Farang – Schatten der Unterwelt

Farang

Frankreich 2023 · 100 min. · FSK: ab 18
Regie: Xavier Gens
Drehbuch: ,
Kamera: Gilles Porte
Darsteller: Nassim Lyes, Loryn Nounay, Olivier Gourmet, Chananticha Tang-Kwa, Vithaya Pansringarm u.a.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl des Schafotts...
(Foto: STUDIOCANAL)

Papa ist hier

Xavier Gens’ Rache-Thriller ist so geradlinig wie sozialrealistisch und schafft auch durch seine Laiendarsteller beklemmende und befreiende Genre-Action

Wer des filmi­schen Haupt­ex­port­ar­ti­kels des fran­zö­si­schen Kinos der letzten Jahre, dem »French-Dream-Kino« (z.B. Ténor, Haute Couture, Die Küchen­bri­gade) ein wenig über­drüssig ist, weil er nicht noch eine weitere Erfolgs­ge­schichte über einen Helden aus der Banlieue, der es dann doch zu Ruhm oder wenigs­tens Ehre und Job schafft, sehen mag, dem sei Xavier Gens Farang – Schatten der Unterwelt empfohlen.

Aller­dings geht es auch hier zu Anfang nicht anders zu als im sozi­al­rea­lis­ti­schen fran­zö­si­schen Hoff­nungs­kino, steht auch hier ein Held mit migran­ti­schem Hinter­grund im Zentrum von Gens’ Film. Doch Sam (Nassim Lyes) hat von Anfang an keine Chance auf butterz­arte Reso­zia­li­sie­rung, denn als er auf Bewährung aus dem Knast entlassen wird, bestehen seine alten Auftrag­geber darauf, dass er weiterhin das tut, was er früher wohl am besten konnte – Drogen verkaufen. Als Sam sich weigert, kommt es zur Kata­strophe – und zu Sams Flucht aus Frank­reich und einer Reso­zia­li­sie­rung der selbst­be­stimmten Art. Denn fünf Jahre später hat sich Sam eine neue Existenz im Osten Thailands aufgebaut, ist Hotel-Fahrer und verliert mit Absicht Muay-Thai-Kämpfe, um sich über die entspre­chenden Wetten sein Gehalt aufzu­bes­sern und mit seiner schwan­geren Freundin Mia (Loryn Nounay) und ihrer kleinen Tochter Dara (Chan­an­ticha Tang-Kwa) auf ein Stück Land am Strand zu sparen. Aber wie bei jedem Menschen, ist es auch bei Sam. Seine Vergan­gen­heit holt ihn ein und was für 15 Minuten wie ein schöner Fami­li­en­film aussah, wird zum knall­harten Selbst­justiz- und Rächer­film, der sich in seiner kreativen Insze­nie­rung mit wunder­baren Choreo­gra­fien von Gewalt an Ilya Nais­hul­lers Nobody messen kann.

Aber anders als Bob Odenkirk in Nobody, ist die schwarze Humor­ebene für Nassim Lyes Sam bei Gens nicht existent, wird hier nicht einmal ansatz­weise mit ein wenig Ironie gear­beitet, während das Martial-Arts Genre und Hong­konger Action-Kino rauf- und runter­zi­tiert wird, sondern ist Blut hier immer eine ernste, kathar­ti­sche Zutat, um sich zu befreien. Das Besondere bei Farang ist, dass die meisten kleineren Rollen mit Laien­dar­steller:innen besetzt sind, die sich selbst spielen. So wird der Häftling mit der Ratten­ge­schichte von einem Mann darge­stellt, der tatsäch­lich schon seit 27 Jahren hinter Gittern sitzt. Und auch die thailän­di­schen Muay-Thai-Kämpfer sind so echt wie die gezeigten Fights, die sich mit dem ebenfalls kampf­sport­erprobten Haupt­dar­steller Nassim Lyes (Kandisha) Kämpfe liefern, die derartig intensiv sind, dass man schon immer wieder laut lachen muss, um sich ein wenig zu entspannen.

Neben den Kämpfen lässt sich Gens Zeit für beun­ru­hi­genden Sozi­al­rea­lismus, zeigt, wie Prosti­tu­tion und Drogen­schmuggel jeder Façon in Thailand funk­tio­niert und welche Auswir­kungen es auf den Alltag hat. Auch hier über­rascht Gens dann mit Bildern jenseits des Palmen­al­ler­leis, das man sonst aus Thailand gewohnt ist, garniert diesen Alltag dann und wann mit über­ra­genden Shots, wie etwa dem von einem Hochhaus in Bangkok, um wenigs­tens in Ansätzen ein paar Erwar­tungs­hal­tungen zu bedienen und gleich­zeitig zu zeigen – etwa bei der inves­ti­ga­tiven Fahrt auf dem Chao Phraya – dass Sonnen­seiten und Schat­ten­seiten des Tourismus unheilbar mitein­ander verschmolzen sind.

Und was für ein Finale, das nach all den bis dahin geschlitzten Kehlen und zerschmet­terten Körpern schon gar nicht mehr denkbar scheint. Doch Gens gelingt mit einer über­ra­genden Fahr­stuhlszene tatsäch­lich noch einmal eine Stei­ge­rung, in der die klas­si­sche Martial-Arts Dyade von Meister und Schüler (von Karate Kid bis Ip Man 4: The Finale) genauso erfri­schend spie­le­risch re-animiert wird wie der eigent­liche Held, der am Ende in dem viel­leicht basalsten Rollen­mo­dell der Mensch­heit dann doch so etwas wie Erlösung findet.