The French Dispatch

USA/D/F 2021 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: Wes Anderson
Drehbuch:
Kamera: Robert D. Yeoman
Darsteller: Benicio Del Toro, Timothée Chalamet, Adrien Brody, Tilda Swinton, Léa Seydoux u.a.
Großartig, lustig und perfekt gemacht...
(Foto: The Walt Disney Company (Germany) GmbH)

Avantgarde, Bocuse, Fantomas

Subtile Aufklärung gegen Leitmedien und Cancel-Culture: Wes Andersons wunderschöne Episodensammlung ist ein einziger Genuss

»It began as a holiday: Eager to escape a bright future on the great plains, Arthur Howitzer Jr. trans­formed a series of trave­logue columns into the ›French Dispatch‹ a factual weekly report on the subjects of world politics; the arts, high and low; and diverse stories of human interest.« (Film­aus­schnitt)

Der US-ameri­ka­ni­sche Inde­pen­dent-Regisseur Wes Anderson steht seit jeher für die Verbin­dung von Intel­li­genz und Witz.
Seine letzten Filme wurden dabei immer poli­ti­scher und viel­leicht zwar nicht ernster, aber doch tief­grün­diger. So auch The French Dispatch, eine Hommage an den klas­si­schen Jour­na­lismus, bei dem das Publikum unbedingt an den »New Yorker« denken soll, und die Gefahr, die allen Medien droht, wen sie zu Dienern des Main­stream werden.

Andersons Film fügt sich in eine Stimmung: Der Überdruss der Älteren an der Hysterie der Jungen. Die Lange­weile der über 40-jährigen – 40 ist das neue 30! – an der Gegenwart und am Verschwinden der eigenen gerade noch analogen Welt, in der man aufwuchs. Und der Wille, dafür zu kämpfen, sich diese Welt zurück­zu­er­obern. Sie ist sowohl ein Lebens­ge­fühl wie ein kultur­po­li­ti­scher Plan. Er verbindet diese Älteren, die aus Erfahrung schon immer gegen »Political Correct­ness« und gegen zur Schau getra­genes Gutmen­schentum waren, mit jenen Jüngeren, die allmäh­lich die Folgen der mora­li­sie­renden Regu­lie­rung des Alltags­le­bens am eigenen Leib spüren.

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Eine Zeit­schrift. Eine Zeit­schrift, wie es sie heute kaum noch gibt. Eine Zeit­schrift, die wie ein Buch mit Kurz­ge­schichten funk­tio­niert, oder mit Essays oder beides zusammen. Die sich an den Mann von Welt richtet und an seine Frau, an Kosmo­po­liten aller Länder. Die eine liberale Agenda der Offenheit, der Freiheit, der Risi­ko­freude, des Fort­schritt vertritt, der Aufklä­rung und Verbes­se­rung der Mensch­heit. »We hold these truths to be selfe­vi­dent« heißt es in der »Decla­ra­tion of Inde­pen­dence«.
Mit der Verbes­se­rung der Mensch­heit fängt sie bei ihren Lesern an: Die will diese ideale Zeit­schrift nicht nur gut infor­mieren, sie will sie erziehen: Auf hohem Niveau, gebildet, aber auch kuratiert. Denn nicht jede Infor­ma­tion ist wichtig. Und Ausge­wo­gen­heit ist schon gar nicht wichtig, dafür Distanz zu allem, zu den Mächtigen wie zu den Ohnmäch­tigen. Und nur die Infor­ma­tionen sind von Relevanz, die die Zeit­schrift ihren Lesern gönnt: »All the news that‘s fit to print« heißt es in der New York Times. Ja schon, auch, aber nicht nur, und manchmal eben nicht alle News.

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The French Dispatch ist der Name dieser Zeit­schrift und der Titel des neuen Films von Wes Anderson. Das Publikum soll dabei unbedingt an den New Yorker denken, den es immerhin noch gibt – im Unter­schied zu vielen anderen, oft legen­dären Zeit­schriften dieser Art. Man soll an alle Zeit­schriften dieser Art denken, an alle ihre Autoren. An etwas, das es mal ganz viel gab und heute immer weniger.
Man soll an das denken, was es heute immer weniger gibt. Denn heute verfallen die meisten dieser klas­si­schen Medien, die einmal »die vierte Gewalt« waren, »Sturm­ge­schütze der Demo­kratie« und damit auf Distanz zu den anderen Gewalten standen; sie verfallen aus kommer­zi­ellen Gründen zu Dienern der Macht und zu Dienern des Main­stream.

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»Ennui-sur-Blasé« heißt der Ort, an dem diese imaginäre Zeit­schrift erscheint, eine Zeit­schrift, die aus Europa berichtet für Ameri­kaner, die es nicht nach Paris geschafft haben. Denn dieser wunder­bare imaginäre Ortsname steht eigent­lich für Paris. Mit dem ironi­schen Hinweis auf Ennui und Blasiert-Sein markiert Wes Anderson, dieser Dandy unter den modernen Filme­ma­chern, ganz offen seine eigene Haltung: eine gewisse Lange­weile mit der Welt, so wie sie heute ist. Diese Lange­weile in der Gegenwart und das Gefühl der Menschen, die heute zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, langsam aus der Zeit zu fallen, langsam die Welt verschwinden zu sehen, in der sie aufwuchsen, und ihr Wille, sich diese Welt zurück­zu­er­obern, ist sowohl ein Lebens­ge­fühl wie ein kultur­po­li­ti­scher Plan, die sich gerade durch viele Gegen­warts­filme ziehen – eine kämp­fe­ri­sche Nostalgie.

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Alles spielt 1975 mit Rück­bli­cken ins frühere 20. Jahr­hun­dert. Ein paar Episoden aus der klas­si­schen Moderne bilden den Rahmen für Andersons Hommage an den Jour­na­lismus und das, was er mal war, bevor die Controller und die Sozialen Netzwerke den Laden über­nahmen. Eines Jour­na­lismus aus jenen Jahren, als man die Welt dem Publikum noch entdeckte und beschrieb, nicht bewertete, zensierte und cancelte.
In der ein Chef­re­dak­teur und Heraus­geber, hier gespielt von Bill Murray, sagt, wenn eine Autorin – Frances McDormand und Tilda Swinton – einen Text länger geschrieben hat als verein­bart: »Cut some adds! Order more paper!«

Systeme und Struk­turen inter­es­sieren Wes Anderson heute viel mehr als früher, wo er sich noch für Familien und für einzelne Figuren inter­es­siert hat.

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Klas­si­sche Moderne heißt bei Anderson vor allem Frank­reich und die Klischees des fran­zö­si­schen Lebens und der Avant­garde, des modernen Kunst-Betriebs, der »verrückten euro­päi­schen Maler« und der ameri­ka­ni­schen Milli­ar­dä­rinnen, die Samm­le­rinnen werden und irgendwo ein Museum aufbauen, das dann nach ihnen selbst benannt ist, in der Wüste von Kansas zum Beispiel. Benicio del Toro und Léa Seydoux spielen solche Figuren.
Der visuelle Stil setzt sich aus ein bisschen »Amélie« und ein bisschen »Will­kommen in Belle­ville« zusammen, aus Frank­reich-Klischees und Zitaten des alten Jour­na­lismus. So entsteht hier eine Art »Amélie in Belle­ville«-Frank­reich, das aus Avant­garde-Malern, Bocuse-Essen und Fantomas zusam­men­ge­setzt ist. Anderson zeigt das alte, verschwun­dene Leben voller Nostalgie, so dass auch noch Ratten in der Metro, Nutten an der Straße, ein Urinal und Leichen im Fluss roman­tisch wirken. Dazu zitiert er lauter alte Filme.

Dies ist also ein Film, der einen großen Teil des Publikums ausschließt, weil sie diese ganzen Anspie­lungen überhaupt nicht verstehen. Wie schön! Wie schön, dass sich das einer noch traut, wie gut, dass einer das noch macht.

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Die ist ein großar­tiger, sehr lustiger und perfekt gemachter Film. Dieses Meis­ter­werk des Episo­dischen beweist auch: Anderson ist eben nicht nur manie­rierte Ober­fläche, auf die auch viele Vertei­diger Andersons seine Filme gerne redu­zieren. Sondern er formu­liert in diesem Fall sogar eine poli­ti­sche Botschaft: Die Vertei­di­gung von Freiheit und Inef­fi­zienz, von Ennui und Blasiert­heit.

Dieser Film ist ein einziger Genuss!

Gewidmet ist er übrigens zwei Dutzend histo­ri­scher Autoren und Jour­na­listen, die am Schluss nament­lich aufge­zählt werden. Hannah Arendt, Pauline Kael und James Baldwin sind dabei.