USA/D/GB 2013 · 101 min. · FSK: ab 12 Regie: Wes Anderson Drehbuch: Wes Anderson Kamera: Robert D. Yeoman Darsteller: Ralph Fiennes, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody, Willem Dafoe u.a. |
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Fahrstuhlfahrt im Geiste von Chaplin und Lubitsch |
Er ist der König unter den Exzentrikern des zeitgenössischen Kinos. Wes Andersons Filme können einem ganz schön auf den Geist gehen. Sie können einen aber auch verzaubern, und zu Kinoerlebnissen verhelfen, wie man sie selten sieht, gerade im Kino der Gegenwart. Manchmal ist es nur von der Tagesform abhängig, ob das eine oder das andere geschieht, aber es ist auch ganz deutlich, dass der 1969 geborene Amerikaner, ein Junggenie, das mit 23 Jahren begann, Filme zu machen, seitdem auch als Filmkünstler einen weiten Weg zurückgelegt hat. Seit The Life Aquatic with Steve Zissou von 2004 und Darjeeling Limited von 2007 sind seine Filme reifer geworden, gelassener, weniger selbstbezogen, sie haben »etwas zu sagen«. Moonrise Kingdom 2012 und jetzt The Grand Budapest Hotel sind richtig gut.
Immer noch wirken Andersons Filme in manchen Augenblicken wie Puppenstuben, narzisstisch-kitschige Spielplätze für Erwachsene, und der Regisseur wie einer, der auch als großer Junge noch am liebsten Barbiepuppen ankleidet, oder ordentliche Playmobil-Welten aufbaut. In ihren besten Momenten sind sie aber hochpoetische, tiefgründige Panoramen voller Einfälle, die tatsächlich neue fremde Welten schaffen, die mehr Phantastik sind, als Fantasy – eben für Erwachsene: Sie kommen ohne Gnomen, Drachen und Zauberer aus – denn die Monster stammen aus unserer eigenen Welt.
In Grand Budapest Hotel heißt diese Welt »Zubrowska«, ein fiktiver Staat in Ostmitteleuropa in den frühen dreißiger Jahren, der recht dumpf und zurückgeblieben scheint, in den höheren Etagen aber ein wenig noch das Flair des untergegangenen Österreich-Ungarn atmet, jener Habsburger »Welt von Gestern«, wie sie Stefan Zweig beschrieb. Im titelgebenden Hotel führt der von Ralph Fiennes gespielte Hotelportier ein straffes Regiment. Wir lernen es kennen durch die Augen eines Novizen: Zero, der neue Page. Dies ist scheinbar eine Welt für sich, doch bald bricht die Realität ein – mit Gewalt, denn auch Anderson weiß, dass die Dreißiger die Periode des Faschismus waren, und so kommt es auch in »Zubrowska« zu einem Militär-Putsch, gegen den sich das Hotel mit seinen Mitteln zu behaupten sucht. Anderson entfaltet ein schönes Spiel der Referenzen. Irgendwie ist das der schöne Traum eines Amerikaners von Osteuropa, voller Nostalgie und wehmütigem Sinn für Verluste.
Der Film bietet hübsche alternative Geschichtsschreibung, die uns an die Schönheit Alteuropas erinnert, bei dem ein Ozeandampfer »Queen Nastassja« heißt und eine Kolonie Holländisch-Tanganijka, eine Krankheit »die preußische Grippe«. Es finden sich auch schöne Dialog-Juwelen. Etwa: »Unhöflichkeit ist nur ein Ausdruck von Angst.« Denn alle wollten doch eigentlich nur geliebt werden. Wohl wahr. So reißt der Film immer wieder mit: Durch tolle Nebendarsteller ebenso, wie durch seine atemlose Handlung. Er ist sehr unterhaltsam, aber auch etwas hastend, atemlos, ohne einen Augenblick wirklichen Innehaltens.
Die Dreißiger waren aber auch die hohe Zeit von Komödienregisseuren wie Lubitsch und Chaplin, und ihren Geist beschwört Andersons nostalgische burlesk-verspielte Tragikomödie. Lubitschs Austernprinzessin fällt einem ebenso ein, wie Chaplins Goldrausch. Doch Chaplin wie Lubitsch rückten später bekanntermaßen auch die Dämonie der Nazis und den Untergang europäischer Kultur auf komödiantische Weise ins Zentrum eines ihrer Filme: Und ähnlich ist auch The Grand Budapest Hotel eine subtile, gute, eindrückliche Betrachtung über die Natur des Faschismus und sonderbarer Weise eine Komödie über Todesschwadronen und alltägliche Barbarei, über die Zerstörung von Anmut und Stil – die natürlich auch etwas mit der Gegenwart zu tun hat. Das »Grand Budapest« ist das Grand Hotel Abgrund, in dem wir alle sitzen, und warten auf ein Wunder.