Die Frau mit der 45er Magnum

Ms .45

USA 1981 · 84 Minuten · FSK: ab 18
Regie: Abel Ferrara
Drehbuch:
Kamera: James Lemmo
Darsteller: Zoë Tamerlis, Albert Sinkys, Darlene Stuto, Helen McGara, Nike Zachmanoglou, Abel Ferrara u.a.

Vom Mauerblümchen zum Todesengel

Den wenigsten Regis­seuren gelingt es wie Orson Welles mit Citizen Kane (1941) gleich mit ihrem Debütfilm ein Meis­ter­werk hinzu­legen. Der New Yorker Abel Ferrara begann ganz unten. Sein erster Spielfilm war ein müder Porno mit dem unsä­g­li­chen Titel Nine Lives of a Wet Pussy (1976). Es folgte der trashige Driller Killer (1979), um einen Killer, der seine Opfer mit einer Bohr­ma­schine ins Jenseits befördert. Erst mit seinem dritten Film Die Frau mit der 45er Magnum (1981) lief Ferrara zu voller Form auf. Ms .45 ist ein Explo­ita­tion-Film, aber ein sehr ambi­tio­nierter. Mit einem Bein steht er noch knietief im Schmuddel, mit dem anderen Bein steht er jedoch auf äußerst solidem Boden und lässt bereits spätere Meis­ter­werke wie King of New York (1990) und Bad Lieu­tenant (1992) erahnen.

Die Frau mit der 45er Magnum erzählt die Geschichte der stummen New Yorker Näherin Thana (Zoë Lund). Eines Tages wird Thana auf dem Nach­hau­seweg von einem maskierten Mann (Cameo-Auftritt von Abel Ferrara) über­fallen und verge­wal­tigt. Zuhause wird sie von einem Einbre­cher ein zweites Mal verge­wal­tigt. Sie über­wäl­tigt jedoch den Verge­wal­tiger und erschlägt ihn mit einem Büge­leisen. Seine 45er Magnum nimmt Thana an sich. Sie zerstü­ckelt die Leiche und verteilt die Einzel­teile über die gesamte Stadt. Dabei beob­achtet sie ein Mann, wie sie eine Tüte mit Leichen­teilen am Wegesrand liegen­lässt. Der Mann läuft Thana hinterher, um ihr die Tüte zurück­zu­bringen. Sie fürchtet, es mit einem erneuten Verge­wal­tiger zu tun zu haben, und erschießt den Mann. Ab da verwan­delt sich Thana in eine Rächerin, die jeden Mann erschießt, der sie oder andere Frauen belästigt. Dabei geht sie jedoch zunehmend wahllos vor.

Der Name Thana ist abge­leitet von Thanatos – dem grie­chi­schen Gott des Todes. Doch anfangs deutet nichts darauf hin, dass sich die unschein­bare stumme Näherin später in einen männer­mor­denden Todes­engel verwan­deln wird. Thana macht in Die Frau mit der 45er Magnum eine schier unglaub­liche Meta­mor­phose durch. Zu Beginn ist sie eine zwar hübsche Frau, aber zugleich eine graue Maus. Sie ist menschen­scheu, zieht sich unauf­fällig an und schminkt sich nicht. Erst als Thana anfängt, gezielt auf Männer­jagd zu gehen, schminkt sie sich auffällig mit Kaja­l­stift, Rouge und einem blutroten Lippen­stift. Nun trägt sie ein schwarzes Cape, eine schwarze Lycrahose und schwarze Lack­hand­schuhe. Sie verwan­delt sich in einen im wahrsten Sinne des Wortes männer­mor­denden Vamp. Gegen Ende des Films erfährt sie eine weitere Trans­for­ma­tion in eine Fetisch-Gestalt mit Nonnen­kostüm und Strapsen. Zu diesem Zeitpunkt hat sich ihr Rache­feldzug gegen die Männer­welt längst in ein rein will­kür­li­ches Morden verwan­delt.

Die Frau mit der 45er Magnum ist ein Rape-and-Revenge-Film, aber einer, der das Genre auf links dreht. Anders als klas­si­sche Vertreter dieser Explo­ita­tion-Film-Gattung wie Wes Cravens Das letzte Haus links (1972) oder Meir Zarchis Ich spuck auf dein Grab (1978) zeigt Die Frau mit der 45er Magnum keine brutale Verge­wal­ti­gung, auf welche die ebenso brutale Rache an den Tätern folgt. Den eigent­li­chen Täter tötet Thana bereits direkt während der Verge­wal­ti­gung in Notwehr. Doch dann wird sie vom Opfer selbst zur Täterin. Ihr Rache­feldzug gegen die Männer­welt ist dabei zutiefst ambi­va­lent. Auf der einen Seite tötet sie tatsäch­liche poten­zi­elle Verge­wal­tiger und Männer, die Frauen auf äußerst unan­ge­nehme Art beläs­tigen. Aber ande­rer­seits ist bereits der erste nach dem Verge­wal­tiger im Affekt getötete Mann voll­kommen unschuldig. Später wird ihr Vorgehen immer will­kür­li­cher. An einer Stelle verfolgt sie sogar einen Mann, der seine Freundin zum Abschied liebevoll geküsst hat. Am Schluss erschießt Thana schließ­lich voll­kommen wahllos jeden Mann, der ihr vor die Pistole kommt.

Die Frau mit der 45er Magnum verwei­gert dem Zuschauer die ansonsten bei Rape-and-Revenge-Filmen übliche, mit dem Töten der Täter verbun­dene, Befrie­di­gung. Thana ist trau­ma­ti­siert. Sie wird von Albträumen und von Hallu­zi­na­tionen gequält, bei denen sie erneut von dem ersten Verge­wal­tiger atta­ckiert wird. Doch ihr Rache­feldzug ist kein Weg, um dieses Trauma zu über­winden. Statt­dessen wird Thana zunehmend selbst zu einem Monster. Was wie ein radikal femi­nis­ti­scher Rache­feldzug begonnen hatte, gerät zunehmend so sehr außer Kontrolle, dass Thana am Ende ausge­rechnet von einer Frau gestoppt wird. Verwun­dert flüstert Thana »Schwester«. Das erweckt den Eindruck, dass Thana so sehr aus dem Konzept gebracht ist, dass sie sogar »vergisst«, dass sie eigent­lich stumm ist. Die Frau mit der 45er Magnum ist ein großer kleiner Film.