragt Valle­longa, ob er seine Familie zwei Monate lang alleine lassen kann und bekommt seine Zustim­mung nur gegen gutes Geld und Einreden von Valle­longas Ehefrau. Passend im komö­di­an­ti­schen Stil des Regis­seurs endet die Szene dann damit, dass der schwarze Dr. Shirley fordert, dass Lip zusätz­lich noch seine Kleidung bügeln und die Schuhe putzen soll, was natürlich auf starken Wider­stand trifft.

Die letzte Szene wird meiner Meinung nach ziemlich kitschig darge­stellt: eine typisch ameri­ka­ni­sche Weih­nachts­szene, in der Valle­longas gesamte Familie am Tisch sitzt. Hier wird auch dem lang­samsten Zuschauer noch einmal gezeigt, was Dr. Shirley trotz all seines Ruhms und Reichtums leider nicht hat: Familie und tief­sin­nige Bezie­hungen. Dr. Shirley nimmt den Augen­blick wahr und besucht Tony und seine Familie. Die Message des Films hat befrie­digt. Das Ende ist zwar kitschig, aber dennoch gelungen. Alle Charak­tere sind am Ende glücklich: ein echtes Happy End!

Kommen wir jedoch zur Realität, dass Rassismus beständig bleibt und auch für die Charak­tere des Films das Thema »nach Dreh­schluss« immer noch Thema sein wird. Menschen, die nicht so betucht sind wie Dr. Shirley, und die jeden Tag mit viel aggres­si­verem Rassismus kämpfen müssen, als in diesem Film überhaupt darge­stellt wird. Die auf einer wahren Geschichte basie­rende Erfolgs­ge­schichte Dr. Shirleys ist nur die einer von wenigen Fällen in der schreck­li­chen Geschichte des Rassismus in den USA.