USA 2005 · 145 min. · FSK: ab 12 Regie: Rob Marshall Drehbuchvorlage: Arthur Golden Drehbuch: Robin Swicord, Doug Wright Kamera: Dion Beebe Darsteller: Zhang Ziyi, Ken Watanabe, Michelle Yeoh, Gong Li, Koji Yakusho u.a. |
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»Zum Klischee geronnen« |
Stunden dauert die Prozedur. Immer fester schlingt man den Kimono um Hüften und Beine des jungen Mädchens. Dass es sich dabei »um reine Tatsumura-Seide« handelt, macht es nicht besser – die Jung-Geisha Chiyo kann kaum noch atmen. Endlich darf sie aufstehen, aber nur noch mit Trippelschritten kann sie sich fortbewegen, auf edelste Weise gefesselt. Dicke weiße Schminke verbirgt ihr Gesicht. Bald wird Chiyo im Kyoto der 20er Jahre ihre Jungfräulichkeit meistbietend versteigern – so sind sie, die Japaner. Oder etwa nicht?
Japan jedenfalls war not amused, als Rob Marshalls süffiges Filmmelodram Die Geisha (i.O.: Memoirs of a Geisha) Anfang Dezember in Tokio seine Weltpremiere feierte. Von »Skandal« schrieb auch die seriöse Presse des Landes, und die Medien in China und zum Teil sogar in den USA zogen nach. Seitdem reißt die Kritik an dem Film nicht mehr ab. Warum eigentlich?
Bei seinem Erscheinen 1997 wurde der Roman »Memoires of a Geisha« von Arthur Golden, der immerhin studierter Japanologe ist, sich also auskennen könnte, postwendend zum Bestseller. Es gehört gewiss zu den größeren Geheimnissen der westlichen Kultur, warum aller gesellschaftlichen Modernität, weiblicher Emanzipation und Gleichstellung zum Trotz, gerade Bücher wie dieses oder das kürzlich ebenfalls verfilmte »Die weiße Massai« die Seelen vieler Frauen rühren – der oberflächliche und klischeetriefende Blick auf exotische Kulturen verbunden mit Kleinmädchenphantasien, und der Mär, dass sich hinter jeder noch so starken, selbstbewussten, souveränen Frau letztlich ein schwaches Weib verbirgt, dass nichts mehr ersehnt, als vom Mann ihrer Träume »genommen« zu werden.
All dies trifft auf Goldens Bestseller zu, auch wenn der angeblich auf »wahrem Geschehen« basiert, in diesem Fall den Erinnerungen der legendären Geisha Mineko Iwasaki. Goldens verfälschende Amerikanisierung dieses hochinteressanten Buches brachte ihm eine Klage und das Verbot ein, sich auf Iwasaki zu berufen – soviel zur »Authentizität«.
Auch Rob Marschall, ein solider Regie-Handwerker, der sich mit dem Musical Chicago bereits als Spezialist des Künstlichen etabliert hat, hält sich nicht mit Details auf – jedenfalls, falls man daran interessiert sein sollte, irgendetwas über japanische Kultur zu erfahren, oder gar den Geisha-Mythos näher zu erkunden. Im Gegenteil bedient der Film das Vorurteil unwissender Westler, bei Geishas handele es sich allemal nur um verkappte Prostituierte: Dass sie das nicht seien, wird zwar mehrfach betont, doch was man sieht, spricht eine andere Sprache, und einer der Haupthandlungsstränge rankt sich sogar darum, wie eine Geisha ihre Jungfräulichkeit möglichst effektiv und ruhmvermehrend verkauft.
Die historischen Geishas, von denen es einst knapp 100.000 gab, verkauften Anmut, nicht Sex; ein Verständnis von Schönheit und Erotik, das unserem sehr fern liegt. Andererseits gab es die Authentizität der japanischen Geisha-Kultur auch in Japan nie – und dass der Film sie dreist behauptet, ist nicht die geringere Zumutung. Selbst die Porzellan-Mienen aus weißes Make-up und der rote Kirschmund sind hier zum Klischee geronnen. Ähnlich wie die Samurai sind auch die Geishas, die wir kennen, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, ein Selbstentwurf Japans, in dem sich das mit Hilfe preußischen Militärs und angelsächsischer Industrie selbst rasant modernisierende Kaiserreich seiner selbst vergewisserte.
Sieht man Die Geisha freilich als das, was es eigentlich ist und sein will, ein Stück historischer Kolportage, ein süffiges Melodram, das mit groben Stößen auf der Klaviatur unserer Gefühle mehr herumknüppelt, als sie fein zum Klingen bringt, kann man sich durchaus amüsieren. Überaus gefühlvoll begleitet man die junge Chiyo, ein armes Mädchen vom Land, das der Vater 1929 in die große böse Stadt verkauft, wo sie als Dienstmädchen eines Geisha-Hauses beginnt, und dann allmählich zur schönsten, berühmtesten und überhaupt besten Geisha Japans aufsteigt – Aschenputtel in Kyoto. Der Prinz, der in dieser Story nicht fehlen darf, wie die böse Hexe – eine Geisha-Konkurrentin –, ist ein Mann, der eher Chiyos Vater sein könnte, und den sie 20 Jahre lang anschwärmt, bevor die Liebe sich erfüllt. Denn auch er war – ganz höflicher Japaner aus dem Bilderbuch – zu schüchtern, um ihr seine Liebe früher zu gestehen.
Der Film lebt vor allem von elegischen Bildern, ist virtuos inszeniert, kann mit herrlichen Set-Designs und wunderbarer Musik aufwarten. Letztere ist teilweise authentisch japanisch, teilweise deren hollywoodeske Anverwandlung. Und auch die Dialoge des Films sind so authentisch, wie das Bild, das Puccinis »Madame Butterfly« von der Kultur Japans liefert, und diese, wenn man so will, fürs 19. Jahrhundert »disneyfiziert« – wie zuvor die »japanischen Gärten«, »Teehäuser« oder Japanoiserien des 18. Jahrhunderts.
Marschalls allerschlimmste Sünde und absolut unverzeihlich ist aber die Besetzung der weiblichen Hauptrollen. Dabei gehört gerade die Schauspielleistung zu den Stärken des Films, und bei Gong Li (Rote Laterne), Michelle Yeoh (Crouching Tiger, Hidden Dragon / Wu hu zang long) und Zhang Ziyi (2046, House of Flying Daggers), die die Hauptrolle spielt, handelt es zwar um drei der besten Darstellerinnen Asiens – als würde man Jeanne Moreau, Isabelle Huppert und Juliette Binoche in einem Film zeigen – aber dummerweise stammen sie alle drei aus China. Und das ist nun für jeden Asiaten ungefähr so, als würde man in einem europäischen Film drei kühle Schwedinnen von glutäugigen sizilianischen Darstellerinen spielen lassen – es funktioniert nicht, und wer ein wenig hinschaut, sieht das auch sofort. Denn entgegen landläufigem kulturellen Vorurteil sehen eben nicht alle Asiaten »gleich aus.«
Weil alle – wir sind in Hollywood – ihre Dialoge auch noch auf Englisch sprechen müssen, haben sie überdies noch einen chinesischen Akzent. Damit ist die Disneyfizierung komplett: So wie die Affen im Das Dschungelbuch – die mit schwarzem Akzent sprechen – und die Türken im deutschen Film, sind die Chinesinnen schon durch ihre Sprache als Fremde qualifiziert.
Ein Fall von kulturellem Rassismus, bei dem man Hollywood noch nicht einmal Unschuld unterstellen kann, sondern eher Gleichgültigkeit. Für die Macher galt offenbar das Motto »das macht doch nichts, das merkt ja keiner.« Solche Wurschtigkeit, der offenbar Asiate gleich Asiate, Schlitzauge gleich Schlitzauge ist, ist genau das Problem dieses kurzweiligen, aber doch auch ziemlich groben Films – den die Japaner nun wütend boykottieren.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch die
Beziehungen zwischen China und seinem einstigen Besatzer Japan nicht gerade zum Besten stehen. Alle paar Monate besucht der japanische Premier den umstrittenen Yasukuni-Schrein, was vielerorts in Asien als Verteidigung des japanischen Militarismus und der imperialistischen Politik der 30er Jahre verstanden wird – weshalb jetzt auch manche in China den chinesischen Darstellern »Landesverrat« vorwerfen, weil sie diese Rollen überhaupt angenommen haben.
Alles in allem klingen besagte Töne aus Japan und China jetzt gerade arg schrill, etwas übertrieben und erstaunlich wenig selbstbewusst für eine Region, die gerade den Aufstieg zur Weltherrschaft erlebt. Denn genau genommen ist es aus amerikanischer Sicht sogar ein Zeichen von Wagemut, sämtliche Rollen mit Asiatinnen zu besetzen.
Im Übrigen verhält sich Hollywood in Die Geisha nicht anders als sonst. Man benutzt wieder einmal höchst unsensibel und ohne Respekt oder tieferes Interesse die Stereotypen und Versatzstücke einer fremden Kultur, um ein uramerikanisches Kleinbürgermärchen zu erzählen – so wie man es zuvor mit den Indianern, den Schwarzen, den Europäern, und auch immer schon – man denke an die verführerische Suzie Wong, an den schurkischen Dr. Fu-man-chu oder den leutseligen Koch Hop Sing in »Bonanza« – mit Asiaten gemacht hatte. Das ist selbstverständlich nicht besonders schön. Andererseits ist Hollywood spätestens seit Lost in Translation, Kill Bill und The Last Samurai derzeit Japan und China gegenüber so offen, wie noch nie – und sei es auch nur aus ökonomischen Gründen.
Der Unterschied ist allerdings der, dass es mittlerweile nicht um die Darstellung eines fernen Fremden geht, nicht um eine Reise in Bildern, sondern um etwas, das längst Teil der eigenen Welt ist. Da wachsen die Empfindlichkeiten noch bei jenen, die gar nicht betroffen sind und Asien vielleicht nur aus anderen, allerdings besseren Kinofilmen kennen.
Man weiß also auch am Ende nicht, wofür man sich entscheiden soll: Man möchte Die Geisha immer mal wieder mögen, und nicht nur seinen ausgezeichneten Darstellerinnen und ihrer Schönheit zuliebe, aber man ärgert sich doch zu sehr über schrecklich banale Hollywooddialoge und darüber, dass all das Japan genau so gerecht wird, wie die »Asien-Wochen« bei McDonalds. Je mehr man über Japan weiß, um so weniger wird man den Film schätzen. Die Bilder sind trotzdem prächtig.