DK/IRL/D/I/GB/USA 2024 · 149 min. · FSK: ab 12 Regie: Joshua Oppenheimer Drehbuch: Rasmus Heisterberg, Joshua Oppenheimer Kamera: Mikhail Krichman Darsteller: Michael Shannon, Tilda Swinton, George MacKay, Tim McInnerny, Moses Ingram u.a. |
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Postapokalypse mit Gesang | ||
(Foto: MUBI) |
»Our hope for tomorrow will guide us, together our future is bright«, singt die Familie gut gelaunt. Es singen mit: der Butler und das Kindermädchen und der mittlerweile erwachsene Sohn, eingerahmt von seinen spießigen und ältlich aussehenden Eltern. Keiner wirkt hier frisch. Alles ist fahl, bluish. Eine höfliche Fröhlichkeit herrscht in der Familie, alles ist Fake, nicht nur die Papierblumen in den Vasen und die Umgangsformen. Nur nicht die Gemälde an den Wänden: Monet, Cézanne, Renoir, die sind echt. Das Wohnzimmer dieser reichen Familie gleicht dem Louvre.
In Wirklichkeit aber lebt sie allein metertief in der Erde, eingebunkert in einer weiten Höhle aus einem gipsähnlichen Mineral. Es ist ein postapokalyptischer Ort, 25 Jahre nach der zerstörerischen Katastrophe. Im Bunker gibt es kein natürliches Licht mehr und auch keine Natur. Es herrscht völlige Stille. Die Überlebenden reißen sich größtmöglich zusammen. Vater (Michael Shannon), Sohn (George MacKay) und Butler (Tim McInnerny) tragen Pollunder, die Mutter (Tilda Swinton) Strickjacke. Alle sprechen aufgesetzt. Der Sohn stellt mit naiven Augen Fragen nach der Existenz und guckt auf dem Tablet Aufnahmen von Regen, Bäumen, Strand an. Woher komme ich? Wie war das früher? Wie fühlt sich Wind an? Der Sohn trainiert Beatmung und Schwimmen, der Vater spielt Modelleisenbahn und die Mutter, immer besorgt, immer am Werkeln (Oh, Tilda!) richtet die Papierblumen her, kittet die Risse in den Wänden. Und immer wieder singen sie. »The sky goes black, and the heaven dies.« This is the end. Dies ist The End – der Film.
Was für ein unangenehmer Film. Joshua Oppenheimer ist bekannt für seine starken Dokumentarfilme über Indonesien, in denen er auch zu Mitteln des Reenactments gegriffen hat, um die Schrecken der Diktatur nachzubilden. Berühmt wurde er mit The Act of Killing (2012) und The Look of Silence (2014), für die er für den Oscar nominiert wurde. In ihnen setzt er sich mit dem Genozid in Indonesien auseinander, als der spätere Präsident Suharto systematisch Mitglieder der Kommunistischen Partei und chinesischstämmige Bürger ermorden ließ.
Eigentlich sollte ein dritter Dokumentarfilm in Indonesien folgen, über die Menschen, die sich am Genozid bereichert haben und nun als mächtige Oligarchen leben. Oppenheimer konnte jedoch, nachdem The Act of Killing in Indonesien ins Kino gekommen war, nicht mehr sicher ins Land reisen. So begann er sich für die Oligarchen der Welt insgesamt zu interessieren und stieß auf eine Familie, die im Öl-Business war – und sich einen Selbstversorger-Bunker gebaut hatte. Darüber wollte er seinen nächsten Film machen.
»Auf die Apokalypse zu warten war keine Option«, sagt Oppenheimer im Filmgespräch auf der Viennale. Und so kreierte er einen Spielfilm, baute den Bunker mitsamt Gewächshaus, Gemäldesammlung und Weinkeller nach und setzte Kameramann Mikhail Krichman (Loveless, Leviathan) mit der nun nicht mehr dokumentarischen Kamera, wie die Fliege an die Wand. Ihn interessierte: Wie würden die Figuren auf die Frage nach der Schuld reagieren, Mitverursacher der Apokalypse zu sein, die sie in den Bunker gebracht hat?
Im Film nun bleibt die Apokalypse relativ unspezifisch, die Vorgeschichte, nach der der erwachsene Bub so aufgeregt fragt, bleibt diffus. 25 Jahre leben sie schon im luxuriösen Untergrund, der Sohn ist dort geboren. Fotoalben weisen den Vater als Öl-Tycoon aus, an anderer Stelle sieht man ihn als Kolonialist in Indonesien. Die These ist überdeutlich: der reiche Norden hat sich am globalen Süden vergangen und dabei die Welt geschrottet (siehe zuletzt Das Licht). Und so benennt Oppenheimer die Apokalypse letztlich dann doch, auch in den starken Bildern der Lieder. Dort wird von der »erloschenen Sonne« gesungen, von »Staubwinden« und Feuer. Es ist das Bildinventar des biblischen Untergangs – und des Klimawandels mit Feuerbrünsten, Überschwemmungen und Dürre.
Es geht in The End also um das Schuldigwerden der Reichen, und darum, sich mit Reichtum ein Weiterleben gesichert zu haben, ähnlich wie dies die Techno-Oligarchen Peter Thiel, Larry Page, Jeff Bezos und Bill Gates derzeit tun, Elon Musk will ja zum Mars. Und trotzdem will Oppenheimer seine Bunkerfamilie als die allgemeine Familie der Menschheit verstanden wissen. »It’s the last human family«, sagt er, deshalb tragen seine Figuren keine Namen. »They are us.«
Unangenehm ist es, wenn aus der völligen Stille heraus die Figuren plötzlich zu singen beginnen. Oppenheimer nennt seinen Film ein »Anti-Musical«, nimmt es aber mit dem Musical als Form sehr ernst. Im klassischen Musical bahne sich in den Liedern die tiefere Wahrheit ihren Weg, sagt er, hier aber werden die Lügen gesungen. »It’s not the truth that sings, it’s the lies; and the truth screams through in the silences.«
In The End gibt es viel Stille.
Das verursacht Gänsehaut und permanenten Cringe, selbst die große Tilda Swinton wirkt peinlich – weil wir ihre Figur mit der aufgesetzten Fassade einfach nicht aushalten können. The End ist einer der unangenehmsten und verstörendsten Film der letzten Zeit, wirkt mit seinen papiernen und stocksteifen Pollunder-Figuren kalt und unlebendig. Doch die Verstörung ist konsequent und bleibt nachhaltig, The End ist ein Film, an den man oft und lange zurückdenkt. Und er knüpft tatsächlich an den reenacteten The Act of Killing an, der sich an der Schnittstelle von Dokumentar- und Spielfilm – und eben nicht Fiktion – ansiedelte. Dem Mut Oppenheimers, einen perfekt ausgearbeitenden Film mit großartigen Schauspielern und ebensolchen Musical-Einlagen zu schaffen, der größtmöglich verstörend ist, zollen wir den allergrößten Respekt. Und auf perverse Weise macht der Film sogar Spaß.